Der tiefe Fall vom globalen Führer zum prominenten Häftling dauert manchmal nicht lange. Vor ein paar Wochen ging ein Jubelschrei durch Libyen. Die Bevölkerung des kriegsgebeutelten Wüstenstaats feierte die Festnahme von Saif al Islam. Dem Sohn des Ex-Diktators Muammar Gaddafi will der Übergangsrat nun den Prozess machen.
Ein Jahr zuvor sah die Welt des Lieblingssohnes noch ganz anders aus. Saif al Islam verkehrte nur in besten Kreisen. Er gehörte gar zur illustren Gesellschaft der Young Global Leaders. Das World Economic Forum (WEF) hatte ihm 2006 den Titel in der Kategorie Gesellschaft verliehen. Die Wahl des Juniortyrannen gilt heute als eine der grossen Imagepannen für das WEF-Imperium. Gleichzeitig ist sie symptomatisch für die fragwürdige Nachwuchselite, die Forumsgründer Klaus Schwab heranzüchtet.
700 vermeintliche Juniorführer dürfen weltweit den hochtrabenden Titel des Young Global Leader tragen. Im Dunstkreis der eitlen Supermächtigen, die jedes Jahr nach Davos pilgern, drängt der Kreis der Frischlinge nach ganz oben. Darunter finden sich Thronfolger wie Haakon von Norwegen, Nachkommen von Polit-Dynastien wie Rahul Gandhi oder von Wirtschaftsführern wie Jonathan Soros. Auch grosse Sportler wie Roger Federer wurden für den Elitezirkel nominiert.
Auserwählt wurden auch Schweizer. Unternehmerinnen wie Carolina Müller-Möhl, Adriana Ospel oder Mirjam Staub- Bisang gehören etwa dazu. Auch Politikerinnen wie Pascale Bruderer und Christa Markwalder tragen den Titel Young Global Leader, den die Schwab-Organisation unter dem Juryvorsitz der jordanischen Königin Rania verleiht.
Doch wer dank wem und warum in den illustren Kreis gehievt wird, darüber rätselt die Öffentlichkeit. Die Auswahl scheint beliebig. Fähigkeiten und Leistungen der Mitglieder sind schlicht zu unterschiedlich. Von der reichen Erbin bis zum brillanten Denker ist alles dabei. Oft wissen die Betroffenen nicht einmal selbst, warum sie plötzlich dazugehören.
Als «Prominenz, Zirkus und Vanity Fair» bezeichnen Führungsspezialisten die Wähler und Gewählten. «Bei diesen Namen scheint Prominenz wichtiger zu sein als das Leadership-Potenzial», sagt etwa Norbert Thom, Leiter des Instituts für Organisation und Personal an der Uni Bern. Der emeritierte Professor für politische Philosophie der Uni Zürich, Georg Kohler, findet schon die Betitelung Young Global Leader «lächerlich». «Weil es in den meisten Fällen klar ist, dass vor allem heftige Glückszufälle zur nötigen Prominenz geführt haben, die Bedingung für diese Auszeichnung ist», sagt er. Das schliesse ja nicht aus, dass einige der Nominierten wirklich über ausserordentliche Führungsqualitäten verfügen. «Wer aber zu dieser schmalen Gruppe gehört, möchte vermutlich nicht in einem Topf mit einer Garde von unbewiesenen Eminenzen landen», so Kohler. Er würde allen abraten, eine solche Bezeichnung zu tragen.
Prominenz vor Potenzial
WEF-Gründer Klaus Schwab hat die Young Global Leaders vor acht Jahren ins Leben gerufen. Es sind «aussergewöhnliche junge Leader, die die globale Zukunft gestalten», wie sein Young-Global-Leaders-Verantwortlicher David Aikman sagt. Jährlich werden unter Tausenden von vorgeschlagenen Kandidaten um die 200 Young Global Leaders erkoren. Wie das genau passiert, erfahren die Beteiligten nicht. Sie werden oft erst mit der glücklichen Nachricht vom Gründer höchst persönlich per Brief kontaktiert. «Ich dachte, es sei ein Witz», sagt Christoph Sutter, Chef der Emissionsreduktionsfirma South Pole Carbon, der vor drei Jahren Young Global Leader wurde. Die Nominierung sei eine Blackbox.
