USA, Thailand, Israel: Immer mehr Länder heissen wieder internationale Touristen und Touristinnen willkommen. Ist nun der Zeitpunkt gekommen, auf Aktien aus der Reisebranche und der Luxusgüterindustrie zu setzen?
Julien Lafargue: Die Reisebranche erholt sich zwar wieder, aber wir glauben, dass dies vom Markt bereits weitgehend vorweggenommen wurde. Es ist auch wichtig zu wissen, dass Geschäftsreisen, die für viele Hotels und Fluggesellschaften am profitabelsten sind, wahrscheinlich noch jahrelang rückläufig sein werden, da Videokonferenzen zur Norm werden. Luxusgüterunternehmen hingegen verzeichnen weiterhin ein spektakuläres Wachstum und zusätzliche Touristenströme dürften sich positiv auswirken.
Wie stehen die Chancen für ein Jahresend-Rally an den Börsen?
Den Bären gehen die Argumente aus, abgesehen von «Aktien sind teuer». Daher sind wir der Meinung, dass der Weg des geringsten Widerstands für die Märkte von hier aus nach oben führt. Wir rechnen jedoch mit grösserer Volatilität, da die Anleihemärkte die Aussichten auf Zinserhöhungen in der ganzen Welt weiterhin neu bewerten.
Sin Stocks – also Aktien aus gesellschaftlich schlecht angesehenen Branchen – sind bei vielen Anlegerinnen und Anleger verpönt. Dennoch lassen sich mit ihnen teilweise attraktive Renditen erzielen. Sind solche Titel für Sie tabu?
Keine Aktie oder Branche ist tabu, aber es ist für uns äusserst wichtig, bei allen Aktien – nicht nur bei den Sündenaktien – zu prüfen, welche Auswirkungen ein Unternehmen letztlich auf den Planeten, die Gesellschaft und seine Mitarbeitenden hat. Diese Überlegungen sind genauso wichtig wie die Rentabilitätskennzahlen.
Wie stehen Sie zu Investitionen in den chinesischen Aktienmarkt?
Wir sehen weiterhin enorme langfristige Wachstumschancen in China. Allerdings durchläuft das Land derzeit eine wirtschaftliche Schwächephase, die in Verbindung mit einer verschärften regulatorischen Kontrolle viele Anlegerinnen und Anleger abschreckt und zu einer deutlichen Underperformance der wichtigsten chinesischen Aktienmärkte geführt hat.
Wir gehen davon aus, dass die Erholung einige Zeit in Anspruch nehmen wird, da das Vertrauen der Anlegenden erst wiederhergestellt werden muss, und würden abwarten, bis die chinesischen Behörden weitere Unterstützung für die Wirtschaft ankündigen, bevor wir eine positivere Haltung gegenüber chinesischen Anlagen einnehmen.
«Die Reisebranche erholt sich zwar wieder, aber wir glauben, dass dies vom Markt bereits weitgehend vorweggenommen wurde.»
Wechseln wir zum allgemeinen Geschehen an den Börsen: Wie stark beschäftigt die Corona-Krise die Finanzmärkte?
Wir glauben, dass die Covid-19-Krise allmählich von einer Pandemie zu einer endemischen Krankheit übergehen wird, deren Auswirkungen in Zukunft eher denen einer saisonalen Grippe ähneln werden. Das bedeutet, dass das globale Wachstum weiterhin gebremst wird, wenn auch in relativ geringem Masse und nicht so schockartig, wie wir es im letzten Jahr erlebt haben. Es bedeutet auch, dass die Fiskal- und Geldpolitik ihren Normalisierungsprozess einleiten sollte, was die Rendite von Risikoanlagen mittelfristig belasten könnte.
Wie wird sich die Schweizer Börse kurzfristig entwickeln?
Wir sind der Ansicht, dass der SMI aufgrund seiner starken Ausrichtung auf die langfristigen Trends, insbesondere im Gesundheitssektor, weiterhin gut unterstützt ist. Sein defensiver Charakter könnte jedoch kurzfristig zu einer relativen Underperformance führen, da die Anleger eher zyklisch orientierte Teile des Aktienmarktes bevorzugen.
Wo steht der SMI in zwölf Monaten?
Wir gehen davon aus, dass die Renditen in Zukunft verhaltener ausfallen und vom Ertragswachstum diktiert werden, während die Bewertungen noch Spielraum für weitere Rückgänge haben. Wir halten 5 bis 7 Prozent Aufwärtsentwicklung für ein angemessenes Ergebnis in den nächsten zwölf Monaten.
Julien Lafargue beantwortete die Fragen schriftlich.