Im Silicon Valley kursiert folgende Geschichte über Sundar Pichai: Als Google-Chef Larry Page das Startup Nest für über drei Milliarden Dollar kaufen wollte, schickte er Pichai zu dem Hersteller von intelligenten Thermostaten und Rauchmelder. Er sollte Nest-CEO Tony Fadell davon überzeugen, dass er auch bei Google viel zu sagen haben und dass er mit dem anstrengenden Google-CEO schon klarkommen würde. Fadell verkaufte Nest an Google.
Für viele Beobachter war das Verhandlungsgeschick, das Pichai damals bewies, ein klarer Beweis, dass er dem Google-Gründer Page auf den Unternehmensthron folgen würde, sollte Page in absehbarer Zeit abtreten.
Sundar Pichai an der Google-Spitze
Lange mussten sie nicht warten. Am Montag ernannte Page Pichai zum neuen Google-Chef und kündigte einen Konzernumbau an. Page selbst wechselt an die Spitze einer neuen Konzern-Holding namens Alphabet, die er als ein «Sammelsurium an Unternehmen» bezeichnet.
Das hochprofitable Such- und Anzeigengeschäft sowie das marktbeherrschende Smartphone-Betriebssystem Android, Karten, Apps oder Youtube werden in einer Tochtergesellschaft gebündelt, die weiterhin Google heisst. Alle anderen Tätigkeiten, die viel Geld verschlingen und eine ungewisse Zukunft haben, werden in andere Alphabet-Tochtergesellschaften gesteckt.
Steile Karriere
Der 43-jährige Pichai hat eine steile Karriere hingelegt. Als er vor elf Jahren bei Google anfing, war er für das Suchfeld oben rechts in Webbrowsern zuständig, einer von rund zwölf Produktmanagern.
Aber Pichai baute seine Zuständigkeiten schnell aus. Er brachte seine Chefs dazu, in den hart umkämpften Browser-Markt einzusteigen. Als Google 2008 auf einer Pressekonferenz im Googleplex in Mountain View den Chrome-Browser enthüllte, stand Pichai erstmals im Rampenlicht der Medien. Die wenigsten anwesenden Journalisten hätten damals prophezeit, dass Chrome zum Marktführer aufsteigen würde. Oder dass der sehr schlanke Mann mit der sanften Stimme, der Chrome präsentierte, sieben Jahre später Google-Chef werden würde.
Vater von Gmail und Google Docs
Nach dem Chrome-Launch wurde Pichai zum Vice President befördert, später zum Senior Vice President. Er verantwortete den Ausbau von Chrome zu einem Notebook-Betriebssystem. Vor vier Jahren übernahm er die Verantwortung für Google-Anwendungen wie Gmail und Google Docs. 2013 machte Page ihn zum Chef des Smartphone-Betriebssystems Android.
Vor zehn Monaten ernannte der Google-Boss den Brillenträger mit der Vorliebe für Pullover mit V-Ausschnitt zum Chef aller Produkte. Damit war er die Nummer zwei von Page.
Steiniger Weg an die Spitze
Nun ist er die Nummer eins, lenkt eines der mächtigsten Technologieunternehmen der Welt und die grösste Alphabet-Tochter, die weiterhin fast den ganzen Umsatz und Gewinn des gesamten Konzerns erwirtschaftet. Auch im jüngsten Quartal machten Suchanzeigen 90 Prozent des auf 17,7 Milliarden Dollar gestiegenen Umsatzes aus.
Der Weg an die Spitze war steinig. Pichai wuchs in Chennai an der südöstlichen Küste Indiens auf. Die vierköpfige Familie lebte in einer kleinen Wohnung, die Söhne schliefen im Wohnzimmer. Telefon, Fernseher und Auto gab es lange nicht. Transportmittel war eine blaue Lambretta, auf der die Familie zu viert unterwegs war.
Stipendium für Stanford
1993 erhielt Pichai ein Stipendium für Stanford, die Eltern mussten ihr Bankkonto plündern, um dem Sohn den Flug nach Kalifornien zu bezahlen. «Meine Eltern taten, was viele Eltern damals taten», sagte Pichai in einem Interview. «Sie haben viel geopfert und fast ihr gesamtes verfügbares Einkommen aufgebraucht, damit ihre Kinder eine Ausbildung bekamen.»
Pichais Aufstieg an die Google-Spitze, ein von Informatikern dominierter Zirkel, ist aus verschiedenen Gründen aussergewöhnlich. Er ist zwar Absolvent der Elite-Universitäten Indian Institute of Technology (IIT) und Stanford, studierte aber Materialforschung, nicht Informatik. Er hat ausserdem einen MBA von der Wharton School.
Vergangenheit bei McKinsey
Bevor er 2004 zu Google kam, sammelte er Erfahrung als Berater bei McKinsey und im Produktmanagement des weltgrössten Chipausrüsters Applied Materials. Zudem setzte der zweifache Vater in einer von aggressiven Grabenkämpfen geprägten Führungskultur immer auf Takt, Diplomatie und Teamwork. Er gilt im Unternehmen und der Branche als sympathischer Mensch und Vermittler.
Im Silicon Valley wird jetzt spekuliert, dass Google den Umbau einleitete, um Pichai mit einem CEO-Titel bei der Stange zu halten, ohne dass Page abtreten muss. Letztes Jahr wollte Microsoft wissen, ob er CEO werden wolle. Jetzt sucht Twitter händeringend nach einem neuen Chef. Pichai dürfte auf der Kandidatenliste zuoberst gestanden haben.