Vergebene Liebesmüh? Während Jahrzehnten haben Geldratgeber, Vorsorgeberaterinnen und Finanzblätter versucht, die helvetischen Sparer und Sparerinnen dazu zu motivieren, doch wenigstens einen Teil ihrer Mittel in reale Sachwerte, also in Aktien und in Immobilien, zu investieren.

Mit mässigem Erfolg. Die Aktienquote der privaten Haushalte hat in den letzten Jahrzehnten nur ausnahmsweise, nämlich kurz vor der Finanzkrise, mehr als 20 Prozent betragen und ist dann immer deutlich unter dieser Marke verharrt. So zeigt die Statistik der Schweizerischen Nationalbank (SNB), dass 2018 in unserem Land gerade mal 13 Prozent aller Forderungen privater Haushalte von total 2560 Milliarden Franken in Aktien investiert waren.

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Der Grossteil der Ersparnisse bestand aus Bargeld und Kontoeinlagen (31 Prozent) sowie aus Forderungen gegenüber Pensionskassen und Versicherungen (39 Prozent). «Der Aktienanteil ist im Verlauf der vergangenen zwanzig Jahre sogar merklich zurückgegangen», stellte die SNB fest. Hinzu komme, dass nur relativ wenige Privathaushalte Direktanlagen in Aktien besässen. 

Einmal Aktienmuffel …

Regelmässige Umfragen bestätigen diesen Sachverhalt: «Die Schweizer Bevölkerung bleibt sich treu und investiert auch während der Pandemie noch immer konservativ», sagt Benjamin Manz, Geschäftsführer von Moneyland.ch. Cash bleibe bei Schweizer Anlegerinnen und Anlegern die mit Abstand beliebteste Anlageform.

Aktien haben gegenüber der Umfrage vor einem Jahr vor Ausbruch der Corona-Krise kaum zugelegt. Dies trotz dem Höhenflug der Aktienmärkte und trotz anhaltenden Negativzinsen.

… nicht immer Aktienmuffel

Doch das war bis vor kurzem. Mitten in der Corona-Pandemie hat das Interesse für Aktien nämlich unvermittelt und massiv zugenommen. Gerade bei den Jungen, die zuvor kaum Interesse an Dividendenwerten zeigten. Zum Meinungswechsel beigetragen haben Medienberichte über rassige Kursgewinne mit Techno-Titeln oder mit Kryptowährungen, insbesondere mit dem Bitcoin.

Prognosen sind kaum möglich

Die breite Streuung der Anlagen auf verschiedene Anlageklassen ist deshalb so wichtig, weil die Prognosegenauigkeit und -möglichkeiten an den Finanzmärkten deutlich geringer sind als etwa in der Meteorologie. Auf das Bauchgefühl sollte man sich schon gar nicht verlassen. Und noch so ausgeklügelte Prognosemodelle haben in den entscheidenden Momenten immer wieder versagt, wie die Geschichte der Börsenbaissen und -haussen zeigt. Noch in unguter Erinnerung sind beispielsweise die Fehlprognosen vor der Finanzkrise 2007. Nur gerade drei Monate vor Ausbruch dieser Krise sagten beispielsweise die BAK-Experten und Expertinnen den Banken eine rosige Zukunft voraus.

Für den Risikoexperten Gerd Gigerenzer vom Berliner Max-Planck-Institut ist klar: «Modelle funktionieren nur in einer idealen Welt mit bekannten Risiken. Nicht aber in der realen, völlig ungewissen Welt der Finanzmärkte.» Hier könnten einfache, intuitive Grundsätze klüger sein – beispielsweise das Geld gleichmässig auf verschiedene Fonds aus den einzelnen Anlageklassen zu verteilen. Andere Risikoexperten sekundieren: «Ist der Anlagehorizont lang, wie dies sowohl bei Pensionskassen als auch bei vielen Privatanlegern der Fall ist, können einfache Modelle zielführender sein als komplexe Modelle.»

Onlinebroker wie Robin Hood, Trade Republic oder in der Schweiz Swissquote und Postfinance sowie Saxo haben zudem den Handel mit Wertschriften und Währungen via Handy-Apps massiv erleichtert. Dies praktisch ohne Gebühren, aber nicht ohne Gefahren: «Der schnelle Smartphone-Handel und die spielerische Aufmachung der Apps treibt junge Nutzerinnen und Nutzer in risikoreiche Geschäfte und birgt die Gefahr, abhängig zu machen. Auf dem Smartphone handeln die Hobbyaktionärinnen und -aktionäre noch impulsiver als sonst», befürchtet der deutsche Finanzwissenschafter Andreas Hackethal.

Kursraketen noch und noch

An den US-Börsen sind die Warnzeichen durch kopflose Spekulationen noch deutlicher: So wurde der Börsengang des US-Lieferservices Doordash gleich mit einem Kurssprung von 82 Prozent am ersten Handelstag gefeiert. Und der Aktienkurs von Quantumscape, einem Unternehmen, das Batterien für Elektrofahrzeuge herstellen will, aber erst 2025 nennenswerte Umsätze erzielen wird, stieg in den vergangenen drei Monaten zwischenzeitlich um fast 800 Prozent.

