Um ganz direkt am Puls der Konsumenten zu sein, setzt Carl Elsener jun. auf Brandstores an besten Adressen in Soho, New York, zweimal in Tokio und neu London. Das Stammhaus Victorinox in Ibach aber ist beeindruckend unspektakulär sowie funktional und lässt den Charme von 125 Jahren Geschichte spüren. «Doch an beiden Orten führen wir mit Werten auf christlicher Grundlage», fügt der Chef in vierter Generation an.
«Jede Generation hat ihre eigenen Visionen umgesetzt - und hielt grundlegende Werte immer hoch.» Das überzeugte auch die Beschaffer der neuen Schweizer Armeemesser: Trotz harter chinesischer Günstig-Konkurrenz werden die Rekruten seit dem Jahr 1891 ununterbrochen mit Qualität aus Ibach ausgerüstet.
Ruhig, fast ein bisschen schüchtern erläutert Elsener den jüngsten Markterfolg. Bildlich freuen sich hinter ihm im «Ahnenzimmer», dem schlichten Sitzungsraum im Stil der 60er-Jahre, die wichtigen Personen der Firmengeschichte mit. Schlichte, kleinformatige Bilder zeigen den initiativen Handwerksmeister und Firmengründer Karl Elsener und dessen Mutter Victoria, die den Firmennamen geprägt hat.
Karl Elsener wollte sich gemeinsam mit kleinen Handwerksbetrieben den Grossauftrag für Soldatenmesser der Schweizer Armee nicht entgehen lassen. Doch als die bereits industrialisierte Konkurrenz in Solingen viel günstiger offerierte, stiegen die andern aus. Elsener konnte nur dank Hilfe der Verwandtschaft den Konkurs vermeiden. Nachträglich zahlte er aber Schuld und Zinseszinsen zurück, als das 1897 patentierte Offiziersmesser mit sechs Werkzeugen den Durchbruch brachte. Gemeinsames Vorgehen und die Redlichkeit hat Carl Elsener jun. in die heutige Führungsphilosophie mitgenommen.
Von Visionen geleitet
Sein Grossvater Carl überzeugte dank hoher Qualität und dem rostfreien Stahl die ganze Schweiz. Das muss harte Arbeit gewesen sein. «Oft hat die Grossmutter erzählt, wie sie am Mittag auf den Pöstler gewartet habe. Gut war, wenn er neue Aufträge brachte. Andernfalls hiess es, aus dem Haushaltgeld Löhne der Arbeiter auszuzahlen.» Das Credo, niemanden aus wirtschaftlichen Gründen zu entlassen, gilt nach wie vor. «Nach dem Terroranschlag in New York brach der Absatz im Kerngeschäft der Taschenmesser um fast ein Drittel ein. Dank des guten Beziehungsnetzes in der Region - dem «Swiss Knife Valley» - und einem Lageraufbau gab es auch im Jahr 2001 keine Entlassungen.»
Carl Elsener sen. trieb den Schritt auf den Weltmarkt voran. Möglichst viel Nutzen für die Kundschaft, sparsam und sorgfältig sein, standen als Werte hinter dieser Generation. So wurde 1980 der Neubau besonders isoliert, die Abwärme heizt zusätzlich rund 100 Wohnungen. Heute heisst diese Vorgabe Nachhaltigkeit - doch Elsener ist der christliche Begriff der «Bewahrung der Schöpfung» lieber. So oder so, 2008 erhielt Victorinox von der Schweizerischen Umweltstiftung den Umweltpreis und dieser Tage den Fairness-Preis.
Victorinox ist ein starker Brand. Wie etabliert Victorinox ist, belegt auch, dass das Logo mit Schild und Kreuz trotz neuer Schutzbestimmungen für das Schweizer Wappen unverändert auf jedem Messer prangen darf. «Nur als starke Marke bestehen wir gegen die günstigen, wenn auch - noch - qualitativ minderwertigen Kopien», sagt Elsener.
Da Konzept passte gut zu einer Anregung des amerikanischen Vertriebspartners: Schritt um Schritt wurde das «Superkonzept» aus höchster Schweizer Qualität, Funktionalität mit viel praktischem Nutzen, bestem Design und ständigen Innovationen auf Uhren, Freizeit- und Berufsbekleidung und Reisegepäck übertragen. «Sehr zurückhaltend stiegen wir ein», erinnert sich Elsener.
