Es sollte einer der heissesten Tage des Sommers 2011 werden, als Manuel Favre (Name geändert), eine Pistole und eine Strumpfmaske in eine Tasche steckte und auf sein Motorrad stieg. Favre hatte sich gut vorbereitet, die Pistole und das Motorrad extra für diesen Tag gekauft. Favre arbeitete im Tram-Depot der Genfer Verkehrsbetriebe.
Sein Anwalt wird später sagen, dass Favre in einer Krise steckte, sein Vater und sein Sohn waren gestorben. Ein paar Tage zuvor wurde ihm mitgeteilt, dass er seine aktuelle Stelle verlieren und bei den Verkehrsbetrieben herabgestuft werden würde.
Gefährliche Racheaktionen
Favre steigt auf sein neues Motorrad, die Knarre in der Tasche, und fährt zu einer Baustelle, auf der er einen verhassten Kollegen vermutet. Der Kollege ist nicht da. Favre fährt weiter, die Pistole immer noch in der Tasche, zur nächsten Baustelle. Wieder niemand da. Er fährt zum Tram-Depot, geht mit der Strumpfmaske auf ins Büro seines Chefs. Schüsse fallen. Sein Chef sackt tödlich getroffen zusammen.
Dieser Mord in Genf ist ein extremes Beispiel für ein verbreitetes Phänomen: Mitarbeiter rächen sich an Chefs oder Kollegen. Nicht immer endet es dabei tödlich, dennoch sind die Racheaktionen sehr gefährlich. Und Firmen können sich oft nur schwer dagegen wehren.
Schmuddel-Aktionen
Erst im März wurde ein Züricher Feuerwehrmann verurteilt, der seinem Ex-Chef, einem Stabsleiter der Zürcher Feuerwehr, Drohungen schickte, die Reifen zerstach, ungewünschte Abos für Erotikmagazine bestellte und seine Blumentöpfe umwarf. Einige dieser Fälle richten enorme Imageschäden in Betrieben an: Mitte März tauchte ein verwackeltes Handy-Video auf YouTube auf. Ein Förderband in einer Fabrik ist zu sehen. Jemand pinkelt auf das Förderband. Dann schwenkt die Kamera zum «Kellog’s»-Logo an der Maschine.
Das Video, so stellte sich heraus, war bei der Veröffentlichung schon ein paar Jahre alt und die produzierten Cornflakes längst verkauft und wohl auch gegessen worden. In einem anderen Fall versteckte ein Grafiker das Bild eines Penis in der Familienidylle des Ikea-Katalogs. Die Aktion fiel erst nach dem Versand auf. Der Katalog, Ikeas wichtigstes Marketingwerkzeug, hat eine riesige Verbreitung.
Neben solchen bizarren Beispielen gibt es auch solche, die dem Unternehmen an der Börse schaden können: 2012 verlor der Aktienkurs der Investment-Bank Goldman Sachs 3 Prozent, nachdem der ehemalige Goldman-Manager Greg Smith in der «New York Times» seinen Offenbarungskommentar «Warum ich Goldman Sachs verlasse» veröffentlicht hatte.
Gespräche und Dialog als Lösungsansatz
Jens Hoffmann ist Psychologe und Geschäftsführer der Unternehmung Team Psychologie & Sicherheit. In seiner Karriere hat Hoffmann bereits mehrere 100 Fälle von Drohungen, Stalking und Gewalt am Arbeitsplatz betreut. Er rät: «Prinzipiell sollte man auf das Verhalten der Mitarbeiter schauen statt auf Persönlichkeit.» Und: «Absichtlich Schaden anrichten, Dinge löschen und andere Fälle von Sabotage treten oft bei Leuten auf, die sogenannte Ungerechtigkeitssammler sind. Leute, die sich immer beschweren, sich immer ungerecht behandelt fühlen und deren eigene Wahrnehmung stark von dem abweicht, was sie tatsächlich leisten.»
Als ersten Lösungsansatz sieht Hoffmann Gespräch und Dialog: Einer von Hoffmanns Fällen handelte von einem Maschinenhersteller, der immer öfter defekte Geräte an Kunden auslieferte. In der Unternehmensführung dachte man zuerst an einen Konstruktionsfehler. Bei der Untersuchung wurde klar, dass jemand die Produktion absichtlich manipulierte. Der Schaden war beträchtlich. «Mit Rekonstruktion und gezielten Gesprächen konnten wir den Täter identifizieren. Es war ein Mitarbeiter, der sich zwar selbst sehr gut verkaufen konnte, sich aber immer wieder beschwerte, weil er sein Talent nicht erkannt sah», erzählt Hoffmann.
