Der Ukraine-Krieg kostet viele Menschen das Leben und verursacht unermessliches Leid. Die wirtschaftlichen Folgen des Kriegs und die politischen Reaktionen einschliesslich der Sanktionen sorgen derweil auch bei Anlegern für erhebliche Verunsicherung und Sorge darüber, was wohl als Nächstes kommen mag.
Entsprechende Turbulenzen an den Kapitalmärkten lösen vielfach den Drang aus, sofort zu reagieren, um drohende Verluste zu vermeiden oder wenigstens zu begrenzen. Gerade in einem Umfeld politischer und wirtschaftlicher Unsicherheit, wie wir es aktuell erleben, sind emotionale Reaktionen auf die Marktlage nichts Ungewöhnliches.
Allerdings sind Gefühle nur selten ein guter Ratgeber, wenn es um Investment-Entscheidungen geht. Denn häufig trüben sie den Blick für die langfristige Perspektive. Und die ist wesentlich bedeutender für den nachhaltigen Kapitalanlageerfolg als kurzfristige Marktentwicklungen.
Ramon Vogt, CFA, kam im Jahr 2018 zu Vanguard und ist als Senior Sales Executive für die Betreuung von Grosskunden und Key Accounts in der deutschsprachigen Schweiz verantwortlich. Zuvor war er 16 Jahre in verschiedenen Positionen bei der Credit Suisse in London, New York und Zürich tätig, unter anderem als Investment Specialist für Derivate und zuletzt als Head of Structured Asset Solutions.
Er hat einen BA in Business Administration, Banking and Finance von der Hochschule Luzern und hat an einem internationalen Austauschprogramm in Antwerpen teilgenommen. Ausserdem ist er CFA Charterholder, Mitglied der Schweizer CFA Society und Inhaber des Certificate in ESG Investing des CFA Institute.
Das gilt insbesondere auch mit Blick auf geopolitisch verursachte Verkaufswellen. Sie sind häufig nur von kurzer Dauer, wie eine historische Betrachtung zeigt. Vanguard hat mehr als zwei Dutzend geopolitische Ereignisse der letzten sechzig Jahre untersucht, die zum Teil die Märkte in grossen Aufruhr versetzt haben. Das kann eine gewisse Perspektive bieten, wie die Finanzmärkte in den kommenden Wochen und Monaten reagieren könnten.
Schnelle Erholung vom Schock
Ob Suezkrise, Bau der Berliner Mauer, Kuba- und Ölkrise, Sechs-Tage-, Golf- und Irakkrieg, Amtsenthebungsverfahren gegen die US-Präsidenten Nixon, Clinton und Trump oder Brexit: Bis sich der US-Aktienmarkt von den ersten Verkaufswellen erholt hatte, dauerte es meist nicht lange. Im Schnitt betrug das Plus nach sechs Monaten 5 Prozent, nach Jahresfrist lag es bei 9 Prozent. Dabei war bei Ausbruch dieser Krisen regelmässig nicht zu erwarten, dass es zu derart schnellen Erholungen kommen würde.
Das gilt auch heute wieder, zumal die Kapitalmärkte vor weiteren Herausforderungen stehen. Die Inflation, die sich auf seit mehreren Jahrzehnten nicht mehr beobachteten Höchstständen bewegt, könnte noch weiter klettern, über die vorherigen Erwartungen hinaus, da immer noch Engpässe bei der Versorgung mit Gütern aus der Region bestehen.
Höhere Energiepreise und ein potenziell schwierigeres Geschäftsumfeld aufgrund des Konflikts könnten das Wirtschaftswachstum und die Unternehmensgewinne belasten. Infolgedessen sind kurzfristig negative Reaktionen der Aktienmärkte möglich.
Auch hier lohnt indessen die langfristige Perspektive: Korrekturen an den Märkten sind alles andere als selten. Jeder langfristig orientierte Anleger wird mehrere von ihnen erleben. Doch im Schnitt sind Aufwärtsphasen am Aktienmarkt deutlich ausgeprägter als Abwärtsbewegungen.
Durchschnittliche Dauer eines Bärenmarkts
Gemessen am Weltaktienindex MSCI World dauerten Bärenmärkte seit 1980 durchschnittlich 236 Tage und wiesen ein Minus von 28 Prozent auf. Bullenmärkte erstreckten sich dagegen auf 852 Tage. Das durchschnittliche Plus von 99 Prozent fiel dabei hoch genug aus, um die Verluste mehr als wettzumachen.
Sicherlich erscheint dennoch verlockend, nur die Aufwärtsbewegungen an den Aktienmärkten mitzunehmen. Immer wieder erweist es sich jedoch als aussichtslos, ideale Einstiegs- und Ausstiegszeitpunkte identifizieren zu wollen.
Das gilt insbesondere mit Blick auf unvorhersehbare politische Krisen. Aber auch der Corona-Crash und die enorm schnelle Erholung vor zwei Jahren haben gezeigt, dass unmittelbare Reaktionen auf kurzfristige Turbulenzen kaum zum Investment-Erfolg beitragen. Die Marktentwicklungen können Anleger nicht kontrollieren.
Daher sollten sie gerade auch in unruhigen Zeiten einen kühlen Kopf bewahren und sich auf die Dinge konzentrieren, die sie kontrollieren können. Dazu zählt, langfristige Anlageziele zu definieren und das Vermögen breit über Einzeltitel und Anlageklassen zu streuen.