Einziges hartes Kriterium ist das Alter. Bei der Wahl dürfen Leader nicht älter als 40 sein. Alle anderen Kriterien beruhen auf kaum messbaren Faktoren. Dabei geht es um erreichte und künftige Berufserfolge, um bewiesene Leadership, den an den Tag gelegten Willen, der Gesellschaft zu dienen, und um Ansehen in der Öffentlichkeit. Es sollen definierte Selektionsprozesse bestehen. Und bevor die Jury die finale Auswahl trifft, checkt die Beratungsfirma Heidrick&Struggles die Namen. Doch wie genau die Jury misst, ob Kandidaten der Gesellschaft dienen und künftig Leader sein werden, bleibt offen.
Executive-Search-Spezialisten beurteilen denn auch Tiefe und Professionalität der Selektion als kritisch. Beispiele, bei denen sich die Jury in der Selektion vertan hat, sind vorhanden. Neben dem inzwischen suspendierten Gaddafi-Sohn Saif al Islam wurde auch Mohammed bin Essa Al Khalifa aus Bahrains Königsfamilie aufgenommen. Der dortige Regent liess die lokale Freiheitsbewegung letzten Frühling blutig niederknüppeln.
Selbst Young-Global-Leaders-Verantwortlicher Aikman gibt zu, es sei schwierig abzuschätzen, wie sich die Karrieren von jungen Menschen weiterentwickelten. Die Jury gehe aber in langen Videokonferenzen Name für Name sorgfältig durch.
Ein gutes Netzwerk hilft, um auf sich aufmerksam zu machen. Young Global Leaders schlagen ihre Kollegen vor, PR-Berater vermitteln Kontakte zu Schwab, Chefs von Kaderschmieden empfehlen ihre Abgänger. Der Dean von Insead soll etwa Mirjam Staub-Bisang 2009 auf die Liste gesetzt haben. Die Buchautorin führte damals seit wenigen Jahren ihre Finanzboutique und war als Frau von Bank-am-Bellevue-Gründer Martin Bisang bekannt. Über ihre Erfolge als Vermögensverwalterin weiss man nichts.
WG-Kolleginnen unter sich
Ihre WG-Kollegin und Unternehmerin Carolina Müller-Möhl wurde zwei Jahre früher in den Zirkel aufgenommen. Müller-Möhl führt seit dem Tod ihres Mannes Ernst Müller-Möhl die Beteiligungsfirma. Mit welchem Erfolg, ist ebenfalls nicht bekannt. Wer sie vorgeschlagen hat, wisse sie nicht mit Sicherheit, sagt Müller-Möhl. Als Mitglied im Zürcher Club zum Rennweg dürfte ihr Netzwerk sicher geholfen haben. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Rennweg-Club-Mitgründer und PR-Experte Christoph Richterich einigen Damen und Herren der Schweizer Wirtschaft die Türen zum WEF-Chef geöffnet hat.
Der guten Vernetzung ungeachtet sind Leadership-Spezialisten nicht begeistert von der Zusammensetzung der Young Global Leaders. Für Headhunter ist das Gremium kein bevorzugter Pool zur Kaderselektion. «Das ist für mich kein repräsentatives Cluster, das ich mir anschaue», sagt Guido Schilling, Inhaber der Guido Schilling Executive. Berufskollegen stimmen ihm zu. «Da sitzen vor allem Leute drin, die sich für Verwaltungsratsposten positionieren wollen», sagt einer.
