Die superselbstbewussten Typen, die ihre in Wochenendseminaren gelernten Powersätze abspulen und mit der physischen Penetranz eines High-five den Raum erfüllen, kennt jeder. Die ständig nach einer Gelegenheit suchen, die Ärmel hochzukrempeln und anzupacken, damit jeder von ihrer Unersetzlichkeit erfährt.

Doch oft bewirken die Dauermotivierten das Gegenteil: Niemand nimmt ihnen den ganzen Zirkus ab. Und das hat einen guten Grund, wie die Sozialpsychologin und Harvard-Professorin Amy Cuddy in ihrem neuen Buch «Dein Körper spricht für dich» darlegt. Um auf seine Mitmenschen zu wirken, bedarf es statt ausgefeilter Techniken aus Coaching-Kursen und positiven Denkens einer Reihe an Eigenschaften, die man sich weder antrainieren noch üben kann.

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Unfall änderte Persönlichkeit

Cuddy weiss, wovon sie schreibt. Die 43-Jährige erlitt während ihrer College-Zeit bei einem Autounfall eine schwere Hirnverletzung. Bei dieser Art Hirntrauma können Ärzte nicht prognostizieren, ob und falls ja welche Regionen im Hirn beschädigt sind. Das sprachliche Zentrum, das motorische, das emotionale? Vielleicht sogar das Erinnerungsvermögen? Im Falle von Amy Cuddy war nichts dergleichen der Fall. Dennoch wandten sich einige Freunde von ihr ab, mit der Begründung, sie sei einfach nicht mehr dieselbe. Sie war zwar äusserlich unverändert, aber in ihrem Inneren hatte sich etwas verändert. Aber was?

20 Jahre später hat Cuddy eine Antwort auf das Rätsel gefunden. Sie lautet: Präsenz. Menschen verfügen nämlich laut Cuddy über eine Eigenschaft, welche die wenigsten steuern können und von der kaum jemand weiss. Die in jedem von uns schlummert und nur in äusserst stimmigen Momenten zum Vorschein kommt.

Definition von Präsenz

Was Cuddy mit Präsenz meint, ist nicht einfach zu fassen. Es handelt sich dabei um eine Mischung von Charisma, Ausstrahlung, Körpersprache und Leidenschaft. In ihrem Buch versucht sie eine Definition: «Der Zustand, in dem ich mich mit den eigenen Gedanken, Gefühlen, Werten und Fähigkeiten im Einklang fühle und in der Lage bin, ihnen Ausdruck zu verleihen.»

Nach dem Autounfall waren Cuddy diese Dinge abhandengekommen. Man könnte auch sagen: ihre Persönlichkeit. Von da an interessierte sie sich für Körpersprache und Ausstrahlung. Cuddy befasst sich also seit ihrem schweren Unfall mit dem Phänomen der Präsenz.

Trugschluss «Mind over matter»

Ausgangspunkt für ihr Buch war jedoch ein ganz anderes Ereignis, welches ihr Leben über Nacht umgekrempelt hat: Bei einer Veranstaltung der Ted-Talks, einer Art globaler Volkshochschule zu Themen wie Selbstoptimierung und Weltverbesserung, die vornehmlich von Startup-Gründern, Business-Leadern und Entrepreneurs besucht werden, erzählte Amy Cuddy 20 Minuten lang von ihrer Philosophie. Dass sie nicht an das Prinzip «mind over matter» glaube, wonach man sich nur einreden müsse, selbstbewusst zu sein, und der Körper diesem Diktum irgendwann automatisch folge.

In Wahrheit, und das würden etliche Studien belegen, sei es genau umgekehrt, so Cuddy: Indem man eine selbstbewusste (Körper-)Haltung einnehme, entstehen Selbstvertrauen und Energie. Damit steht sie in Widerspruch zu Hunderten Laufmetern an Selbstoptimierungsliteratur, die den Geist als eigentliches Wirkprinzip für Erfolg sehen. Für Cuddy hingegen ist es der Körper, von dem Veränderung ausgeht und der Einfluss darauf hat, wie wir über uns denken.

Auf die Haltung kommt es an

Es liegt in der Natur der Sache, dass auch das nun von Cuddy geschriebene Selbstoptimierungsbuch nicht ohne den typischen Genre-Spruch auskommt: «Stellen Sie sich vor, dass Sie sich energiegeladen und locker fühlen, befreit von Ihren Befürchtungen, wie andere Sie vielleicht beurteilen.» Dennoch, die Psychologin weiss, wovon sie redet, und sie ist nicht grundlos eine der gefragtesten Dozentinnen und Experten auf dem Gebiet der Körpersprache.

