«Ja, ich bin definitiv ein Aussteiger », sagt Lukas Speiser in der Kantine seines Start-up im Zürcher Industriequartier. Während er früher bei Goldman Sachs Schweiz mit institutionellen Anlegern wie Hedgefonds gearbeitet hat, nimmt er heute Bestellungen für edle Sexspielzeuge entgegen. Gemeinsam mit seinem Kollegen Alan Frei, der ebenfalls aus der Finanzwelt kommt, und zwar von einer Private-Equity-Firma, hat er Amorana. ch aufgezogen. Das ist ein Online-Versand für Liebeskugeln, Vibratoren und Penisringe.

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Banker, die aus ihrer Branche ausgestiegen sind, gibt es viele. Doch Banker, die in die Sexindustrie wechseln, sind selten. Lukas Speiser erzählt ohne Scheu von seiner alten und seiner neuen Welt. «Manchmal vermisse ich die Finanzwelt», sagt Speiser. «Ich handle zwar immer noch privat an der Börse, aber die damalige Nähe zum Markt war einfach sehr reizvoll.»

Goldman-Kollegen reagierten positiv

Warum ausgerechnet Sexspielzeuge sein neues Geschäft wurden, erklärt Speiser so rational, als sässe er einem Geschäftskunden in einer Bank gegenüber: «Ich glaube, dass E-Commerce in der Schweiz noch ein sehr hohes Potenzial hat. Jedes Jahr werden mehr Pakete von der Post versandt. Die Entwicklung in Deutschland ist noch weiter, was unserer Ansicht nach das Potenzial in der Schweiz bestätigt.»

Als er seinen ehemaligen Goldman-Sachs-Kollegen von seiner Neugründung erzählte, hätten die meisten positiv reagiert: «Einige wenige Kollegen haben vielleicht mit Erotik-Toys noch ein Schmuddelimage assoziiert, aber inzwischen sind auch diese überzeugt.» Genauso offen sei seine Familie für seine Geschäftsentscheidung gewesen. Alle hätten das Potenzial im E-Commerce erkannt. Ob man mit Mode oder Handschellen handele, sei da zweitrangig.

Nicht ganz so locker läuft es in der Sexindustrie allerdings mit der Rekrutierung von neuen Mitarbeitern. Wenn etwa ein Werbeverkäufer angeworben werden soll, meldet dieser schon mal Bedenken an, ob er einen Online-Sexshop in seinem Lebenslauf haben will. Diese Probleme seien aber relativ selten, so Speiser.

Aussergewöhnlicher Aussteiger

Das Ziel von Speiser und seinem Kollegen Frey ist, ein Luxussegment von Erotikprodukten in der Schweiz zu etablieren. Das heisst, keine billige Pornographie auf der Verkaufsseite, keine Dildos aus billigem und vielleicht sogar gesundheitsschädlichem Material im Angebot, sondern aufwendig designte und hergestellte Produkte. Was zählt, ist eine edle Aufmachung für zahlungskräftige Kunden.

Vielleicht hat Speiser seine Kunden aus der Finanzwelt im Kopf? Jedenfalls sieht er in der Schweiz in diesem Bereich eine grosse Marktlücke: «Die Ansprüche an hochwertigen Erotikprodukten sind in den letzten Jahren extrem gestiegen. Wir wollen weg vom Billigimage und dem Schmuddeligen, das viele immer noch mit Sexspielzeug in Verbindung bringen», sagt Speiser. «Im Grunde wollen wir hochwertige Lifestyleprodukte anbieten.»

Sexspielzeug ab 39 Franken

Aber kommt das bei den Kunden an? Wer zahlt für Spielzeuge mehrere Hundert Franken? Lohnt sich für Speiser und seinen Geschäftspartner die Investition in 100-prozentiges medizinisches Silikon bei den Produkten, oder ist das den Kunden egal? Die Planungen des Teams würden bisher von den guten Zahlen übertroffen, hält Speiser entgegen. «Im April hatten wir einen sehr guten Start, was die Besucherzahlen betrifft, und seitdem sind die Zahlen gewachsen.» Von einzelnen Produkten würden inzwischen mehrere Hundert im Monat abgesetzt.