Wichtiger als die spektakulären Fälle sind diese subtileren Akte der Sabotage: Drohen, bewusst Informationen weglassen, vertrauliche Informationen weiterleiten, denunzieren.
280 Millionen Franken Schaden
Experten fassen diesen Komplex unter dem Begriff «organisationsschädigendes Verhalten» zusammen. Laut der Studie «KPMG Forensic Fraud Barometer» der Unternehmensberatung KPMG verursachte Wirtschaftskriminalität in der Schweiz im Jahr 2015 einen Schaden von 280 Millionen Franken. 40 Prozent davon wurden von Tätern verursacht, die Angestellte des geschädigten Unternehmens waren.
Peter Roos ist Wirtschaftspsychologe und berät mit seiner Zürcher Firma «Büro für Arbeitspsychologie & Organisationsberatung» Unternehmen zum Thema. Ein Beispiel aus seinem Arbeitsalltag: In einer mittelgrossen Schweizer Stadt entschliesst sich die Politik, das Geld für das Tiefbauamt zu kürzen. Es geht um Kleinigkeiten: Statt auf den kostenlosen Parkplätzen vor dem Haus sollen die Mitarbeiter jetzt hinter dem Haus parkieren. Sie müssen dadurch mehr zu Fuss gehen. Trotzdem kippt die Stimmung im Betrieb. Den Managern fällt auf, dass die Leute immer längere Pausen machen, später kommen, früher gehen. Die Fahrten fürs Abfalleinsammeln dauern länger. Es wird mehr gequatscht dabei und einige Mitarbeiter fangen an, während der Arbeit zu rauchen.
«Was, wir sollen jetzt mitdenken?»
Die Einstellung macht sich breit: «Egal, ist halt nur irgendein Job. Alles gut, solange ich nicht rausfliege.» Auch die Krankheitstage steigen. Statt Druck zu machen, organisiert Roos Gesprächskreise, in denen die Mitarbeiter über das sprechen sollen, was sie an ihrer Arbeit stört. «Eigentlich klassische Teamentwicklung», sagt er rückblickend. Die Mitarbeiter sind bei den Gesprächsrunden überrascht. «Was, wir sollen jetzt mitdenken?», sagen manche. «Man könnte weniger, aber grössere Sammelstellen für die Müllsäcke einrichten», sagt einer bei den Gesprächsrunden. Jemand anders sagt, dass die Räder an grösseren Containern oft kaputt sind. Es sei ein unglaublicher Kraftakt, sie zum Wagen zu zerren. Die Räder werden ausgetauscht und die Sammelstellen zusammengelegt.
Roos’ Konzept geht auf: Mit der Stimmung bessern auch die Fehlzeiten und die Geschwindigkeit der Arbeit. Kein grosses Ding, oder doch? Ein Grund, dass Sabotage und Verweigerung in Unternehmen oft nicht zur Sprache gebracht werden, sind die Chefs selbst.
Fassade wahren
Simone Grebner forscht an der Fachhochschule Nordwestschweiz zum Thema Arbeitspsychologie. «Wenn sie merken, dass ihre Autorität untergraben wird, reagieren Chefs nicht immer darauf. Viele wollen die Fassade wahren», sagt sie. Sabotage kann man schliesslich auch so auslegen: Jemand hat sein Team nicht im Griff. Laut Grebner landen vor allem jüngere Chefs auf Positionen, die andere aus dem Team selbst gerne haben wollen. Ein Beispiel: Ein Chef, der gerade neu in eine Vertriebsabteilung gekommen ist, will einem alten Kunden ein Angebot machen. Es geht um einen Fuhrpark. Von den Anforderungen des Kunden ausgehend, arbeitet der neue Chef ein Angebot mit Kleinwagen aus, obwohl alle im Team wissen, dass der Kunde immer nur grössere Limousinen haben wollte.
Der Kunde lehnt das Angebot wiederholt ab. Der junge Chef spricht verwundert mit seinem Team und merkt: «Die haben mich auflaufen lassen. Alle ausser mir wussten, dass der Kunde zwar eigentlich keine Limousinen braucht, aber nur Limousinen im Fuhrpark haben will.» Wie der Chef damit umgeht, ist eine Frage der Unternehmenskultur. In einem Haifischbecken, so Grebner, kann er es sich nicht leisten, die eigene Sabotage anzusprechen.
Unternehmenskultur als Thema
Manuel Favre wurde übrigens zu 13 Jahren Haft verurteilt. Unternehmenskultur war auch Thema im Gerichtssaal: Laut Zeitungsberichten erkannten die Richter sogar an, dass das Arbeitsklima bei den Verkehrsbetrieben Favre beeinflusst hat. Favres Verteidigung verwies auf Unzulänglichkeiten im Management der Genfer Verkehrsbetriebe.