«Manche fragen dann, ob ich immer die neuesten Geräte habe», sagt Brühlmann. Doch mit iPhone & Co. hat ihre Arbeit nur mittelbar zu tun. Die 43-Jährige leitet seit Anfang des Jahres bei der Notenstein Privatbank, St. Gallen, das Digital Office. Diese neu geschaffene Abteilung ist mit Mitarbeitern aus IT und Kommunikation besetzt und soll die zukünftige digitale Strategie des Traditionshauses erarbeiten.

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Das bedeutet in der aktuellen Pionierphase vor allem: Recherchieren, Wissen sammeln, den Puls des Netzes fühlen. «Wir schauen uns an, welche Trends von Bedeutung sein könnten», erklärt Brühlmann. Wobei sich ihr Team bewusst nicht nur auf den Finanzsektor konzentriert. Airlines, Krankenkassen, Suchmaschinen – sie hat alles auf dem Schirm, was sich in der Wirtschaft digital tut. «Wir müssen über den Tellerrand hinausschauen», sagt die Managerin.

Notenstein als Vorreiterin

Immer mehr Unternehmen gehen wie Notenstein vor: Sie benennen einen CDO – einen Top-Kader, der ausschliesslich dafür zuständig ist, den Weg in die digitale Zukunft zu weisen. 30 Prozent aller Unternehmen erwarten, dass sich dieses Berufsbild in den kommenden Jahren verbreiten wird, ergab eine Umfrage von Swiss Post Solutions im deutschen Sprachraum. Die Marktforscher von Gartner rechnen damit, dass langfristig in jedem vierten Unternehmen ein CDO zu finden sein wird. 1000 dieser elektronischen Häuptlinge soll es bis Ende des Jahres weltweit geben, behauptet der Berufsverband CDO Club.

Dass die Stelle gerade jetzt geschaffen wird, hat einen einfachen Grund: Die sogenannte digitale Transformation ist in vollem Gange. Unternehmen suchen händeringend nach Wegen, die neuen Möglichkeiten von Smartphone, mobilem Internet und Sozialen Medien für ihr Geschäft zu nutzen. Oder ihr Geschäft damit sogar völlig neu zu erfinden.

Für diesen digitalen Umbau braucht es einen Bauleiter – den CDO eben. «Im klassischen Management gibt es keinen Bereich, der das Thema ganzheitlich angehen kann», erklärt Manuel P. Nappo, Leiter des Center for Digital Business an der HWZ Hochschule für Wirtschaft, Zürich. Der Wissenschafter empfiehlt allen Unternehmen, den Posten eines CDO einzurichten. «Sie brauchen eine zentrale Innovationsfigur, die das Wissen zusammenträgt und die Ressourcen freigibt», so Nappo.

Nur wenige Firmen haben einen CDO

Bislang allerdings muss man die Digitalchefs mit der Lupe suchen. Lediglich in Medienhäusern und Werbeagenturen, beide besonders stark von der Online-Revolution betroffen, hat sich die Position schon etabliert. Gruner & Jahr, Ringier, Grey oder AZ Medien haben schon einen CDO ernannt. Die Schweizer Wirtschaft greift die Idee ebenfalls zaghaft auf, allerdings wird nicht immer ein neues Managementressort geschaffen. Bei der UBS Schweiz kümmert sich Andreas Kubli seit letztem Jahr um die Themen Multichannel Management & Digitalization.

Der wohl bekannteste CDO dürfte momentan Adam Brotman von Starbucks sein. Die Kaffeehauskette hat den neuen Chefposten 2012 geschaffen. Der Top-Manager ist unter anderem für den Internetauftritt, mobile Anwendungen, Soziale Medien und das Unterhaltungsprogramm in den Filialen zuständig.

Schaffung eines neuen Ressorts ist sinnvoll

Aber können nicht andere Führungskräfte diese Aufgaben miterledigen – der Chief Marketing Officer (CMO) oder der Chief Technology Officer (CTO)? «Natürlich übernimmt der CTO diese Aufgaben in einigen Unternehmen schon», sagt Wissenschafter Nappo. Dennoch hält er die Schaffung eines komplett neuen Ressorts für sinnvoll. Es gehe bei IT-Projekten nicht mehr allein um Technik – um Software oder Datenbanken –, sondern zunehmend auch um weiche Faktoren wie die Frage: Können wir mithilfe des mobilen Internets die Kundenerfahrung verbessern?

«Für solche Fragestellungen ist der CTO als reiner Techniker nicht der Richtige», so Nappo. Vom Chief Digital Officer wird deshalb mehr erwartet – vor allem Überblick. «Es geht nicht nur darum, E-Commerce oder digitales Marketing voranzutreiben, sondern zu schauen, wo überall durch die Digitalisierung neue Möglichkeiten – oder auch Risiken – für das Geschäft entstehen», sagt Dwight Cribb, Personalberater aus Hamburg. Er ist auf die digitale Wirtschaft spezialisiert und weiss, welche Fähigkeiten Top-Manager hier besitzen müssen.

