Lange genossen Technologiewerte ein besonderes Umfeld: Bei äusserst niedrigen Zinsen liess sich Wachstum leicht finanzieren, Wachstum rangierte vor Profitabilität. Und Corona beschleunigte die Digitalisierung ganzer Sektoren und Lebensbereiche.
Das hat sich jetzt verändert: Die strukturellen Treiber, vor allem die Digitalisierung, sind nicht verschwunden, aber der monetäre Rückenwind hat sich durch die Zinswende in Gegenwind verwandelt. Wachstum zu finanzieren, kostet jetzt mehr. Ausserdem bestehen geopolitische Risiken. In dieser Situation geht vielen Investoren und Investorinnen Profitabilität vor Wachstum.
Der Markt passt sich aktuell an dieses neue Umfeld an. Der Nasdaq 100, der die Entwicklung der 100 grössten US-Technologieunternehmen spiegelt, hat seit Jahresanfang gut 31 Prozent verloren – der S&P 500, der Aktienindex der 500 grössten US-Unternehmen, dagegen «nur» 21 Prozent.
Höhere Zinsen machen Technologiewerten zu schaffen, weil zukünftige Gewinne mit einem höheren Abzinsungsfaktor versehen werden, was wiederum den Gegenwartswert des Unternehmens mindert. Die höhere Inflation drückt zudem auf die Konsumentenstimmung.
Wachstumserwartungen herunterschrauben
Diese Kombination aus Inflation und schlechter Konsumentenstimmung macht sich in vielen Technologiesegmenten bemerkbar. Unternehmen, die eine hohe Basis aus den Corona-Jahren gebildet haben und stark gewachsen sind, müssen nun ihre Prognosen für das laufende Jahr zurücknehmen. Hier sind vor allem Unternehmen aus dem E-Commerce-, Social-Media- und Werbesegment zu nennen, deren Wachstumsraten zurückgehen.
René Kerkhoff ist Fondsmanager und Analyst für Internet, Tech & Automotive bei DJE Kapital.
Die DJE Kapital AG gehört zur DJE-Gruppe und ist seit 1974 als unabhängige Vermögensverwaltung am Kapitalmarkt aktiv. Das Unternehmen aus Pullach bei München verwaltet mit rund 180 Mitarbeitenden aktuell über 17,2 Milliarden Euro (Stand: 31.3.2022) in den Bereichen individuelle Vermögensverwaltung, institutionelles Assetmanagement sowie Publikumsfonds.
Nachdem zum Beispiel Snapchat schon im April vorsichtige Töne angeschlagen hatte, wurde der Ausblick im Mai aufgrund des schlechten Konjunkturumfeldes und der abnehmenden Konsumdynamik noch einmal reduziert.
Snapchat ist als Social-Media-Unternehmen darauf angewiesen, dass Kundinnen und Kunden für verschiedene Arten von Anzeigeprodukten auf der Plattform Geld ausgeben. In Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit werden solche Ausgaben jedoch oft als Erste reduziert. Insofern prüfen auch viele Technologiekonzerne und Startups nun Kostensenkungsoptionen. So werden Neueinstellungen erst einmal aufgeschoben (Snapchat, Netflix, Microsoft, Facebook, Amazon, Gorillas, Klarna usw.) oder einzelne Mitarbeitende entlassen. Tesla etwa kündigte einen weltweiten Einstellungsstopp an und prüft, die Mitarbeitendenzahl um 10 Prozent zu reduzieren.
Investoren als Brandbeschleuniger bei Techwerten
Ein weiterer Faktor, der wie ein Brandbeschleuniger für den Technologiesektor wirkt, sind die Investoren, die ihre zum Teil starke Übergewichtung in dem Sektor reduzieren. In Hochzeiten der Corona-Pandemie, als viele Menschen im Homeoffice sassen, stemmten nicht professionelle Investorinnen rund 30 Prozent des Handelsvolumens der sogenannten Corona-Gewinner – darunter Unternehmen wie Peloton, Netflix oder Zoom – über Trading-Plattformen wie Robinhood. Nun sind es unter 10 Prozent des Handelsvolumens und die meisten Anlegenden werden ihre Positionen mit Verlusten verkauft haben.
Aber auch professionelle Investoren haben in den letzten Monaten den Abverkauf befeuert und die Sektorrotation angeheizt. Laut Goldman Sachs haben Hedgefonds im ersten Quartal die Sektoren Technologie, zyklische Konsumgüter und Dienstleistungen um 15 Prozent abgebaut und Energie, Rohstoffe, Industrie und Banken um 13 Prozent aufgebaut.
Hier muss man allerdings genauer differenzieren. Manche von der Pandemie befeuerten Trends sind verschwunden, andere haben noch an Momentum gewonnen und werden das Umsatzwachstum der Unternehmen treiben. Somit hinkt der Vergleich mit der «Dotcom-Blase» von vor knapp zwanzig Jahren. Einige Geschäftsmodelle von damals existierten nur auf dem Papier, waren unprofitabel oder nicht real. In den vergangenen zwanzig Jahren hat sich das geändert. Begünstigt durch die Demografie und das sich ändernde Kundenverhalten gab es eine nachhaltige Wende hin zu digitalen Technologien und Dienstleistungen, die nun überproportional profitabel sind und meistens höhere Margen erwirtschaften als klassische Unternehmen.
