Seit ein paar Wochen sind die Hörsaalbänke wieder besetzt, das Herbstsemester hat begonnen. Zu den meiststudierten Fächern gehört die Betriebswirtschaftslehre, genauer: Sie rangiert unter den Top drei, nach Jura, aber vor Psychologie. Das Fach ist eine Erfolgsgeschichte: Waren vor 20 Jahren gerade einmal 4500 Studenten an den Universitäten des Landes eingeschrieben, sind es heute 13 000 BWL-Studenten.

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Das Fach zieht Jahr für Jahr so viele Studienneulinge an wie kaum ein anderes. Ein Indiz dafür: Insgesamt stieg die Zahl der Studenten hierzulande seit Beginn des BWL-Booms gerade einmal um die Hälfte – die Belegung des Top-Faches hingegen schwoll auf das Dreifache an.

«Die BWL hat an Relevanz verloren»

Aber jetzt regt sich Kritik an dem, was dort gelehrt wird. Betriebswirtschaftslehre sei praxisfern, heisst es, und sie bilde nicht das ab, was die speziell in der Schweiz so dicht vertretenen wie international erfolgreichen KMU an Führungswissen brauchen. «Die BWL hat an Relevanz verloren», kritisiert etwa Katja Unkel, Unternehmensberaterin in St. Gallen.

Ganz ähnlich tönt das von Rolf Dobelli. Er habe sich während eines BWL-Studiums an der HSG vier Jahre gelangweilt, verkündete der Unternehmer in einem TV-Interview. «Mein grösster Denkfehler, einer der ganz grossen. Das Studium wäre wirklich nicht nötig gewesen. Das war der grösste Handlungsfehler meines Lebens.» Warum genau die BWL kritisiert wird, zeigt ein Blick auf die Mängelliste.

1. Das Paukfach verliert

Der alte Streit, ob die BWL eine Wissenschaft ist, flammt wieder auf. Denn in diesem Fach wird in erster Linie Paukwissen vermittelt: Studenten zwängen sich ordnerweise Material in ihren Kopf. Sie lernen die vier P des Marketings und den Umlageschlüssel des Betriebsabrechnungsbogens. Solches Wissen aber, das nur auswendig gelernt werden muss, liefert künstliche Intelligenz besser und schneller als Mitarbeiter mit BWL-Abschluss: Erst haben Roboter die Leute im Blaumann in der Fabrik ersetzt, jetzt verdrängt ihr Können auch die Wissensarbeiter aus den Büros.

Robos erledigen in Zukunft viele Sachbearbeiterjobs, für welche es BWL-Wissen braucht. Von diesem Wandel ist die Hälfte aller Büroberufe betroffen, künftig übernehmen die Maschinen hier einen Drittel aller täglichen Aufgaben, schreibt McKinsey-Berater Michael Chui in einer Studie.

2. Der Stoff ist veraltet

Wie Unternehmer Dobelli sind viele BWL-Absolventen auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Monate und Jahre ihrer Lebenszeit haben sie in die Arbeit mit Lehrbüchern investiert, die wie das Standardwerk «Wöhe, Allgemeine BWL» nichts weiter liefern als klein parzelliertes Wissen im Format einer Offline-Wikipedia, das wenig mit dem zu tun hat, was sich in der Praxis der Unternehmen abspielt. Teile der BWL scheinen in den 1960er-Jahren stecken geblieben zu sein – in der Zeit, als der «Wöhe» erstmals auf den Markt kam.

Der 1100-Seiten-Wälzer ist das bis heute am meisten verbreitete Lehrbuch des Faches. Nur: Seine Inhalte sind in einer Zeit stecken geblieben, als Grosskonzerne die Organisationsform à la mode waren. So bildet die heutige BWL für das Falsche aus, sie schult Nachwuchs für die paar Multis, während da draussen in der Praxis alle Welt das Erfolgsrezept vielbewunderter KMU und Hidden Champions wie Interroll, Victorinox, Geberit, DT Swiss oder der Jakob Müller AG nachzuahmen sucht. Darüber aber lehrt die BWL nichts.

