Der Stellvertreter des Chefs hat wieder diesen Gesichtsausdruck, der andeutet: Der da oben nervt! «Auf meinem Mist sind die Sparmassnahmen nicht gewachsen», setzt er an und verdreht die Augen, «aber der Boss hats halt angeordnet. Und ihr wisst ja, dass er ungemütlich werden kann, wenn es nicht subito nach seinen Vorstellungen läuft.»
Das Beispiel aus dem fiktiven Handbuch «Die Nummer zwei – was Stellvertreter vermeiden sollten» zeigt: Das Verhältnis zwischen der Nummer eins und der Nummer zwei ist nicht einfach. Aber es muss auch nicht zwangsläufig problematisch sein. «Das ist es auf jeden Fall sehr viel weniger, wenn klar ist, wie und warum jemand Stellvertreter geworden ist», sagt Norbert Thom, Professor und Leiter des Instituts für Organisation und Personal an der Universität Bern.
Heikle Situationen
Der Überzeugung des Experten nach braucht es klare Selektionsverfahren und keine Willkürentscheide. Auch wer Nummer zwei werden will, sollte die nötige Qualifikation mitbringen. Das ist aber nicht immer der Fall. Nicht selten sind Stellvertreter installiert worden, die partout keine Führungspersönlichkeiten sind und keinerlei Fachkompetenz besitzen. Sie wurden aus nicht nachvollziehbaren Gründen installiert – weil sie an der Reihe waren, schon lange in der Firma oder mit dem Chef per Du sind, sich vielleicht hochdienten (siehe unten).
Eigentlich müsste man sie zurückstufen, findet Thom. «In vielen Firmen tut man sich damit aber schwer.» Und der neue Chef will nicht gleich Geschirr zerbrechen. Eine Leitungsfunktion wieder abzugeben, komme schnell einer Degradierung gleich. Und dies sei fast eine Hinrichtung und mit Prestigeverlust verbunden. Dabei sei es für Unternehmen schädlich, aus reiner Bequemlichkeit an Fehlbesetzungen festzuhalten.
Heikle Situationen kann es auch geben, wenn ein Stellvertreter selbst Chef werden wollte, ein anderer aber das Rennen gemacht hat. Ist der Verlierer illoyal, neidisch oder sägt er am Stuhl der Nummer eins, sind Konflikte programmiert. Gefahr lauert auch dort, wo die Nummer zwei sich nicht mit der Unternehmensphilosophie identifizieren kann. Und wenn sie sichtlich Mühe hat, Beschlüsse mitzutragen und zu kommunizieren. Die Empfehlung der Experten lautet in beiden Fällen: Entweder einen Weg finden, konstruktiv zu kooperieren, oder aber den Stellvertreter zur Kündigung bewegen – oder ihm gleich selbst kündigen.
Schauen, dass der Flug reibungslos klappt
Selbst wenn das Team ideal besetzt ist und der Selektionsprozess korrekt verlief, ist der Erfolg eines Führungsgespanns nicht garantiert. Es klappe immer dann gut, wenn klar sei «was in ihren Zuständigkeitsbereich fällt», sagt Personalmanagement-Professor Thom. Mitarbeitende müssten genau wissen, welche Rolle der Stellvertreter hat. Was ist ihre Aufgabe, ihre Kompetenz, ihre Verantwortung? Ist jemand nur Platzhalter, bis der Chef oder die Chefin aus den Ferien zurück ist? Ist jemand weisungsbefugt in bestimmten Bereichen? Oder vertritt jemand den Chef in sämtlichen Belangen und hat sogar alle Unterschriftsvollmachten? Klare Rollen festzulegen beugt Unsicherheiten vor.
Ideal ist eine Rollenverteilung wie im Luftverkehr: Pilot und Kopilot bilden ein Tandem. Der Stellvertreter erhält alle Informationen, die auch der Flugkapitän bekommt. Einziger Unterschied: Der Kopilot ist jünger und hat weniger Erfahrung. Die Nummer zwei lernt von der Nummer eins und kann das Steuer übernehmen, wenn es sein muss. Der Kopilot weiss aber auch: Ich respektiere den anderen, zur Rivalität besteht kein Anlass. Der Vorteil: Der Wissensaustausch funktioniert, beide arbeiten Hand in Hand und konzentrieren sich aufs Wesentliche: Nämlich schauen, dass der Flug reibungslos klappt.
Idealfall Pilot und Kopilot
Wie im Cockpit, darf der Chef seinen Vize in der Firma nicht an der kurzen Leine halten- sonst übernimmt er sich. Die Nummer eins muss der Nummer zwei aber den Raum lassen, sich eine selbstständige Position aufzubauen, heisst es bei der Personalvermittlungsfirma Jörg Lienert (siehe Interview). Wenn der Stellvertreter derjenige bleibt, der wie Harry Klein bei Derrick nur den Wagen vorfährt, entstehen Frust und das ungute Gefühl, von der Belegschaft belächelt zu werden.