In «Dein Körper spricht für dich» führt sie Studie um Studie an, welche belegen, dass Entrepreneurs dann erfolgreicher Investoren ansprechen und Risikokapital pitchen, wenn sie nicht voller Sorge über ihre Performance nachdenken. Und: Sie überzeugen in erster Linie auf nonverbale Weise – mit Stimme, Gestik, Mimik. Man könnte im sprichwörtlichen wie im übertragenen Sinne sagen: Auf die Haltung kommt es an.

Power-Posen

So können etwa sogenannte Power-Posen beziehungsweise Präsenz-Techniken, die man von Zeit zu Zeit absolviert, Gefühle, Verhalten und Hormonlevel von Menschen zum Positiven verändern. Cuddy nennt als Posen-Vorbilder immer wieder Wonder Woman, die breitbeinig und mit in die Hüften gestemmten Armen dasteht, sowie Usain Bolt, der in einer typischen Geste nach einem gewonnenen Wettbewerb einen Arm anwinkelt und mit dem anderen zum Himmel zeigt.

Diese Power-Haltungen wird man allerdings kaum mitten in einem Vortrag, den man hält, einnehmen. Es gibt auch kleinere Posen, die das Selbstvertrauen in Stresssituationen stärken. Etwa die Art, wie Mr. Burns aus den «Simpsons» die Fingerspitzen aneinanderpresst, oder Angela Merkels berühmte Raute.

Wer aufs Smartphone starrt, leidet

Weil Körpersprache das Selbstvertrauen stärkt und ein nicht starkes Selbstvertrauen sich in der Körpersprache zeigt, ist die von Cuddy so bezeichnete «iPose» so schlimm. Die gebückte Haltung, bei der man aufs Smartphone starrt, führt langfristig nicht nur zu schlechter Stimmung und mangelnder Produktivität, sondern auch zu einem angeknacksten Selbstvertrauen. Zu einer schlechten Körperhaltung sowieso.

Doch die ganze Posing-Sache hat einen Haken. Wer denkt, charismatisches Auftreten könne man faken, der irrt. Wenn man Selbstvertrauen, Leidenschaft und Begeisterung spielt, merken das andere instinktiv. Etwas stimmt dann nicht, auch wenn die meisten Leute in solchen Momenten nicht sagen können, was genau an ihrem Gegenüber unauthentisch ist. Man erkennt Faker, deren Auftreten nur gespielt ist, um entweder eigene Unsicherheit zu kompensieren, oder die sich dadurch mehr Karrierechancen erhoffen. Dieser Typus vermag zwar den Alpha-Typ zu markieren – und angereichert mit einem grossen Wortschatz und smarten Ideen mögen diese Menschen kurzzeitig für Eindruck sorgen –, sympathisch oder aufrichtig kommt er aber nur äusserst selten rüber.

An sich selbst glauben

Daher ist es laut Cuddy so wichtig, an sich selbst zu glauben. «Ausstrahlung», so die Autorin, «bedeutet nicht, Kompetenz vorzutäuschen, sondern an die Fähigkeiten zu glauben, die man wirklich besitzt, und diese zu zeigen.» Es sei wichtig, eins mit sich selber zu sein, und das gelinge vornehmlich über die richtige Präsenz, die richtige Körpersprache.

Glaubhaftigkeit, Produktivität und Stimmung sollen sich durch die im Buch erwähnten Präsenz-Techniken verbessern lassen. Sie sind quasi die intellektuell angereicherte Variante zur Hantelbank. Die einen besuchen das Fitnessstudio, um bei anderen Eindruck zu schinden, die anderen versuchen durch Training ihres Hirnmuskels ihre Umgebung zu beeindrucken. Das Ergebnis: Die einen sind übertrainiert, die anderen jedoch übercoacht.

Altbekannte Weisheiten

Im vorliegenden Buch hat man es mit einer Melange aus beidem zu tun. Wie bei so vielen Lebensratgebern sind jedoch die als neu verkauften Erkenntnisse altbekannt. Man hat schon von den Eltern den Rat bekommen: Sitz aufrecht, steh gerade, bleibe stets positiv. Als Erinnerung an diese zeitlosen Weisheiten ist Cuddys Buch allemal interessant.

Die Vermengung von Wissenschaftsbuch und Self-Help-Fibel steht der Vermittlung ihres Herzensanliegens dabei aber im Wege. Zu oft will die Autorin mit Faktenwissen und wissenschaftlichen Verweisen ihre Leserschaft von ihren Einsichten überzeugen. Die Grundidee hätte das gar nicht nötig gehabt.

Amy Cuddy, Dein Körper spricht für dich. Mosaik. 2016, 400 Seiten.