Verbraucher und Marktteilnehmer bekommen die höheren Energiepreise an allen Ecken zu spüren. Das liegt vor allem an den steigenden Rohöl- und Erdgaspreisen. Mehrere Faktoren deuten auf eine Fortsetzung der Preissteigerungen bei Rohöl und Erdgas.
Auf Russland entfallen 10 Prozent der weltweiten Ölproduktion, und da die russische Regierung einen Grossteil ihrer Einnahmen aus dem Ölgeschäft generiert, ist die Drosselung dieses Geschäfts das wirksamste Mittel, um Russland ins Visier zu nehmen. Davon werden zuerst die Produzenten ausserhalb Russlands profitieren. Auch die Suche nach Öl auf See wird aufgrund der hohen Preise und der Umgehung Russlands immer attraktiver. Mit der Zeit könnte dies SBM Offshore in die Hände spielen. Shell profitiert bereits direkt durch höhere Preise für Öl und Gas.
Aktuell ist es vor allem die Invasion Russlands in die Ukraine, die die Ölpreise in die Höhe treibt, aber auch andere Faktoren spielen dem schwarzen Gold in die Hände. So könnten sinkende strategische Erdölreserven in den USA den Ölpreis weiter anfachen.
Salah-Eddine Bouhmidi ist Head of Marktes bei der IG Group, einem Finanzdienstleistungsunternehmen mit Sitz in London.
Strategische US-Erdölreserven auf 20-Jahres-Tief
Bereits im vergangenen November versuchte die Biden-Administration den steigenden Rohölpreis durch Senkung der strategischen Erdölreserven zu drosseln. Binnen acht Handelstagen sank der Rohölpreis der Sorte WTI von knapp 80 auf 65 Dollar. Drei Monate später sieht es allerdings nicht mehr so gut aus. Der Ölpreis steigt in einem intakten Aufwärtstrend in Richtung 100-Dollar-Marke und die strategischen US-Erdölreserven sind im freien Fall. Sie befinden sich auf den niedrigsten Stand seit fast zwanzig Jahren.
Die gegenwärtige Divergenz könnte gepaart mit den gestiegenen geopolitischen Risiken zu einer steigenden Rohölnachfrage führen und den Rohölpreis weiter anfachen. Diese dürfte dann die Inflation sowie den Druck auf die Fed erhöhen, die Geldzügel zu straffen.
Nächstes Kursziel bei 100 US-Dollar aktiviert
Charttechnisch befindet sich Rohöl der Sorte WTI seit Anfang Februar in einer Handelsspanne zwischen 87 und 92 Dollar. Technisch kann ein Ausbruch über die 92 Dollar als eine Trendfortsetzung gewertet werden. Bei einem Ausbruch kann auf Basis der Spanne ein neues Kursziel bei 99,07 Dollar bestimmt werden. Das Kursziel wird mithilfe der Spannenhöhe bestimmt. Erst Unterschreitungen unterhalb der unteren Begrenzung bei 87,43 Dollar und ferner des Hochs vom Oktober 2021 bei 85,06 Dollar könnten die Rally vorerst stoppen.
Die Wertentwicklung von Agrarrohstoffen kann über den S&P GSCI Soft Commodities gemessen werden. Seit Jahresbeginn stieg der Index für Agrarrohstoffe um knapp 15 Prozent. Im gleichen Zeitraum stieg der Erdgaspreis um knapp 20 Prozent. Erdgaspreise und Agrarrohstoffe haben historisch eine stark positive Korrelation.
Was hat Erdgas mit Lebensmittelpreisen zu tun?
Erdgas wird nicht nur für die Erzeugung von Wärmenergie genutzt, sondern auch für die Herstellung von Kunstdünger. Aus Erdgas wird Ammoniak hergestellt, das wiederum die wichtigste Zutat für die Herstellung von Stickstoffdünger ist. Dünger ist wiederum essenziell für die Produktion von Agrarrohstoffen. Steigende Erdgaspreise haben somit einen erheblichen Einfluss auf die Preisentwicklung von Nahrungsmitteln. Anhand der Kursentwicklung der vergangenen fünf Jahre können wir eine parallele Kursentwicklung zwischen Erdgaspreisen und Ammoniakpreisen erkennen.
Angebotsverknappung könnte weiter anhalten
Der steigende Erdgaspreis führt zu einer Reduzierung der Düngerproduktion und kann zu einer Angebotsverknappung führen, die, wie in den vergangenen Monaten zu beobachten war, die Preise für Düngemittel auf Allzeithochs katapultierte. Auch Exportverbote aus China und Russland im vergangenen September und die jetzt steigenden Spannungen zwischen Russland und Ukraine könnten die Versorgungsengpässe bei Düngemittel weiter erhöhen und damit auch die Lebensmittelpreise weiter befeuern.
Agrarrohstoffe: Aufsteigendes Dreieck deutet auf Trendfortsetzung
Charttechnisch bricht der S&P GSCI Soft Commodities aktuell über die 400-Dollar-Marke und damit auch aus dem aufsteigenden Dreieck. Ein aufsteigendes Dreieck deutet technisch auf eine Trendfortsetzung und damit auf weiter steigende Agrarrohstoffe. Die Formation gilt als abgeschlossen, wenn die Kurse eindeutig über der oberen Widerstandszone bei aktuell 400 Dollar auf Wochenschlusskursbasis schliessen.
Auf Basis der Dreiecksformation kann dann ein Mindestkursziel bestimmt werden. Dieses bestimmt sich aus der Projektion der Dreieckshöhe und würde aktuell ein nächstes Kursziel bei 450 Dollar bedeuten. Erst ein Fall unterhalb der 350 Dollar würde den gegenwärtigen Aufwärtstrend stoppen.
Unterschiede zwischen Erdgaspreisen in den USA und Europa
Für die EU und die USA sind energiebezogene Sanktionen sehr heikel. Schliesslich sind die Bürger und Unternehmen bereits mit sehr hohen Energiepreisen belastet. Vor allem in Europa sind die Preise sehr hoch. Die folgende Grafik zeigt die wichtigsten europäischen und amerikanischen Erdgaspreise in Dollar pro BTU. Es sollte klar sein, dass der Gaspreis in Europa immer noch um ein Vielfaches höher ist als Mitte 2020, und dass die Einfuhr von mehr Gas aus den USA aufgrund der begrenzten Transportkapazitäten keine wirkliche Option ist, sonst würde dies bei dieser Preisdifferenz bereits geschehen.
Auch Erdgas befindet sich charttechnisch in einem aufsteigenden Dreieck. Allerdings haben wir es bisher noch nicht mit einem Ausbruch aus der Formation zu tun. Erst ein Ausbruch aus dem Dreieck würde den Preisdruck erhöhen. Auf Basis des Dreiecks bestimmt sich ein neues Kursziel im Falle eines erfolgreichen Ausbruchs bei 5,43 Dollar.