Gleich vier Megatrends – Wirtschaft vor Umwelt, asymmetrischer Kapitalismus, demografische Dividende und Globalisierung – haben die Voraussetzungen für niedrige oder negative Realzinsen in den USA und Europa geschaffen. Diese Trends sind nun am Auslaufen, was bedeutet, dass die nächsten zehn Jahre ganz anders aussehen könnten.

Das aussergewöhnliche Paradigma, das die Weltwirtschaft und die weltweiten Aktien- und Schuldenmärkte (vor allem in den USA und Europa) in den letzten vier Jahrzehnten beherrscht hat, wird auf eine harte Probe gestellt werden. Dies war bereits vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine der Fall, und der Konflikt (selbst wenn er schnell gelöst wird) könnte nun als noch unmittelbarerer Katalysator wirken.

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Zum ersten Mal in den letzten 100 Jahren erleben wir eine hohe Staatsverschuldung, eine sich beschleunigende Inflation und ungewöhnlich hohe Bewertungen – und das alles zur gleichen Zeit. Die Inflationsrate klettert allmählich wieder auf das Niveau der 1970er Jahre, also auf deutlich über 5 Prozent.

Rekordhohe Verschuldung

Die Verschuldung im Verhältnis zum BIP ist ähnlich hoch wie in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg (im Durchschnitt über 100 Prozent des BIP), als die Länder nach einem verheerenden sechsjährigen Konflikt ihre Ausgaben für den Wiederaufbau tätigten.

Die Kurs-Gewinn-Verhältnisse sind nach wie vor hoch, insbesondere bei Wachstumswerten (auch wenn sie in letzter Zeit etwas gesunken sind), wobei die Bewertungen für unrentable Unternehmen, mit denen auf dem Höhepunkt der Dotcom-Blase in den 1990er Jahren vergleichbar sind. Die Marktkapitalisierung der USA und Europas in Prozent des BIP ist weiterhin auf dem höchsten Stand der letzten Jahrzehnte.

Instabiles Gleichgewicht

Dieses instabile Gleichgewicht ist durch eine lange Phase niedriger und schliesslich negativer Nominalzinsen ermöglicht worden. Die realen Negativzinsen der letzten zwei bis drei Jahre (zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Berichts nahezu 5 Prozent auf Kassabasis) führten dann zu den niedrigsten Kapitalkosten der letzten 50 Jahre, während die Kreditrisikoprämien ebenfalls massiv gesunken sind. Dies ist auch im ersten Quartal 2022 noch der Fall, obwohl die Inflation ernsthaft zu steigen beginnt.

Der Autor – Didier Rabattu

Didier Rabattu ist Head of Equities und kam 2011 zu Lombard Odier IM. Zuvor war er Teilhaber und Portfoliomanager bei Amber Capital sowie Teilhaber von Talaris Capital. Noch vorher in seiner beruflichen Laufbahn war er Global Co-Head des Bereichs Consumer and Retail im Investmentbanking bei der Deutschen Bank. Seinen Berufseinstieg hatte er als Analyst bei SG Warburg.

Das nächste Jahrzehnt wird wahrscheinlich sowohl Schocks als auch Chancen für die Anleger bringen, die darauf vorbereitet sein müssen, sich an das neue Paradigma anzupassen, das wie folgt aussieht:

  • Ökologischer Wandel: Die für den Übergang zu einer nachhaltigeren Wirtschaft erforderlichen Investitionen könnten riesige Ersparnisse verschlingen. Wir schätzen, dass die USA, Europa und Asien zusammen 5 Billionen USD für Infrastruktur und Produktion ausgeben müssen, um die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu verringern und die Temperaturen auf 1,5⁰ bis 2⁰ über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Selbst wenn Solar- und Windenergie kostenlos sind, werden die für die Umgestaltung von Städten, Infrastrukturen und Fabriken erforderlichen Investitionen wahrscheinlich überschüssige Ersparnisse aufzehren (was die Zinssätze in die Höhe treibt) und die Wareninflation (für höherwertige Produkte) fördern.

Auch die Erhaltung der biologischen Vielfalt wird jährliche Investitionen in Höhe von 400 Milliarden USD zum Schutz der Natur nach sich ziehen. Die nächsten 10 bis 20 Jahre werden zeigen, dass externe Effekte ihren Preis haben und die Marktteilnehmer die Kosten der Naturzerstörung in ihre Entscheidungen einbeziehen müssen.

