Die «Financial Times» schreibt von einer «Reise ins Irrenhaus». Bloomberg berichtet von «einer wilden Katastrophe», «einer chaotischen Geschichte», von der die Wall Street «keine Ahnung» hatte. Mittendrin in diesem Krimi: die Credit Suisse. Am Rande dabei: die UBS.
Die Rede ist vom Archegos-Debakel. Der US-Hedgefonds von Bill Hwang kollabierte im letzten Frühling, nachdem er unter strengster Geheimhaltung und einem grossen Lügengebäude eines der grössten Vermögen der Welt angehäuft hatte. 160 Milliarden Dollar investierte Archegos in der Spitze – fast ausschliesslich Fremdkapital, hoch-konzentriert angelegt, um die Preise am Markt bestmöglich zu manipulieren.
Eine 59-seitige Anklageschrift aus den USA legt die Details des betrügerischen Systems offen. Es beschreibt einen rasanten Aufstieg und Fall, wie ihn die Wall Street noch nie erlebt hat. Innert Monaten hat Archegos das Risiko von 10 auf 160 Milliarden Dollar hochgeschraubt. Den Banken erzählten die Manager des Hedgefonds, dass sie in grosse Tech-Aktien investieren würden und die Positionen innert Kürze wieder abbauen könnten, ohne Schockwellen zu generieren. Tatsächlich investierten sie in deutlich kleinere Firmen.
Hybris und Habgier von Hwang
Bis zum Schluss glaubte Hwang, er könne die Weltmärkte im Alleingang nach seinem Willen lenken, schreibt die Staatsanwaltschaft. Hybris und Habgier, heisst es in der Klageschrift, seien die Triebfedern eines Plans zur Täuschung von Grossbanken und zur Manipulation der Märkte gewesen.
Bei einer Verurteilung in allen Anklagepunkten droht Hwang eine Höchststrafe von bis zu 380 Jahren Gefängnis. Er plädiert auf nicht schuldig in allen elf Anklagepunkten, darunter Verschwörung zur Erpressung, Marktmanipulation und Wertpapierbetrug. Hwang ist gegen eine Kaution von 100 Millionen Dollar auf freiem Fuss. Er soll am 19. Mai wieder vor Gericht erscheinen.
Das in der Anklageschrift beschriebene Betrugsschema war einfach: Archegos kaufte enorme Mengen an Aktien in sehr konzentrierten Positionen, meist mit Geld, das sich die Firma von Investmentbanken geliehen hatte. Dann kaufte Archegos tonnenweise weitere dieser Aktien auf indirektem Wege, indem sie Total Return Swaps (wiederum mit geliehenem Geld) einsetzten und so eine öffentliche Bekanntgabe ihrer riesigen, konzentrierten Positionen vermieden. Den Geldgebern erzählten sie derweil schamlos Lügen, um noch mehr Kredite zu erhalten und die Preise weiter zu manipulieren.
Der Kollaps kam im März 2021, als eine der grössten Archegos-Beteiligungen in Schieflage geriet. Der Schaden alleine bei der Credit Suisse: rund 5 Milliarden Franken. Bei der Grossbank kam es in der Folge zu einer internen Untersuchung, einer Reihe von Managementwechseln und Verfahren von Aufsichtsbehörden. Eine Kapitalerhöhung wurde nötig, Versäumnisse bei der Steuerung der Risiken wurden publik, gegen 23 Personen hat die Bank Massnahmen ergriffen, neun erhielten die Kündigung. Boni wurden gestrichen, Rückzahlungen von zuvor ausgeschütteten Beträgen sind gefordert worden.
Insiderhandel und Marktmanipulation
Das Debakel ist umso bemerkenswerter, als Hwang alles andere als ein unbeschriebenes Blatt war. Hwang war bereits im Konflikt mit den Aufsichtsbehörden der USA. Er war Ziel jahrelanger Ermittlungen rund um den Vorwurf des Insiderhandels und der Manipulation chinesischer Bankaktien. Die Behörde behauptete, Hwang habe «die Grenze überschritten», indem er vertrauliche Informationen über anstehende Aktienemissionen von den Konsortialbanken erhalten und diese dann zur Erzielung unrechtmässiger Gewinne genutzt habe.
Hwang legte den Fall bei, ohne ein Fehlverhalten zuzugeben oder zu leugnen. Der Vorfall zwang ihn aber zum Ausstieg aus der Branche der Vermögensverwalter. Er gründete Archegos – ein griechisches Wort, das mit «Autor» oder «Hauptmann» übersetzt und oft als Verweis auf Jesus angesehen wird –, um sein eigenes Vermögen zu verwalten. Als frommer Christ hielt er freitags um 7 Uhr am Morgen Bibellesungen ab, bei denen sich zwanzig oder dreissig Personen um einen langen Tisch drängten und bei Kaffee und Gebäck Aufnahmen der Bibel hörten.
Hwang gründete auch die Grace and Mercy Foundation, die auf ein Vermögen von Hunderten von Millionen Dollar anschwoll und hauptsächlich christliche Organisationen unterstützte. Er hat zudem die von Cathie Woods Ark Investment Management verwalteten Fonds gegründet. Wood ist ebenfalls dafür bekannt, dass sie Bibelstudien abhält, und gehört zu dem, was manche als «Glauben im Finanzwesen» bezeichnen.
Interne Analysten ignoriert
Nach Angaben der Staatsanwaltschaft änderte sich etwas Grundlegendes in Hwangs Anlageverfahren, als die Covid-19-Pandemie ausbrach. Früher investierte er in grosse und hochliquide Aktien. Doch schon bald wandte er sich kleineren Unternehmen zu. In den Jahren 2020 und 2021 ignorierte er zunehmend das interne Analystenresearch von Archegos, nachdem er zuvor wöchentliche Strategiesitzungen abgehalten hatte, heisst es in den Anklagedokumenten. Stattdessen «verbrachte Hwang häufig fast seinen gesamten Arbeitstag mit den Händlern».
Als seine Wetten immer umfangreicher wurden, erweiterte Hwang die Liste der Banken, die Archegos eine Hebelwirkung verschafften – angeblich ohne dass die anderen davon wussten. Immer wieder wurde das Märchen erzählt, Archegos investiere in Amazon, Google und andere Tech-Werte, wo die Gelder doch ganz woanders hinflossen.
Hwang sei nicht nur unehrlich gewesen, urteilt die «Financial Times» in einem vernichtenden Kommentar. «Er ist anscheinend auch nicht mehr bei Verstand.» Es hätte keine Möglichkeit gegeben, irgendwie schadlos auszusteigen. Der Kollaps war schon beinahe vorprogrammiert. Und das Verhalten der Banken taxiert das Finanzblatt kurzerhand als «bemerkenswerte Dummheit».