Zudem seien nicht alle Produkte im Hochpreissegment, manche Sexspielzeuge seien schon für 39 Franken zu haben, im Durchschnitt gehe der Preis bis zu 300 Franken, selbstverständlich mit Ausreissern nach oben: «Am teuersten ist bei uns vielleicht ein Goldvibrator für 3650 Franken», sagt der 32-jährige Erotikunternehmer. Im Gesamtmarkt sei dieser Preis noch moderat, von Diamantendildos bis Produkten aus Platin sei alles zu bekommen. Die Preise gingen dann in die zehntausend Franken.

Bankerfahrung hilft Speiser

Speisers Finanz- und Bankenerfahrung, erst als Anfänger bei der UBS und dann später bei Goldman Sachs, helfe ihm. Es gehe stets darum, Produkte zu verkaufen – ob es sich um institutionelle Anleger oder verliebte Paare handele, mache keinen grossen Unterschied.

Von seinen ehemaligen Bankkollegen habe er wohl das aussergewöhnlichste Aussteigerszenario gewählt. Viele seiner Freunde hätten innerhalb der Branche den Job gewechselt. Die allermeisten seiner damaligen Bürokollegen seien aber immer noch in der Bankenwelt.

Und das sei heute eine «ganz andere Welt» als damals, als Speiser 2007 eingestiegen war. «2007, als ich anfing, war noch alles gut, die Märkte eilten von Rekord zu Rekord.» Doch als die Bank Lehman unterging, sei es turbulent geworden. «Natürlich sind die Zeiten härter geworden», sagt er. Schliesslich hatte er die Nase voll, verliess Goldman und gründete seine eigene Firma.

Extremes Wachstum

Für nostalgische Erinnerungen oder Aufarbeitungen der Finanzkrise nach dem Lehman-Kollaps bleibt Speiser wenig Zeit. Der Markt für Sexspielzeuge wachse extrem, ständig müssten neue Produzenten gefunden und kontinuierlich evaluiert werden. Erst vor wenigen Tagen war er in Polen, um Produktionsbetriebe zu besuchen. Für ihn und seinen Geschäftspartner ist es wichtig, die Produktion so stark wie möglich in Europa zu halten.

Der allergrösste Teil der Produkte käme nämlich aus China, bei dortigen Lieferanten seien seine hohen Qualitätsanforderungen aber nicht immer garantiert. Während man sich von dubiosen Produzenten abgrenzen müsse, bemühe er sich zudem auf der anderen Seite des Produktionsspektrums, die neuesten Designprodukte zu bekommen. Und dieser ziehe die besten Designer an, so habe beispielsweise der Entwickler des legendären Fitnesstools Jawbone für das Design eines Sextoys viel Zeit investiert. Solche Trends gelte es im Blick zu halten.

Neueste Trends

Lukas Speiser präsentiert die neuesten Trends und Fotos zum Sexspielzeugmarkt so gewissenhaft auf seinem Laptop, als ob er Aktiencharts analysiere. Auch wenn es etwa darum geht, Paartoys zu erklären. Das ist Spielzeug, das nur von einem Paar gemeinsam benutzt werden kann. Stets wirbt er für seine Produkte, als ob es um die neuesten Smartphones ginge. Sie seien wasserdicht und hätten eigene Aufladestationen. Er ist begeistert von den Möglichkeiten der Technik.

Inmitten der anderen Start-ups, die sich in dem Bürogebäude eingemietet haben, fühlt er sich sichtlich wohl. Speiser mag mit seinem Einstecktuch und dem Designeranzug vielleicht noch ein wenig wie ein Abkömmling der Bankenwelt aussehen. Doch dann ruft schon wieder das Büro. «Daily Business», wie er sagt. Der Versand läuft noch über seine Büroräume und ist noch nicht ausgelagert. Kundenanfragen seien zu beantworten, Beschwerden und Bestellungen abzuwickeln.

Der Paradeplatz mit seinen Banken ist in solchen Momenten für den Start-up- Unternehmer sehr weit weg. Lukas Speiser wirkt viel beschäftigt – aber ziemlich glücklich.