Der Schock sitzt tief. Der Verwaltungsrat, die Geschäftsleitung und die Mitarbeitenden seien zutiefst betroffen, erklärte die Swisscom gestern, nachdem Carsten Schloter am Morgen an seinem Wohnort tot aufgefunden worden war. Das ist die menschliche Seite. Knall auf Fall steht der Telekommunikationskonzern aber auch ohne Chef da.
Der Chef stirbt, wird schwer krank oder fällt über Monate aus – solche Szenarien sind zwar selten. Wenn sie aber eintreffen, fordern sie das Unternehmen und seine Mitarbeitenden gewaltig heraus. Knall auf Fall müssen sie reagieren, informieren, umdisponieren und zahllose Fragen klären. Eine Stresssituation sondergleichen. Schwer zu ersetzen sind insbesondere charismatische und visionäre Spitzenleute, die mitten im Konzernaufbau in entscheidenden Verhandlungen und grossen Produkteentwicklungen stecken.
Plan B für den Tag X
Grosskonzerne haben meist einen Plan B in der Tasche. «Sollte der Chef plötzlich für längere Zeit oder definitiv ausfallen, setzt der Verwaltungsrat einen Interimschef oder einen neuen Chef ein», sagt Novartis-Sprecher Satoshi Sugimoto. Auch Brigitte Meier von Swiss Re erklärt: «Wir haben für alle Schlüsselfunktionen Stellvertreterregelungen vorgesehen.» Dies gelte natürlich umso mehr für Geschäftsleitung und Top-Management.
Um Nachfolge und Stellvertretung auch im Notfall gut handhaben zu können, brauche es eine systematische Planung, betont Susan Orozco, Mediensprecherin von IBM Schweiz. «Wichtig ist dabei, nicht nur die Unternehmensführung, sondern auch die Kaderstufe mit einzubeziehen.» Bei der IBM geschehe dies unter anderem mit klaren Stellvertretungsregeln. Vom ersten Tag an müsse eine vorgesehene Person einsatzbereit sein, um ein operatives Blackout zu verhindern.
Alle sind gefordert
Bei IBM weiss man, wovon man spricht. Der Plan B kam auch zum Einsatz, als Daniel Rüthemann im Dezember 2009 im Alter von 50 Jahren unerwartet als Chef der IBM Schweiz verstarb. Kurz danach übernahm Marketing-und Kommunikationschefin Isabelle Welton die Geschäftsführung. Klappte der Übergang reibungslos? Orozco diplomatisch: «In dieser schwierigen Situation waren alle gefordert und unterstützten sich gegenseitig.»
Pläne sind gut, Teamkultur ist wichtiger, findet man auch bei McDonald 's Schweiz. Als Chef Martin Knoll im Sommer 2009 auf einer Mountainbike-Tour im Berner Oberland ums Leben kam, führte das sechsköpfige Managementteam während sechs Wochen die laufenden Geschäfte. Dann übernahm Mario Federico die Funktion des Länderchefs. Sprecherin Aglaë Strachwitz: «In so tragischen Momenten ist ein eingespieltes Team entscheidend, das seit vielen Jahren gemeinsam zusammen arbeitet.» Denn jeder sei in einer solch emotionalen Situation auch menschlich stark gefordert.
Aktive Dialogkultur
Für zentral hält man bei McDonald 's Schweiz erprobte Kommunikationsabläufe, eine aktive Dialogkultur, nachhaltige Personalprozesse und Nachfolgeplanung sowie menschliche Intuition. So bleibe ein eingespieltes Team auch im Notfall voll funktionsfähig und könne schnell sowie richtig entscheiden und kommunizieren, betont Strachwitz. Diese Faktoren seien entscheidender als detaillierte Pläne für jeden einzelnen möglichen Notfall. Das grosse Ganze konnte McDonald ,s Schweiz nach dem Tod des Firmenchefs offenbar im Auge behalten. Dessen ökologiebewusste, partnerorientierte Geschäftspolitik wurde jedenfalls fortgesetzt.
Noch heikler ist es in vielen Fällen, wenn der Chef noch lebt, aber schwer krank ist. Denn da der Verlauf einer Erkrankung kaum vorherzusagen ist, werden Entscheidungen oft aufgeschoben, Pläne in die Schublade gesteckt, Massnahmen vertagt. Bis der Chef-wenn überhaupt-wieder einsteigt, können Monate verstreichen, was das Unternehmen zurückwerfen und blockieren kann.
Viele verpassen Nachfolgeregelung
Besondere Probleme haben oft unternehmergeführte Firmen. Dort scheint konkrete Notfallplanung eher die Ausnahme zu sein. Wenn der Chef ausfällt, stellt sich oft gleich die Existenzfrage. «Viele Unternehmer halten sich für unsterblich und versäumen die Nachfolgeregelung», sagt Unternehmer-Coach Steven Loepfe aus Zug. Zu viele Unternehmer machten einen fundamentalen Fehler: «Sie arbeiten zu stark im statt am Unternehmen», sagt er. Wenn ein Unternehmer operativ zu stark eingebunden sei und dann ausfalle, sei das Chaos komplett.
Wenn der Patron hingegen rechtzeitig beginne, anderen seine Vision zu übergeben und dadurch am Unternehmen arbeite, stünden die Chancen eines nachhaltigen Firmenerfolgs bei einem Ausfall deutlich besser. Um wirklich alle Bereiche detailliert zu regeln, fordert Loepfe, dass Chefs ein «ganzheitliches Unternehmer-Testament» verfassen - und zwar zu Leb- und Gesundzeiten. Denn «ein Unternehmer ist immer Unternehmer-bis zum Schluss». Dieser aber kommt eines Tages unweigerlich. Auch für den, der sich heute und morgen tüchtig ins Zeug legt.