Auch Uni-Professor Thom gibt zu bedenken: «Ein Roger Federer ist ein exzellenter Sportler, aber kein Leader.» Und Parlamentarierinnen zeichneten sich nicht per se durch Leadership aus. Sie seien immer nur Primi inter Pares ohne Führungsverantwortung. FDP-Nationalrätin Christa Markwalder wurde vor einem Jahr trotzdem nominiert. Sie war damals Präsidentin der Aussenpolitischen Kommission. Bei den Young Global Leaders aktiv wurde sie allerdings noch nicht. Beim jährlichen Treffen war sie nicht dabei. Immerhin stehen die Weiterbildungskurse an der Harvard Business School auf ihrer Agenda.
Den Young-Global-Leaders-Listenplatz verdient haben laut Spezialisten etwa eine Beatrice Weder di Mauro, die als Wirtschaftsweise die deutsche Regierung berät, oder ein Thomas Buberl, der soeben vom Versicherungskonzern Axa zum Deutschland-Chef ernannt wurde. «Thomas Buberl hat in jungen Jahren eine sehr respektable Führungsaufgabe übernommen», sagt Experte Thom über den heute 38-Jährigen. Ausgerechnet die beiden wollen sich aber nicht zu ihrer Mitgliedschaft im Klub äussern.
Pipeline für die Mutter
«Die Young Global Leaders sind für das WEF ein Marketing-Tool, um die Pipeline der Mutterorganisation zu füllen», sagt ein WEF-Kenner, der die Organisation berät. Denn Schwab braucht auch bei den Teilnehmern Nachwuchs. Mittels der Young Global Leaders würden die Jungen ans WEF gebunden. Und sie sichern die Finanzen. Immerhin bezahlt ein Drittel der Mitglieder, vorwiegend aus dem Businessbereich, Mitgliederbeiträge. 10000 Franken pro Jahr sind es, die meist vom Arbeitgeber kommen. Den Rest finanziert das Young Global Leaders Forum über Partnerfirmen. Es sind bereits über 30. «Mit den Mitgliederbeiträgen werden die Leader von morgen auch gemolken», sagt der Kenner. Denn der Apparat ist gross und verschlingt Millionen.
Kein Wunder, hat Schwab schon die angeblichen Leader von übermorgen im Visier. In der Community der «Global Shapers» rekrutiert er seit kurzem die 20- bis 30-Jährigen.
Im Dienst der Weltverbesserer: Die Initiativen der Young Global Leaders
Sozialengagement
Nach der Nominierung zum Young Global Leader gehört es zum guten Ton, Projektgruppen und Initiativen zu lancieren. 400 der über 700 Mitglieder seien gemäss Young Global Leaders wirklich aktiv. Rund 60 Initiativen sind derzeit am Laufen in Bereichen wie Bildung, Umwelt, Gesundheit oder Wirtschaft. Die aktuellste soll einer Milliarde armen Menschen auf der Welt Bildung zugänglich machen – über Handy-Apps.
Wirtschaftsstunde
Eine andere Initiative, für die sich Carolina Müller-Möhl einsetzt, macht auf das Verschuldungsproblem und das mangelnde Finanzwissen von Jugendlichen aufmerksam. Die Unternehmerin betreibt Lobbyarbeit an Schulen, in Politik und Wirtschaft, um die Verankerung von Finanzthemen in den Lehrplänen zu forcieren. Dieses Jahr will ihr Verein den ersten «Learn Money Day» organisieren. Young Global Leaders sollen weltweit Finanzkompetenz an den Schulen unterrichten.
Anlagebuch
Mit von der Partie in Müller- Möhls «Learn Money»-Verein ist Mirjam Staub-Bisang. Inspiriert durch die Treffen schrieb sie ein Buch über nachhaltige Anlagen. Dieses soll gar auf Englisch und Koreanisch erscheinen. Das hat sie wohl auch WEF-Gründer Klaus Schwab zu verdanken. Er schrieb das Vorwort.