Sie sind ständig unter Strom und immer in Eile. Sie verteilen die Aufträge an ihre Mitarbeitenden im Vorbeigehen oder während sie die Post durchsehen. Sie arbeiten schnell und effizient. Sie sind die Messlatte für all jene, die immer ein wenig zu behäbig sind - und oft sind sie schuld daran, dass ihre Untergebenen mit der Arbeit nicht rechtzeitig fertig werden. Müssten die Folgen solch speditiven Führens in Rechnung gestellt werden, sähen die Bilanzen übel aus in den Unternehmen, wo Führungskräfte Zeit einsparen, indem sie Arbeit abschieben - und das in der vollen Überzeugung, die Kunst des Delegierens zu beherrschen.
Doch Anweisungen zwischen Tür und Angel, «Mach noch schnell …» per Handy oder SMS und «Könnten Sie mal eben …» per E-Mail haben nichts mit Delegieren zu tun. Es ist ein Herumscheuchen der Mitarbeiter. Die Folgen: Rätselraten im Team, Diskussionen mit anderen Abteilungen, Kunden oder Lieferanten. Oder man macht, was man meint verstanden zu haben. Oder startet eine Rückfragerunde, um Genaueres zu erfahren oder sich wenigstens abzusichern. Mit anderen Worten: Ein überdynamischer Vorgesetzter mag den Eindruck vermitteln, effizient zu sein, aber er riskiert die Effektivität seiner Mannschaft - und deren Motivation.
Mitarbeitende fördern
Grund genug, sich eingehend mit der Kunst des Delegierens auseinanderzusetzen. Denn Delegieren hat nicht nur den Zweck, die Führungskraft zu entlasten, es geht auch darum, Mitarbeiter zu fördern, ihnen eine Chance einzuräumen, sich weiterzuentwickeln. Und das schafft nur, wer loslassen kann. Jean-Claude Gsponer von der gleichnamigen Consulting Group in Basel: «Wer richtig delegieren will, muss zunächst lernen, Prioritäten zu setzen und sich von vertrauten Arbeiten zu lösen.»
Dabei handle es sich oft um jene Aufgaben, die der Vorgesetzte selbst beherrscht, durch die er an die jetzige Position gekommen ist. Sie abzugeben an Mitarbeitende, die es vielleicht anfänglich weniger gut können, fällt vielen Führungskräften schwer. Fast so schwer, wie echtes Vertrauen in ihre Mitarbeiter zu haben. Aber beides ist Voraussetzung. Denn: «Beim Delegieren gebe ich nicht nur einen Stapel Arbeit ab, ich übergebe eine Aufgabe», sagt Jean-Claude Gsponer. Und das verlange von der Führungskraft sorgfältige Überlegungen, sagt Peter Faidt von TrainArt, Konstanz. Die vorab zu beantwortenden Fragen sind: Wer soll warum, was, wie, mit welchen Ressourcen und Kompetenzen, bis wann, in welcher Qualität erledigen? Und diese Vorbereitung braucht Zeit, bestätigt auch Arbeitspsychologin Lilo Schwarz aus Luzern: «Spontan delegieren geht nämlich nicht.» Richtiges Delegieren müsse geplant werden, denn es seien nicht nur Aufgaben und Kompetenzen zu übergeben, es müsse auch Verantwortung übertragen werden - und damit ein Teil der Macht und der Anspruch auf Erfolg.
An sich wäre das nicht unbedingt eine Kunst, sagt Renato C. Müller vom Institut für Organisation und Personal der Uni Bern. «Doch viele Führungspersonen delegieren zu ungenau.» Ein Mangel, der noch verstärkt wird durch die neuen Technologien - und beschleunigt. Man meint, dass man immer und überall dabei sein kann und muss. Es werden viele Nachrichten gesendet - oft im Telegrammstil oder nur in Stichworten. Die Folge davon ist, dass der Empfänger entweder die Übersicht verliert oder ins Grübeln kommt: Ist das ein Auftrag, ein Wunsch, ein Hinweis oder nur zur Kenntnisnahme?
Beschleunigung fordert heraus
Um solches zu vermeiden, müssten die wesentlichen Punkte des Delegierens präzise geklärt werden (siehe Box). Nicht etwa trotz, sondern gerade wegen der neuen Informationstechnologien. «Denn die Beschleunigung ist eine Herausforderung - sowohl für die Führungspersonen als auch für die Mitarbeitenden», sagt Renato C. Müller. Und die Wahrscheinlichkeit von Missverständnissen ist wesentlich höher als noch zu jener Zeit, wo man die Aufgaben von Angesicht zu Angesicht besprochen hat.
Nutze man die neuen Medien, seien strikte Regeln erforderlich: Beispielsweise ein festgelegter Ablauf für das Delegieren von Aufgaben per E-Mail. Wichtig dabei: «Der Empfänger muss bestätigen, dass er genau verstanden hat, was er womit bis wann erledigen soll.»
Auch Jean-Claude Gsponer plädiert für gute Vorbereitung und sinnvolles Nutzen der neuen Medien. Delegiere man per E-Mail, könnten wichtige Informationen gleich schriftlich festgehalten werden, was Missverständnissen vorbeuge. «Aber das setzt natürlich voraus, dass man sich genügend Zeit nimmt und nicht der verführerischen Spontaneität des E-Mails erliegt.» Richtig eingesetzt, erleichtern die neuen Medien das Delegieren: Mit Programmen wie Outlook können Aufträge elektronisch verschickt und automatisch überwacht werden - kaum mehr wegzudenken, wenn dezentralisiert gearbeitet wird. Und doch sind es nur Hilfsmittel, die den persönlichen Austausch beim Delegieren nicht ersetzen können.
Technologie und Kunst
Musik in den Ohren jener Menschen, die sich nicht gerade als Elektronik-Freaks bezeichnen würden. Mitarbeiter über 56 Jahre etwa, die laut einer Studie von Renato C. Müller die neuen Medien signifikant weniger nutzen als die 26- bis 35-Jährigen. Zudem seien nur etwas mehr als 45% der befragten Personen der Ansicht, dass sich die neuen Medien sehr gut oder gut für das Delegieren eignen - mehr als die Hälfte ist diesbezüglich skeptisch eingestellt.
«Nichtsdestotrotz, der technologische Fortschritt wird weitergehen», sagt Müller. Die Instrumente werden noch ausgefeilter: Sprachsteuerung beispielsweise. Doch welche Wunderwerke auch immer uns in Zukunft die Arbeit erleichtern oder erschweren mögen, eines wird bleiben: Die Kunst, richtig zu delegieren.