Es ist ein Fakt: Halbleiter sind mittlerweile in fast jedem Endgerät von Auto, Smartphone oder Waschmaschine ein fester Bestandteil. Und Chips sind nach wie vor Mangelware. Das trifft insbesondere die für die Wirtschaft so wichtige Autoindustrie. Aber auch andere Industriezweige im verarbeitenden Gewerbe berichten über Produktionsstau.
Konjunkturerholung unterschätzt
Den Ursprung hat die hier und da bereits als Chipkrise 2.0 betitelte aktuelle Knappheit in der rasanten Konjunkturerholung nach der Corona-Krise. Die Nachfrage sprang Anfang des Jahres unvermittelt an, doch die Halbleiter-Produktion konnte nicht Schritt halten.
Dass die elektronischen Bauteile nach wie vor Mangelware sind, hat zwei Gründe: Die Kunden der Halbleiterhersteller haben während der Corona-Krise ihre Lagerbestände runtergefahren und die Bestellungen zu vorsichtig geplant.
Markus Golinski ist seit April 2014 im Portfoliomanagement Aktien Global bei Union Investment tätig und neben der Analyse von Technologiewerten für zwei Wachstumsfonds verantwortlich.
Zudem ist eine Ausweitung der Produktion, um die Mehrnachfrage abzuarbeiten, aufgrund der technischen Komplexität so schnell nicht umsetzbar. Der Produktionsprozess dauert zumeist mehrere Monate und die Kapazitäten sind schon jetzt voll ausgelastet.
Gründe für die Halbleiterknappheit
Zusätzlich belasten Corona-bedingte Störungen das Hochfahren der Produktion. So haben grosse Chiphersteller wie Infineon ihre Produktion in Malaysia angesichts der Ausbreitung der Delta-Variante gedrosselt oder gar zeitweise einstellen müssen.
Das hat etwa in der Autoindustrie die bereits angespannte Situation verschärft. So haben alle grossen Hersteller in den USA und Europa weitere Produktionskürzungen aufgrund des Chipmangels angekündigt. Eine Entspannung ist erst im Lauf des nächsten Jahres zu erwarten.
Politik greift ein
Aber nicht nur die Automobilbranche ist von der Halbleiterknappheit betroffen. So gibt es Lieferschwierigkeiten bei Spielkonsolen und PC und auch Apple klagte im Frühjahr über fehlende Bauteile bei iPad und Mac-Computern.
Die USA haben nun einen runden Tisch einberufen, um über die Chipversorgung zu sprechen: Das US-Präsidialamt hat dazu Chiphersteller wie Intel, Micron, TSMC sowie Tech-Konzerne wie Apple, Microsoft, Samsung Electronics und Autobauer wie BMW, GM, Ford und Opel-Mutter Stellantis eingeladen.
Hersteller wollen mehr investieren
TSMC, der grösste Auftragsfertiger der Chip-Industrie, hatte bereits zuvor Investitionen von über 100 Milliarden Dollar in den Ausbau von Fertigungsanlagen in Asien und den USA sowie in Forschung und Entwicklung angekündigt. Doch bis eine Anlage die Fertigung hochfahren kann, dauert es oft mehrere Jahre.
Die Rivalität zwischen den USA und China ist auch ein Kampf um Halbleiter. Noch setzen Anleger mit Vorteil auf amerikanische Firmen. Zur Analyse.
Zugleich plant der Hersteller unbestätigten Berichten zufolge eine Anhebung der Preise um bis zu 20 Prozent. Auch andere Halbleiterhersteller wie Intel oder Infineon streben grössere Investitionen an, um die steigende Nachfrage langfristig decken zu können.
Enorm zyklische Branche
Das alles sind gute Nachrichten für den Halbleitersektor. Auf der anderen Seite darf man nicht ausser Acht lassen, dass die Branche sehr stark von der Nachfrage aus den verschiedenen Endmärkten abhängt und die Produktion sehr kapitalintensiv ist. Das macht die Chip-Industrie zu einem der zyklischsten Sektoren in der Wirtschaft.
Halbleiter-Boom ohne Ende
Diese starke Konjunkturabhängigkeit erklärt auch, warum die Aktienkurse der Branchenvertreter trotz der anhaltenden Knappheit nicht nur nach oben klettern: So sorgten beispielsweise im Bereich für Memory-Chips seit dem Frühsommer eine enttäuschende Preisentwicklung sowie Gerüchte von hohen Lagerbeständen bei PC-Herstellern und Cloudanbietern für eine schwache Wertentwicklung bei den führenden Speicherchipherstellern Micron, SK Hynix und Samsung Electronics.
Solche temporären Warnsignale in den einzelnen Chip-Sektoren gibt es immer wieder. Doch in der Breite sorgt die anhaltend hohe Nachfrage nach den kleinen Bauteilen für steigende Kurse. Der SOX-Index (Philadelphia Semiconductor Index) notierte Mitte September auf einem Rekordhoch. Ein Ende des Chipzyklus ist also derzeit nicht zu sehen.
Risikoprofil dürfte sich bessern
Die Ankündigungen grosser Halbleiter-Kunden, angesichts der jüngsten Lieferschwierigkeiten künftig weniger auf die Just-in-Time-Lieferung zu setzen, sondern mehr Wert auf widerstandsfähige Lieferketten legen zu wollen, sollte längerfristig die regelmässigen Angebots- und Nachfrageüberhänge in der Branche etwas glätten. Mit dem Aufbau eigener Lagerbestände übernehmen die Kunden ein Teil des Risikos, das bislang grösstenteils bei den Halbleiterherstellern lag.
Im Gegenzug dürften die Halbleiterhersteller den aktuellen Notstand ihrer Kunden nicht über Massen ausnutzen und zugunsten langfristiger Kundenbindungen auf drastische Preiserhöhungen verzichten.
Wichtige Rolle bei Zukunftsthemen
Und auch die langfristigen Perspektiven sind sehr gut: Bei den grossen Zukunftsthemen wie Digitalisierung, Cloud Computing, Elektrifizierung und Automatisierung sowie künstlicher Intelligenz spielen Halbleiterwerte eine bedeutende Rolle.
Ohne eine Weiterentwicklung der Chips wird es keinen technologischen Fortschritt geben. Der Anteil an Halbleitern nimmt in nahezu jedem Endgerät stetig zu.
Kein Blankocheck
Insgesamt gilt: Entscheidend für eine Aktienbewertung bleibt die Nachfragesituation.
Auch wenn es bislang keine deutlichen Zeichen einer Eintrübung gibt, empfiehlt sich vor dem Hintergrund der gestiegenen Bewertungen aufmerksam zu beobachten, wie sich Lagerbestände sowohl bei den Kunden als auch den Chipherstellern entwickeln.
1 Kommentar
Im schwachen Chip Jahr 2019 und der Corona Panik haben Chip Hersteller ältere Werke in denen vor allem wenig anspruchsvolle Chips für Autos, Haushaltsgeräte, etc. gefertigt wurden geschlossen. Das hat zur aktuellen Knappheit beigetragen.
Da alle Hersteller von Chips ihre Investitionen hochgefahren haben, China eine staatlich unterstützte Aufholjagd gestartet hat, ist in 2 - 3 Jahren mit einer Chip-Schwemme zu rechnen.