Die Seele der Marke
Doch als die Chefs in den USA allzu stark auf Quartalszahlen und kurzfristige Erfolge zu schielen begannen, wurde die börsenkotierte Firma kurzerhand aufgekauft. «So erhielten wir wieder die Kontrolle über den Auftritt auf unserem wichtigsten Markt. Die Seele der Marke darf nicht verloren gehen. Was wir machen, machen wir gut oder nicht.»
Doch wie funktioniert das bei Bekleidung, Gepäck oder Schirmen, Artikel, die weitgehend in Fernost fabriziert werden? «Massstab bleibt die Schweizer Qualität», betont Elsener. Um den guten Ruf und die Tradition fairer Arbeitsbedingungen nicht zu gefährden, achte Victorinox bei den Lieferanten oder Lizenznehmern aber nicht nur auf die guten Materialien, sondern auch auf gute Arbeitsbedingungen. «Zur strengen Aufsicht gehören Besuche vor Ort.»
Jüngstes Produkt ist Parfum, wiederum ein ganz in der Schweiz kreiertes und hergestelltes Produkt. «Mir wäre das wohl gar nicht in den Sinn gekommen, und so war ich erst skeptisch, als wir diese Linie beim Kauf des Konkurrenten Wenger mit übernahmen. Heute kümmert sich meine Frau um diesen Bereich - und das emotionale Produkt ist eine wertvolle Ergänzung der scharfen Messer.» Gekauft wurde Wenger 2005 ohne Bankdarlehen, auch das ein Ausdruck der sorgfältigen Vorgehensweise.
Das tönt unspektakulär, konservativ, ein bisschen demütig. «Antizyklisches Verhalten bedeutet Masshalten in Zeiten der Hochkonjunktur. Sorgfältig versuchen wir langfristige Trends von kurzfristigen Moden zu unterscheiden», sagt Elsener. «Da werden wir manchmal belächelt, doch läuft es allgemein schlechter, werden wir manches Mal bewundert.»
Von aussen charakterisiert das Personalchef Robert Heinzer knapp: «Beides braucht Charakterstärke und eine starke Strategie. Das können nur Unternehmer und Leute mit christlichen Grundwerten.» Die Stärke zahlt sich für Elsener aus, wenn der Absatz schwächelt: «Dann haben wir genügend Mittel, um Werbung und Marktauftritt zu verstärken.»
Eine christliche Grundhaltung als Bindeglied über die Generationen wird im Gespräch mit Elsener immer wieder spürbar. «Wir sind keine Manager im Elfenbeinturm, sondern als Familie sichtbar, die sich einsetzt.» Der Führungs-Codex für das individuelle und situative Führen richtet sich auf die sogenannten «weichen» Faktoren aus. Und nicht zufällig umfasst er sieben Punkte, die Zahl, die in der Bibel nicht nur bei der Schöpfungsgeschichte wichtig ist.
Vertrauen und Respekt
«Uns leiten grundlegende Werte»: Diese Haltung will Elsener aber nicht nur den Wurzeln der Firma in der Innerschweiz zuschreiben. «Das tragen auch unsere Beschäftigten mit jüdischem, islamischem oder hinduistischem Glauben mit. Ebenso schätzen Kunden und Lieferanten rund um die Welt unsere Haltung, fair, ehrlich, offen, mit gegenseitigem Vertrauen und Respekt zu arbeiten.»
Die Haltung umfasst weitere Bereiche. So finden drei Mal täglich fünf Minuten Übungen in Alexandertechnik statt. «Sogar mein 86-jähriger Vater macht manchmal mit», freut sich Elsener. «Gesundheit macht Menschen glücklich» - und zugleich sanken die Absenzen wegen Krankheit von 55000 auf unter 30000 Stunden jährlich.
Elsener hat wie seine zehn Geschwister seine Aktien in eine Unternehmensstiftung eingebracht. Sie hält 90% des Aktienkapitals, der Rest liegt bei Vater, Onkel und einer Tante. «Damit sichern wir langfristig die Unternehmung und damit gute Arbeitsplätze.» Denn die Hierarchie der Werte bleibt sich gleich: «Mitarbeitende, Kunde, Produkt und - mit etwas Abstand - Marke.»