Sie beraten und trainieren Weltklassespieler wie Roger Federer und Stan Wawrinka. Wie motiviert man Leute, die schon so weit oben stehen?
Severin Lüthi: Viele Leute wollen motiviert werden. Aber das geht auf diesem Level nicht. Die Basis ist die eigene Motivation. Ohne eine ausserordentliche Eigenmotivation kommt man auch gar nicht auf dieses Niveau.
Ist das der wichtigste Unterschied zwischen guten und schlechten Spielern?
Die besseren Spieler begreifen sehr schnell, wenn man ihnen einen Tipp gibt, und sind in der Umsetzung sehr konsequent. Beispielsweise bei technischem Feedback, wenn jemand beim Aufschlag den Ellenbogen zu weit unten hat. Die Guten weist man darauf hin, und wenn man sie in zwei Monaten nochmals sieht, sind sie besser geworden. Die Schlechteren haben trotzdem nichts daran geändert. Die Guten sind da sehr konsequent in der Umsetzung und diszipliniert. Oft sind sie auch erfolgshungriger. Sie wollen an ihr eigenes Limit gehen. Ein schlechter Spieler sagt vielleicht, der Platz 150 in der Weltrangliste reiche ihm. Das hat viel mit Erziehung und Charakter zu tun.
Kann man Parallelen zwischen Spitzensport und Spitzenmanagement ziehen?
Auf jeden Fall. Der Transfer funktioniert in beide Richtungen, auch aus der Wirtschaft in den Sport. Für Wirtschaftler ist es interessant zu wissen, was den Sportler so gut macht. Wie machen die das, so lange an der Spitze zu bleiben? Letztendlich kann man sich auch Regeln aus dem Leben abschauen. Das habe ich auch immer gemacht, mich vom Leben für den Sport inspirieren lassen.
Was raten Sie Spitzenkräften?
Das beginnt mit der Eigenmotivation, das ist ein grosses Thema. Man darf gerade an der Spitze nicht vergessen, dass man in einer privilegierten Situation ist, und muss mit den Füssen am Boden bleiben. Die Zeit, in der man wirklich etwas reissen kann, ist oft beschränkt. Wenn man in dieser Zeit abhebt, verschenkt man viel davon. Weitere Punkte sind Disziplin und die Notwendigkeit, die richtigen Prioritäten zu setzen. Der Umgang mit Niederlagen und Fehlern ist auch ein spannendes Thema. Man kann nach entscheidenden Fehlern zehn Tage zerstört im Hotel abhängen. Oder man nimmt sie sportlich, geht eben auf den Tennisplatz und sucht nach einer Lösung. Die Motivation, wieder auf den Platz rauszugehen, findet sich schneller, wenn Sie daran denken, dass Sie privilegiert sind.
Welche Transfers nehmen Sie aus der Wirtschaft mit ins Tennis?
Der Tagesablauf von Spitzenmanagern ist beeindruckend: Um wie viel Uhr viele von denen aufstehen und ins Büro gehen. Auch von den geregelten Tagesabläufen kann man sich inspirieren lassen. Manager verstehen es in der Regel auch, Prioritäten zu setzen – das sollten wir für unser Training von ihnen lernen. Auch ihre Fähigkeit zu delegieren, muss man mit in den Spitzensport nehmen.
Kommt man nur mit Begeisterung an die Spitze?
Es gibt da verschiedene Typen: Typen wie Roger, die es lieben zu spielen. Es ist für ihn nicht wie ein Job, er liebt es einfach. Aber es gibt im Sport auch Leute, die mit Komplexen sehr weit kommen. Leute, die es allen zeigen wollen. Die sich denken: «Keiner hat an mich geglaubt, alle sind gegen mich.» Das kann auch ein sehr starker Antrieb sein. Das Problem dieses Antriebs ist nur, dass die Gefahr besteht, früher und schneller auszubrennen.
Inwieweit kann man Spitzenkräfte noch optimieren?
Stillstand ist auf diesem Level das Gleiche wie Rückschritt – man muss bereit sein, sich ständig zu verbessern. Der Wille, sich weiter zu optimieren, ist ein Erfolgsfaktor an sich. Top-Leute können nicht nur das Niveau verwalten. Es geht um den Willen, sich zu entwickeln. Sie müssen gewisse Sachen loslassen, etwas Neues probieren. Es geht darum, seine Komfortzone zu verlassen.
Wie würden Sie das auf die Wirtschaft übertragen?
Sie dürfen nicht nur optimieren, wenn es schlecht läuft. Reaktionen wie: «Etwas ist schiefgelaufen, jetzt muss sich was ändern», sind Panikaktionen – die können ins Auge gehen. Anderseits braucht es auch manchmal Zeit, bis sich das Richtige auszahlt. Das ist eine meiner Hauptthesen beim Training im Tennis: Wenn ich weiss, dass es richtig ist, dranbleiben und weitermachen, bis es sich auszahlt. Andersherum ist es auch oft so, dass man beginnt, etwas falsch zu machen, aber trotzdem noch Erfolg hat, weil der Flow der Vergangenheit noch anhält. Der Schlüssel, so etwas zu bemerken, liegt darin, sich selbst zu hinterfragen, mit einem gewissen Abstand und etwas nüchtern. Es bringt nichts, wenn etwas schlecht gelaufen ist, eine Verwaltungsratssitzung einzuberufen und erst dann plötzlich alles zu hinterfragen.
Was gibt es für Unterschiede zwischen Federer und Wawrinka?
Das sind zwei unterschiedliche Charaktere, zwei verschiedene Spielertypen. Roger ist für sein Talent bekannt, er macht das mit dem Bauch. Stan ist der Arbeitertyp. Er ist ein unglaubliches Beispiel, wie hart man an sich arbeiten kann. Aber Roger arbeitet natürlich auch hart, nur mit Talent wäre er nie so weit gekommen.
Was macht ein erfolgreiches Team aus?
Wenn ein Team es so weit bringen soll, müssen alle wissen, dass sie am gleichen Strang ziehen. Tennis ist ein Einzelsport, da müssen Sie auch egoistisch denken. Aber das widerspricht sich ja mit dem Teamdenken nicht. Denn was für das Team gut ist, ist auch für den einzelnen Spieler gut. Wer sich nicht daran hält, schneidet sich ins eigene Fleisch. Jeder muss sich zu 100 Prozent einsetzen: Auch wenn jemand eine weniger wichtige Rolle spielt, ist es klar, dass jeder jeden unterstützt. Dass sie am Spielfeldrand aufstehen, Energie zeigen und kommunizieren: Wir stehen zu 100 Prozent hinter dir. Die Teamdynamiken sind da schon vorher geklärt, in der Spielzeit muss dies klar sein, da ist es zu hektisch für so etwas.
Bewerten Sie ihre Tätigkeit als Trainer nach Spielen ebenso wie Spieler ihr Spiel?
Ich habe auch bessere Matches und schlechtere, wie die Spieler selbst. Es geht darum zu wissen, was in dem Moment das Beste ist. Zum Teil gibt es Situationen, in denen ich den Spieler pushen muss, oder Situationen, in denen er eher beruhigt werden muss. Manchmal ist es auch am besten, ich lass ihn machen. Bei 98 Prozent der Matches sind die Spieler aber sowieso allein auf dem Platz, und sie können sich auch von dem Einfluss von aussen abkapseln, wenn sie das wollen. Es bringt auch nichts, so auf den Spieler einzureden, dass er nicht mehr weiss, wie er spielen soll. Es ist ein Balanceakt.