Rüdiger Hartmann weiss, dass er aufpassen muss. Der Softwareingenieur betreut mehrere Projekte parallel, und das ist gefährlich für seine Gesundheit. Denn seine Gedanken kreisen ständig um die Arbeit, auch nach Feierabend. Früher hätte er zu Hause weitergearbeitet und sich derart festgebissen, dass er wieder kein Auge zugetan hätte. Oder er hätte sich irgendwann ein paar Gläser Rotwein genehmigt, um zur Ruhe zu kommen. Heute hingegen merkt es der 53-jährige Ingenieur schnell, wenn er in sein altes Arbeitsmuster zu fallen droht. Daher zwingt er sich zu Pausen, spielt Klavier oder geht an die frische Luft. «Bewusst abzuschalten, war ein langer Lernprozess», sagt er, «einzusehen, dass ich zwischendurch dringend Erholung brauche.»

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Sich Grenzen zu setzen, das ist wohl das Wichtigste, was Hartmann beim Wiedereinstieg nach seinem Burnout beherzigen musste. Und das Schwierigste. Denn er war stets überzeugt, noch mehr erreichen zu können. Er sah sich schon an der Spitze der Geschäftsleitung. Bis seine Leistung und seine körperliche Verfassung immer schlechter wurden.

Doch vergangenes Jahr kam vor Weihnachten der Zusammenbruch. Bei dem mehrwöchigen Aufenthalt in einer Spezialklinik und einer begleitenden Therapie wurde nach und nach klar: Wollte er zurück in seinen Beruf und seine alte Firma, musste er klein wieder anfangen. Als Leiter eines Dreierteams statt als Chef einer 20-köpfigen Abteilung und das erst einmal mit einem reduzierten Pensum. «Sich das einzugestehen, war hart, ich hatte das Gefühl, völlig versagt zu haben», erklärt Hartmann.

«Ein Burnout trifft häufig besonders engagierte Mitarbeiter», sagt die Zürcher Stressforscherin Beate Schulze. An die Belastungsgrenze gestossen zu sein, komme für sie einem Versagen gleich. Damit verbunden seien starke Zweifel, ob man der Arbeitssituation, die zum Ausbrennen beigetragen hat, je wieder gewachsen sein wird. Rückkehrer, folgert Schulze, brauchen im Job Verständnis, Rückenwind und eine Wertschätzung ihrer Kompetenzen. Nur so gelinge es, wieder Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu entwickeln, Leistung wieder abzurufen.

Grosse Verunsicherung

Derart gute Bedingungen sind nicht selbstverständlich, erklärt Case-Managerin Sibylle Schröder. Sie berät Firmen beim Wiederstieg von Burnout-Patienten (siehe Interview). Kommt jemand zurück, herrscht oft Verunsicherung im Büro: Kollegen und Vorgesetzte fragen sich, was man den Rückkehrenden noch zumuten könne. Werden diese einmal eine Spur emotionaler, kommt schnell der Verdacht auf, dass der nächste Kollaps bevorstehe. Zudem können Kollegen skeptisch sein und sich fragen: Muss ich wegen des Erkrankten jetzt unliebsame Änderungen oder Nachteile in Kauf nehmen? Mehr arbeiten sogar? «Anfangs fühlte ich mich ständig unter Beobachtung», sagt Hartmann. Da gelte es aufzupassen, sich nicht selbst unter Druck zu setzen und erneut in eine Abwärtsspirale zu geraten.

Experten warnen: Ein Burnout ist keine Grippe. Es sei ein Trugschluss, zu glauben, dass es danach im gewohnten Trott weitergehe. Ändert sich nichts, sind Konflikte programmiert. Schon deshalb, weil sich jene, die zurückkommen, geändert haben – oder es idealerweise getan haben sollten. Hat eine Therapie gefruchtet, haben Betroffene etwa verstanden, dass sie Verantwortung abgeben müssen. Damit der Rückkehrer nicht rasch erneut überfordert ist, braucht es aber auch andere Arbeitsbedingungen.

Das setzt voraus, dass der Wiedereinstieg gut geplant wird. Ein gutes Konzept sei unabdingbar, sagt Sibylle Schröder. Denn kommt es zum Burnout, spielen meistens mehrere Faktoren eine Rolle. Die Anforderungen im Job sind hoch, vielleicht gibt es zudem im Privaten eine belastende Situation. Auch die Persönlichkeitsstruktur trägt dazu bei, der Hang zum Perfektionismus, die Eigenschaft, alle Aufgaben an sich zu reissen. Rückkehrer müssen sich damit auseindersetzen. Nur so finden sie wieder zu Kräften und können ihr Verhalten ändern.

Doch nach Sibylle Schröders Beobachtungen wollen Erkrankte häufig zu schnell an den Arbeitsplatz zurück. Oder die Anforderungen im Job sind gleich wieder zu hoch, es fehlen klare Abmachungen, mit welchen Aufgaben und welchem Pensum der Neustart gelingen soll. So ist das Risiko eines Rückfalls gross – mit gravierenden Folgen für die Unternehmen. Sie verlieren gerade die Hochmotivierten und eigentlich Leistungsstarken. Die Kosten sind enorm. Sie belaufen sich bei langfristiger Erwerbsunfähigkeit auf eine halbe bis zwei Millionen Franken – pro Fall.

Früh intervenieren

Firmen können das vermeiden. Wird ein Burnout rechtzeitig erkannt, braucht es in vielen Fällen noch nicht einmal eine Krankschreibung, so Beate Schulze. Sie trainiert mit Betroffenen «on the job», wie diese sich besser organisieren oder Aufgaben konsequenter delegieren können. Viele werden so zu effizienteren Mitarbeitern und besseren Führungskräften. Früh zu intervenieren, senke die Kosten und fördere den Rehabilitationserfolg.

Voraussetzung ist eine gute Mitarbeiterführung. Vorgesetzte sollten das Leistungsniveau und das Wohlbefinden des Einzelnen kontinuierlich im Auge behalten, fordern Arbeitspsychologen. Läuft etwas aus dem Ruder, sind rasches Handeln und ein deutliches Wort unabdingbar. «Es braucht den Mut, Mitarbeitenden rechtzeitig zu sagen, ja von ihnen zu verlangen, ihre Erschöpfung von einem Arzt abklären zu lassen», sagt Beate Schulze.

Rüdiger Hartmann brauchte nach eigenen Angaben einen Schuss vor den Bug. Nur so habe er begriffen, dass er in die falsche Richtung rennt. «Ich lebte nur noch für die Arbeit und setzte dabei meine Gesundheit und mein Familienleben aufs Spiel.» Dass er als Teamleiter neu anfangen konnte, rechnet er seiner Firma hoch an. Überhaupt sei sein Wiedereinstieg professionell aufgegleist worden, bis hin zur Frage, wie man es intern kommuniziert, dass er künftig weniger Verantwortung wahrnimmt. Von ehrgeizigen Karriereplänen hat er sich verabschiedet und sich mit der Tatsache abgefunden, dass er nun pro Jahr 20000 Franken weniger verdient. «Ich will meinen neuen Job gut machen, ich will aber auch im Lot bleiben.» Bis jetzt gelingt ihm beides.