3. Der Elfenbeinturm

Die Professoren als Lehrende sind in ein System eingebunden, das sich viel mit sich selbst beschäftigt. Statt die besten Unternehmer- und Unternehmens-Versteher zu werden, blicken sie oft nur nach innen, auf den nächsten Aufsatz, auf die beste Punktzahl für eine Veröffentlichung, die kein Praktiker liest. Dafür können die Professoren nichts, sie haben dieses System nicht erfunden, in dem sie arbeiten. Aber die Kosten dieser Isolation im Elfenbeinturm sind hoch – den Studenten entgeht die Faszination des Wirtschaftens in der Praxis und der Kick, den gelebtes Unternehmertum bieten kann.

4. Business-Schools: 
Auch nur BWL

Kaderschmieden mit MBA-Studium wie Harvard, Wharton oder Insead vermitteln BWL-Wissen wie normale Hochschulen auch. Die hohen Preise für ihr Studium werden begründet mit Selektivität («Wir nehmen nur die besten Studenten»), personalintensivem Paukdrill sowie guten Kontakten zu Arbeitgebern, die Absolventen mit sechsstelligen Gehältern locken: Investmentbanken und Unternehmensberatungsfirmen, die mit den Taschen voller Geld in den Rekrutierungsbüros der Business Schools auftreten. Die Hälfte bis zwei Drittel der Absolventen von Top-Schulen werden von diesen Arbeitgebern aufgesogen. Aber was sie gelernt haben, ist auch nur BWL – und dass sie sich von 80-Stunden-Arbeitswochen nicht schrecken lassen.

5. Die Zahlensucht

In der Praxis führt angewandtes BWL-Wissen zu einer Überbetonung von Zahlendenken und einseitiger Analyse sowie zu einer Übernutzung von Planung, Budgetierung und Kontrolle. Durch BWL-Denken werden Unternehmen zu seelenlosen, strikt zahlengetriebenen Organismen, die Übertreibungen aller Art wuchern lassen. Es geht nur noch um Quoten, noch mehr Umsatz und Marktanteile. Beispiele, wie das wirken kann, liefern der Untergang der Swissair oder der durch blinde Gier nach Mehrabsatz getriebene Skandal bei Volkswagen. Phantasie, Kreativität und Unternehmerwillen werden von BWL-Denken eher unterdrückt als gefördert.

6. BWL vergisst den Inhaber

Der Unternehmer als Quelle überragender wirtschaftlicher Leistung, langfristigen Denkens und Motor vieler gut geführter Familienunternehmen kommt in ihrer Lehre nicht vor, prägende Figuren wie Michael Hilti, Swatch-Pionier Nicolas Hayek oder Aufzug-Unternehmer Alfred Schindler sind einfach ausgeblendet. Indiz: Das wichtigste Lehrbuch, das für sich beansprucht, «Allgemeine BWL» zu vertreten, handelt Familienunternehmen mit keinem Wort ab.

Zwar werden sogar Spezialthemen wie «Factory Outlet» oder «Forfaitierung» abgehandelt – aber Inhaberunternehmen und Mittelstand, die für den Standort Schweiz so prägend sind, haben in diesen Lehrstoff keinen Eingang gefunden.

7. Ganz ohne geht es nicht

Kein Unternehmen kommt ohne angewandtes BWL-Wissen aus. Es macht Unternehmen besser, sicherer und leichter führbar. Dieses Wissen im Rahmen einer Ausbildung zu erwerben, braucht jedoch nicht drei bis fünf Jahre Studium. Ein Beispiel zeigt, wie es auch gehen kann: McKinsey stellt gerne auch Mediziner oder Ingenieure ein. Damit sie die nötigen BWL-Kenntnisse erlangen, werden diese Mitarbeiter durch eine Kurzausbildung geschleust. «Dieser Mini-MBA dauert drei Wochen. Er umfasst den Stoff der ersten beiden Semester an der Harvard Business School», sagt einer, der das Beratergeschäft lange Zeit verantwortet hat.

Diese Thesen sind Grundlage des Buchs «Betriebswirtschaftsleere» von Axel 
Gloger, das jetzt erhältlich ist.