Der Stellvertreter muss sich seinem Chef gegenüber loyal verhalten. Ist ein Beschluss gefallen, muss er ihn sachlich vortragen, auch wenn er ihm nicht passt. Denn Mitarbeitende beobachten genau und reagieren mitunter genüsslich, wenn sich Chef und Stellvertreter nicht einig sind. Damit der Flug problemlos klappt.
Interview mit Markus Theiler, Jörg Lienert AG, Luzern: «Prinz-Charles- Effekt»
Ist die Nummer zwei zwangsläufig in der Verliererposition?
Markus Theiler:
Der aktuelle Hype am Ausbildungs- und Weiterbildungsmarkt suggeriert leider, dass jeder eine Karriere und damit die ultimative Führungsrolle anstreben muss. Eine Nummer zwei zu sein, ist so gesehen bereits ein Malus.
Und das ist der falsche Ansatz?
Ja. In guten Selektionsverfahren werden Kompetenzfelder definiert, ein Persönlichkeitsprofil gibt Auskunft darüber, in welcher Rolle Bewerberinnen und Bewerber speziell stark sind. Ist jemand wirklich der Leadertyp? Oder aber der Supporter, Praktiker, Experte, Analytiker? Nur wer seine persönliche Rolle findet, kann erfolgreich sein. Dies ist der Schlüssel zum Erfolg für die ganze Firma.
Wann aber verliert ein Stellvertreter tatsächlich das Gesicht?
Schwierig wird es, wenn jemandem eine Nummer-Eins-Funktion versprochen wurde, er aber bei der Neubesetzung übergangen wird. Mit diesem Gesichtsverlust in einem Unternehmen zu überleben, ist praktisch aussichtslos. Ähnlich schädlich ist der «Prinz-Charles-Effekt»: Jemand wird als Nachfolger des Chefs gehandelt. Ihn aber tatsächlich einzusetzen, dafür gibt es keinen Zeitplan. Dies untergräbt die Reputation und die Funktion des «ewigen Zweiten».
Welches Stellvertretermodell funktioniert Ihrer Erfahrung nach gut?
Jedes Modell, bei dem die Rollen geklärt sind. Eine mögliche Lösung ist, dem Chef eine Art Stabsfunktion beizuordnen. Die eigentliche Führungsperson übernimmt den Part an der Front. Ihre rechte Hand ist bei internen Diensten engagiert oder wickelt Aufträge ab. Die beiden haben oft unterschiedliche Persönlichkeiten und Stärken, ergänzen sich aber im Idealfall perfekt.
Dafür muss auch die Chemie stimmen.
Das ist wichtig, ja. Chef und Stellvertreter müssen harmonieren, als eingespieltes Team agieren und sie dürfen sich keinesfalls auseinander dividieren lassen. Interne Machtspiele schwächen ein Unternehmen, erzeugen Stillstand und ein Vakuum. Wenn ein solches Tandem gut funktioniert, ist es meistens von gegenseitiger Wertschätzung und Effizienz geprägt.
Entsteht bei der rechten Hand nicht der Ehrgeiz, die Nummer eins zu werden?
Viele Vize haben oft keinerlei Ambitionen, selber die Cheffunktion zu übernehmen. Sie wollen aber gefragt und einbezogen sein, wenn die übergeordnete Funktion neu besetzt wird. Oder sie folgen ihrem Chef, wenn dieser weiterzieht.
Fallstricke: Stellvertreter, die keiner braucht
Der Platzhalter:
Er kann nichts, weiss nichts, darf nichts. Sein Standardspruch: «Das kann ich Ihnen auch nicht sagen, da müssen Sie warten, bis der Chef wieder da ist.»
Die Wasserträger:
Werden gerne eingesetzt von Chefs, die ihre Autorität nur aus der formalen Stellung beziehen, nicht aber aus ihrer Expertise und ihrer Persönlichkeit. Der Grund: Starke Stellvertreter könnten ihnen schnell gefährlich werden.
Die Hofschranzen:
Extremform der Wasserträger. Werden gerne gehalten von Chefs mit einer «Yes-Mister-President-you-are-right-Kultur». Die Gefahr: Chefs, die sich nur von Jasagern umgeben, verlieren die Bodenhaftung.
Die Geduldeten:
Gehören schon ewig zum Betrieb und wurden irgendwann einmal befördert. Beförderungskriterien? Zahl der Dienstjahre. Führungsqualifikation? Fehlanzeige. Zuständigkeitsbereich? Weiss keiner so genau.