  • Die Symmetrie kehrt in den Kapitalismus zurück: Das extreme Wohlstandsgefälle erhöht das Risiko sozialer und politischer Unruhen. Auch die Gewinnspannen und Gewinne der Unternehmen sind so hoch wie nie zuvor (mit einer realen Kapitalrendite von etwa 15 Prozent). Die Staatsverschuldung auf Kriegsniveau fällt mit der Verpflichtung zur fiskalischen Expansion zusammen. Die Erhebung ausreichender Steuereinnahmen ist jetzt nicht nur eine wirtschaftliche Notwendigkeit, sondern auch ein politisches Instrument, um die Exzesse des Kapitalismus auszugleichen. Der Aufbau eines gerechteren Systems, das Arbeit belohnt und die Möglichkeiten globaler Unternehmen, sich die niedrigsten Steuersysteme zu suchen, einschränkt, nimmt Gestalt an. Es ist daher wahrscheinlich, dass die Körperschaftssteuer steigen wird.
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Aktuelle Markteinschätzungen und Wissensbeiträge rund ums Investieren
  • Demografische Klippe: Wir schätzen, dass die weltweite Erwerbsbevölkerung in den nächsten fünf Jahrzehnten alle fünf Jahre um durchschnittlich 4-5 Prozent schrumpfen wird.[6] Ein solcher Rückgang ist in der modernen Geschichte beispiellos und wird die Unternehmen zu einem Wettlauf um qualifizierte Arbeitskräfte zwingen. Gleichzeitig wird eine alternde Gesellschaft neue arbeitsintensive Dienstleistungen erfordern. Dieser Wettbewerb wird wahrscheinlich die Löhne weltweit in die Höhe treiben.
     
  • Eine regionalisierte Welt: Die regionale Polarisierung könnte sich mit einer zunehmenden makroökonomischen Fragmentierung durchsetzen. Jeder Block (Nordamerika, Europa, Nordasien) wird nun wahrscheinlich nach seinen eigenen strategischen und wirtschaftlichen Prioritäten handeln. Die Globalisierung hat die Lieferketten in der ganzen Welt verlängert, und das Streben nach Effizienz hat Just-in-time-Systeme normalisiert. Die politischen Krisen und jetzt der Krieg in der Ukraine machen die Schwächen dieser Praktiken deutlich, indem sie zu Engpässen und Unterbrechungen in verschiedenen Regionen führen und vor allem die strategische Unabhängigkeit in bestimmten Sektoren (Arzneimittel, Energie, Lebensmittel usw.) gefährden.

    Regierungen und Unternehmen werden wahrscheinlich den Kompromiss zwischen Effizienz und Sicherheit bei der Versorgung in Schlüsselbereichen überdenken. Regionale Unabhängigkeit und Selbstversorgung werden unserer Meinung nach mit höheren Kosten einhergehen, da Umweltbelange in den Mittelpunkt rücken. 

Eine Ära der Inflation

Wir glauben, dass die Megatrends, die die Welt in den letzten vier Jahrzehnten geprägt und Kapital so billig und reichlich verfügbar gemacht haben, wahrscheinlich nicht anhalten werden.

Die vier Megatrends sind von Natur aus inflationär für Güter und Löhne, während die Investitionen in den ökologischen Wandel alle verfügbaren Ersparnisse aufzehren könnten. Die von uns erwarteten Veränderungen werden daher wahrscheinlich sowohl die Inflation als auch die Zinsen in die Höhe treiben.

Risikoprämien auf Rekordhoch

Der Aktienmarkt hat sich bereits teilweise auf die mögliche neue Welt eingestellt. Die Risikoprämie für Aktien ist auf ein Niveau angestiegen, das zuletzt in den 1970er Jahren zu beobachten war, wenn man zur Berechnung der aktuellen Realzinsen die Spot-Inflation heranzieht.

In den kommenden Monaten wird sich zeigen, ob die Risikoprämie als Folge einer Verschlechterung der realen Kapitalrendite der Unternehmen und/oder weil die realen Zinssätze wieder auf 0 fallen, stark zurückgeht oder ob sie in einem Szenario mit einer strukturell hohen Inflation wie in den 70er Jahren erhöht bleiben wird.