In den letzten 15 Jahren hat es in den Industrieländern kaum mehr Inflation gegeben. Die Zentralbanken mussten vielmehr die Deflation bekämpften, dies mit niedrigen bis negativen Zinssätzen. Der pandemiebedingte Stillstand der Weltwirtschaft hat nun mehrere langfristige Trends beschleunigt, die zu den aktuellen Schocks auf der Angebotsseite und der daraus folgenden Rückkehr der Inflation geführt haben. Was hat zu dieser veränderten Dynamik geführt?

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Mehr als Covid-19

Anfänglich wurde diskutiert, ob der Inflationsdruck nur vorübergehend ist. Die Inflationsdaten scheinen jedoch auf einen längerfristigen, dauerhaften Trend hinzuweisen. Die Zentralbanken stellen sich daher darauf ein, die ausserordentlichen geldpolitischen Anreize, die zur Unterstützung der Volkswirtschaften während der Pandemie eingesetzt wurden, zurückzufahren.

Zunächst wurden Covid-19 und seine Folgen für die Schocks auf der Angebotsseite, eine der Hauptursachen für die Inflation, verantwortlich gemacht, da die Staaten enorme fiskalische Anreize zur Ankurbelung ihrer Wirtschaft boten. Die Ursache dürfte aber tiefer liegen.

Energiewende erfordert enorme Investitionen

Wir sehen Anzeichen für eine Energiewende, weil die Welt ihre Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen verringert und sich auf erneuerbare Energien konzentriert. In Europa ist dies bereits zu beobachten. Ein rascher Anstieg der Energienachfrage geht mit einer Umstellung auf sauberere Energiequellen einher. Die Gaspreise sind daraufhin in die Höhe geschossen und haben die Inflation weiter angeheizt. Mit dem nahenden Winter in der nördlichen Hemisphäre wird die Verknappung wahrscheinlich noch deutlicher spürbar werden.

Über die Autorin

Tatjana Greil-Castro ist Co-Head Public Markets bei Muzinich & Co.

In China, wo zunehmende Umweltsorgen dazu beigetragen haben, den Einsatz von Kohle zu verringern, kommt ein geringeres heimisches Kohleangebot hinzu. Darüber hinaus bestehen geopolitische Auseinandersetzungen wie die Blockade von Energieimporten aus Australien. Dies zu einem Zeitpunkt, an dem das Land im Zuge der Ankurbelung der Wirtschaftstätigkeit auch mit einer erhöhten Energienachfrage konfrontiert ist.

Energielücke wird grösser

Die weltweite Umstellung auf erneuerbare Energien erfordert enorme Investitionen und könnte daher zu einer anhaltenden Inflation führen, da es sich nicht um ein kurzfristiges Problem handelt. Die Umstellung könnte weit über ein Jahrzehnt dauern.

Doch im Kampf gegen den Klimawandel erschweren Wetterveränderungen die Erzeugung vorhersehbarer erneuerbarer Energie. Das führt zu weiteren Engpässen. Es ist unwahrscheinlich, dass es eine einfache Lösung für die Angebots/Nachfrage-Lücke gibt.

Auswirkungen des Klimawandels

Neben den zunehmenden Schwierigkeiten bei der Energieerzeugung treibt der Klimawandel auch die Kosten für Lebensmittel in die Höhe. Die Ernten in Südamerika haben in diesem Jahr aufgrund von Dürren und/oder Überschwemmungen gelitten.

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Die Zerstörung des Amazonas-Regenwaldes und anderer Lebensräume, die als Binder von Kohlenstoff fungieren, führt zu einem weiteren Klimawandel, der sich auf die Pflanzenproduktion auswirken und die Preise weiter in die Höhe treiben wird.

Deglobalisierung verschärft Lieferengpässe

Ein weiterer Trend, der durch die Pandemie beschleunigt wird, ist die zunehmende Deglobalisierung. Die steigende Autarkie der Regierungen verschärft Lieferengpässe und macht deutlich, wie stark die Lieferketten voneinander abhängig geworden sind. Ereignisse wie der Brexit und die Verschlechterung der Handelsbeziehungen zwischen den USA und China führen zu weiteren Unterbrechungen der Versorgungskette und folglich zu Inflation.

Höhere Lohnforderungen und Fachkräftemangel

Strukturelle Veränderungen aufgrund der Pandemie wirken sich auch auf den Inflationsdruck der zweiten Runde aufgrund höherer Lohnforderungen aus. Dies ist vor allem in den USA zu beobachten, wo die Zahl der Arbeitskräfte in einer Zeit höherer Nachfrage abnimmt.

Da die Lebenshaltungskosten steigen, während die Löhne stagnieren, werden wir wahrscheinlich mehr Fälle von höheren Lohnforderungen erleben, während die Arbeitgeber Schwierigkeiten haben werden, Arbeitskräfte zu finden. Gleichzeitig altert die Bevölkerung in vielen Ländern, und die Rentner können nicht ersetzt werden. Das Bildungssystem hat sich auf ein enges Spektrum von Beschäftigungsmöglichkeiten konzentriert, wodurch die weniger bildungsorientierten Berufe oft einem Mangel an Neueinsteigern in bestimmten Sektoren ausgesetzt sind.

Was tun die Zentralbanken?

Haben Politiker und Zentralbanken die Macht, die Inflation angesichts so vieler widersprüchlicher Einflüsse zu kontrollieren? Viele Jahre lang hatte die Europäische Zentralbank Mühe, ihr Inflationsziel von «nahe» 2 Prozent zu erreichen; seit 2013 liegt es bei durchschnittlich 0,9 Prozent pro Jahr. Die Frage ist, ob die Verantwortlichen für die Steuer- und Geldpolitik den Mut haben, angesichts der bereits zunehmenden Unsicherheiten durch die erwähnten angebotsseitigen Schocks und andere globale Übergangskräfte eine mögliche Rezession zu riskieren.

Letztes Jahr um diese Zeit waren wir mit den Unsicherheiten konfrontiert, die Covid-19 mit sich brachte. In diesem Jahr und wahrscheinlich auch darüber hinaus scheint die Inflation eines der Hauptthemen der Debatte zu sein.

Als Anleiheinvestoren bleibt das makroökonomische Umfeld ein wichtiger Faktor. Die Bewertungen und Positionen werden weiterhin vor dem Hintergrund einer unsicheren Inflationsentwicklung beurteilt. Diese sind das Ergebnis einer starken Konvergenz von Faktoren, die sich mit den derzeitigen geld- und fiskalpolitischen Überlegungen nicht ohne weiteres kontrollieren lassen werden.