«Wichtig sind einerseits technisches Verständnis und Neugierde, anderseits muss die Person auch Kenntnisse im Change Management mitbringen.» Gerade in Grossorganisationen sei schliesslich Beharrlichkeit gefragt, um Strukturen aufzubrechen. Dass für den Job des CDO nur junge Kandidaten, die mit Online-Medien gross geworden sind, infrage kommen, findet Cribb übrigens nicht. «Im Gegenteil: Die jeweilige Person braucht auch Erfahrung und ein gewisses Mass an Skepsis.»

Nur wenige, geeignete Kandidaten

Wie schwierig es ist, einen solchen Typus von Chef zu finden, weiss der Headhunter aus seiner täglichen Arbeit. «Die Kandidaten sind schon rar», sagt Cribb. Aktuell sucht er im Auftrag eines grossen Mittelständlers nach einem CDO, der sich in der Servicewirtschaft auskennt. Ein Manager, der sich für den Posten empfehlen will, muss vor allem Erfolge vorweisen können. «Wir suchen Leute, die schon einmal gewinnbringend Technologie eingeführt haben», erklärt Cribb.

Er gibt ein Beispiel: Ein Unternehmen hat seine Aussendienstler mit Tablet-PC ausgestattet, sodass schon vor Ort beim Kunden verbindliche Angebote gemacht und rechtskräftige Verträge aufgesetzt werden können. Ein Manager, der ein solches Projekt geleitet hat, würde sich für eine CDO-Position empfehlen.

Auch Managerin Brühlmann von Notenstein kann einen solchen sogenannten Track Record aufweisen. «Ich bin seit 15 Jahren digital unterwegs», sagt die gelernte Typografin. Ihre Karrierestationen: Ausbildung zur Webdesignerin, Einstieg in eine Agentur, Programmierung von Webseiten, Aufstieg in die Geschäftsleitung, dann Wechsel in den Finanzsektor. Sie vereint Technik-Know-how mit Marketingwissen – genau die Mischung, nach der Unternehmen bei der Besetzung einer CDO-Stelle suchen.

In einigen Jahren etabliert

Die wenigen Kader, die heute schon in dieser Position tätig sind, glauben fest daran, dass der heute noch exotische Chief Digital Officer in einigen Jahren so etabliert sein wird wie der Personalvorstand oder Finanzchefs. Doch es sind auch Zweifel angebracht. In den USA etwa ist der Siegeszug des elektronischen Leitwolfs teilweise schon ins Stocken gekommen. Top-Werbeagenturen wie Young & Rubicam und TBWA etwa haben den Posten schon wieder aufgelöst. Nicht wenige halten ihn schon jetzt für überholt. Ihr Argument: Die Digitalisierung des Geschäfts sollte die Aufgabe jedes Top-Managers sein, es braucht kein eigenes Ressort.

Nappo vom Center for Digital Business sieht den CDO eher als Übergangsphänomen. «Er fungiert als eine Art von Fährmann, der die Organisation ans neue Ufer bringt.» Er vergleicht die Entwicklung mit der von Social Media: Für viele Firmen sind Facebook & Co. noch Neuland, und vielerorts wird gefordert, einen zentralen Social Media Manager auf das Thema anzusetzen. Doch nach und nach werden die Rufe leiser. «Es setzt sich die Erkenntnis durch, dass alle Social Media beherrschen müssen», so Nappo.

Ähnlich wird das Schicksal des Chief Digital Officer ablaufen. Nappo bezweifelt, dass es den Posten in 20 oder 30 Jahren noch gibt – ganz einfach, weil bis dahin tatsächlich jedes Geschäft ein digitales Geschäft ist.

Was tut ein Chief Digital Officer?

  • Aufgabe
    Der CDO hat die Aufgabe, traditionell-analoge Geschäftsmodelle in digitale oder Multi-Channel-Modelle zu überführen.
  • Schneller Wandel
    Er verantwortet die Entwicklung der Firma in Bereichen, die sich besonders schnell verändern, wie mobile Anwendungen, Social Media und internetbasiertes Marketing.
  • Mehr als IT
    Im Unterschied zum Chief Information Officer erfordert die Stelle eines CDO einen Schwerpunkt im kaufmännischen und Marketingbereich.
  • Alleskönner
    Ein CDO hat eine abteilungsübergreifende Querschnittsaufgabe und sollte im besten Fall Erfahrung mit Change-Management-Prozessen haben.