Fusionen und Übernahmen gewinnen an Fahrt
Durch den aktuellen Abverkauf und die somit deutlich günstigeren Bewertungen in einer Branche, in der strukturell zugrunde liegende Trends intakt sind, könnten sich nun Fusionen und Übernahmen häufen.
Auf dem Höhepunkt der Dotcom-Blase hatten die Technologiewerte im S&P 500 ein Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 62,3, das heutige KGV im Nasdaq 100 liegt dagegen bei 24,1. Auch die Ebit-Margen liegen heute im Nasdaq 100 mit 20,1 Prozent oberhalb des S&P 500 mit 16,1 Prozent, obwohl einige der Nasdaq-Unternehmen noch keine Gewinne machen. Von 2015 bis heute konnten sich die durchschnittlichen Umsätze der Nasdaq-Werte fast verdoppeln, jene aus dem S&P 500 stiegen dagegen nur um 48 Prozent. Die Nettoschulden zu Ebitda liegen im Nasdaq 100 bei 0,65x und im S&P 500 bei 1,0x.
Diese Vergleiche zeigen, dass die Tech-Werte besser aufgestellt sind als früher und durch die wirtschaftlich guten Jahre auch gewisse Cash-Polster aufgebaut haben, um in schlechteren Zeiten Liquidität für Aktienrückkäufe, Dividenden oder Zukäufe zu haben.
Auch für Private-Equity-Investoren könnte der Abverkauf interessant sein. Die Beteiligungsgesellschaft Argos Wityu, die Private-Equity-Transaktionen rund um europäische Unternehmen analysiert, konstatiert eine Angleichung der Bewertungen unterschiedlicher Branchen. Zahlten Käufer für Technologiefirmen im Schlussquartal 2021 noch vier Ebitda-Beträge mehr als für andere Industrieunternehmen, schrumpfte die Differenz im ersten Quartal auf einen Ebitda-Betrag. Denn das Interesse für renditestarke Transaktionen in der Private-Equity-Branche ist weiterhin hoch. So meldete Advent, eine angelsächsische Beteiligungsgesellschaft, jüngst den Abschluss eines neuen Fonds über 25 Milliarden Dollar. Er gilt als zweitgrösster Fonds der Welt.
Nachfrage nach Cybersicherheitslösungen wächst
Im Technologiesektor sind vor allem Unternehmen attraktiv, die sich auf Cybersecurity spezialisiert haben. Durch die wachsende Digitalisierung der Unternehmen und den aktuellen Konflikt in der Ukraine steigt weltweit auch die Anfälligkeit für Cyberattacken. Mussten Unternehmen früher in analogen Werkschutz investieren, um ihr Warenlager zu schützen, brauchen sie heute digitale Sicherheitssysteme.
Die Nachfrage an Cybersecurity-Lösungen wird mindestens so stark steigen wie die Digitalisierungsrate in den Unternehmen – einfach um geistiges Eigentum zu schützen. Der Branche stehen dadurch hohe Investitionen bevor, sodass die weltweiten Umsätze mit Cybersicherheit bis ins Jahr 2026 um knapp 60 Prozent auf 345 Milliarden Dollar zunehmen könnten.
Schon im Januar kündigte US-Präsident Joe Biden an, dass Unternehmen und Regierungseinrichtungen bis 2025 ihr Netzwerk auf eine Zero-Trust-Architektur umstellen müssten. Platzhirsch für vertikale Sicherheitslösungen ist Palo Alto mit einem Marktanteil von knapp 20 Prozent, gefolgt von Fortinet und Cisco.
Cloud- und Softwaresektor boomen
Spannende Investitionsmöglichkeiten gibt es auch für Cloud- und Softwareanbieter, da sich diese oft durch hohe Margen und wiederkehrende Umsätze auszeichnen. Der Trend zur Cloud ist ungebrochen und hat sich zuletzt sogar noch einmal beschleunigt. Haben Unternehmen ihre Server früher oft selbst betrieben, greifen sie nun für die Cloud fast ausschliesslich auf externe Anbieter zurück. Dies bietet den Vorteil, dass Kapazitäten nicht lokal bereitgestellt werden müssen und bei Bedarf einfach angepasst werden können. Die Kosten für das Betreiben oder die Anschaffung der Server entfallen.
Auch Software könnte weiter Potenzial haben. Eine der grossen Veränderungen der vergangenen Jahre war die Umstellung vom Kaufen aufs Abonnieren von Software – Stichwort «Software as a Service» (SaaS). Früher haben Kundinnen und Kunden eine Softwarelizenz individuell gekauft und lokal installiert. Heute nutzen Unternehmen oder Privatpersonen eine Anwendung über das Internet und zahlen für die Nutzung, nicht für das Programm selbst. Updates und Wartung der Software entfallen, und das Unternehmen, das SaaS zur Verfügung stellt, erhält eine monatliche Gebühr.
Die Vorteile sind kalkulierbare, wiederkehrende Einnahmen, ein stabiler Cashflow und dauerhafte Kundenbindungen – aber auch eine gewisse Abhängigkeit. Einige Softwareunternehmen, darunter Adobe, Salesforce, Intuit oder Autodesk können über 90 Prozent ihrer Umsätze als wiederkehrend verbuchen. Solche verlässlichen Einnahmen sind für Investoren gerade dann interessant, wenn die konjunkturelle Lage ungewiss ist.