Die Liste solcher Kursraketen lässt sich fast beliebig verlängern. Allein für den Monat Oktober listet «Börsennews.de» 92 Titel in Europa und in den USA auf, die innert vier Wochen um mehr als 200 Prozent zugelegt haben.

In der Schweiz wird kaum gezockt

Auch in der Schweiz haben neue Anlegergruppen, die sich zuvor überhaupt nicht für Dividendenwerte interessierten, den Aktienmarkt neu für sich entdeckt. Marc Bürki, Leiter von Swissquote, des grösste Schweizer Online-Brokers, bestätigt: «Wir haben während der Pandemie einen Ansturm an neuen Kundinnen und Kunden erlebt. Bei der Neukundschaft handelt es sich aber vorwiegend um Investoren mit grösseren Anlagevermögen, die dieses selbst verwalten wollen. Den klar grössten Anteil der Neukunden und Neukundinnen hat die Altersklasse der Vierzig- bis Sechzigjährigen. Dies war schon in der Vergangenheit so».

Auch Junge investieren mittel- und langfristig

Natürlich gebe es auch jüngere Kunden und Kundinnen, die kleinere Beträge investierten. Für diese sei auch der Ausbau des Kryptowährungshandels von Interesse.

Dass die junge Kundschaft eher gezockt als investiert habe, will Bürki nicht bestätigen: «Wir sehen uns als Bank, die den Wertschriftenhandel demokratisiert hat und es Kundinnen und Kunden ermöglicht, ihr Vermögen, ob klein oder gross, selbst zu verwalten. Die Anleger und Anlegerinnen fällen ihre Investitionsentscheidungen selbstständig. Doch eine Verschiebung hin zu mehr Day-Trading sehen wir nicht. Die grosse Mehrheit unsere Kundinnen und Kunden sind mittel- bis langfristig ausgerichtete Investoren».

Zumindest in der Schweiz können die Geldratgeber und -ratgeberinnen demnach aufatmen. Die neuen Aktienfreunde sind nicht blosse Kurzfristspekulanten, sondern haben offensichtlich auch längerfristiges Interesse am renditestärksten Anlageinstrument. Ein Gewinn für die Aktienkultur in der Schweiz.

Auf Diversifikation nicht verzichten

Bleibt den Geldgurus noch, die neuen Aktienfans auf die langfristig bewährte Gewinnerstrategie an den Finanzmärkten aufmerksam zu machen. Die Zauberworte heissen hier «Diversifikation» und «langer Zeithorizont».

Diversifikation bedeutet nach der bewährten Börsenweisheit, nicht alle Eier in denselben Korb zu legen, also auch nicht ausschliesslich auf Aktien zu setzen. Sondern die anzulegenden Mittel breit auf die verschiedenen Anklageklassen (Geldmarkt, Obligationen, Aktien, Immobilien usw.) und innerhalb der Klassen auf verschiedene Einzelwerte zu verteilen.

Fonds und ETF als geeignete Instrumente

Eine solche Streuung der Anlage ist nicht nur für Grossanlegerinnen und -anleger möglich, hat doch die Finanzbranche ihre Hausaufgaben für einmal rechtzeitig gemacht und das Diversifikationsproblem auch für Privatanleger und -anlegerinnen seit längerer Zeit elegant gelöst: mit einer Riesenauswahl an Anlagefonds oder ETF, die in der Regel in dreissig bis vierzig Einzeltitel investiert sind. «Mittels Kollektivanlagen wie Fonds oder ETF lässt sich in der Tat eine sehr kostengünstige Diversifikation erreichen», sind die Anlagestrategen der Banken überzeugt.

Anlegerinnen und Anleger könnten so von der breiten Streuung und von den Skaleneffekten der Grösse profitieren, die die Transaktionskosten von Fonds reduzierten. «Mit Anlagefonds kann das Risiko mit einer einzigen Transaktion effizient und breit gestreut werden», betont die Postfinance. Dies ist bereits ab kleinen Beträgen möglich: Bei der Postfinance seien Fondssparpläne bereits ab 20 Franken erhältlich. 

Der Klassiker für weniger betuchte Privatanlegerinnen und Privatanleger sind sogenannte Strategiefonds oder -ETF: Strategiefonds streuen das Vermögen über verschiedene Anlageklassen, Regionen und Währungsräume und bieten dem Anleger zudem die Möglichkeit, im Einklang mit dem persönlichen Risikoprofil zu investieren.

Hinreichend bestätigte Regel

Die Wette gilt: Wie in der Vergangenheit wird es sich auch in Zukunft lohnen, breit diversifiziert in Aktien, Festverzinsliche, Gold und Immobilien zu investieren – und zwar für alle. «Gerade in Zeiten wie diesen bietet eine gute Diversifikation über die verschiedenen Anlageklassen hinweg die beste Absicherung», sind sich Anlagestrategen und -strateginnen einig. 

Die Probe aufs Exempel gemacht: Mit einer gleichmässigen Streuung auf diese Anlageklassen hat ein Investor in allen fünf Zehnjahresperioden seit 1970 eine durchschnittliche Rendite von mindestens 4 und durchschnittlich 6 Prozent erreicht (siehe Tabelle). Dies pro Jahr, wohlverstanden. Und das Beste daran: Es gibt keinen Grund zur Annahme, dass dies nicht auch in Zukunft so sein sollte.

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