Lange verursachten Verletzungen die meisten Gesundheitsschäden am Arbeitsplatz. Laut einer neuen Analyse ist Überarbeitung aber das grössere Problem. Die Corona-Krise könnte die Lage noch verschlimmern, warnen Experten.
Lange Arbeitszeiten kosten gemäss einer Uno-Studie jährlich Hunderttausende Menschenleben. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) gehen davon aus, dass im Jahr 2016 weltweit rund 398'000 Menschen an Schlaganfällen und etwa 347'000 an koronarer Herzerkrankung starben.
Dies weil sie 55 Wochenstunden oder mehr gearbeitet hatten. Kein Job sei dieses Risiko wert, sagte WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus. «Regierungen, Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssen sich gemeinsam auf Limits zum Schutz der arbeitenden Menschen einigen.»
Hohes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Durch Überarbeitung gingen 2016 laut der Analyse weltweit rund 23 Millionen gesunde Lebensjahre verloren - mehr als durch Verletzungen oder Fehlbelastungen, die bislang als die grössten Verursacher von Gesundheitsschäden am Arbeitsplatz gesehen wurden.
Das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen steigt demnach ab 55 Stunden Wochenarbeitszeit stark an. Einerseits verursache die körperliche und psychische Belastung diese Krankheiten, erklärte Mitautor Jian Li von der Universität von Kalifornien in Los Angeles. Zusätzlich gebe es indirekte Faktoren wie Rauchen, Alkohol, zu wenig Bewegung und Schlafmangel.
Im Auftrag von WHO und ILO wurden Umfragen zu Arbeitszeiten aus 154 Ländern ausgewertet. Die Daten wurden mit Studien über Schlaganfälle und Herzkrankheiten mit insgesamt 1,6 Millionen Teilnehmern abgeglichen.
Asien stark betroffen
Laut den Forschern arbeiten fast neun Prozent der Weltbevölkerung 55 Stunden oder mehr pro Woche. Ostasien, Südostasien und der indische Subkontinent sind demnach besonders stark durch arbeitsbedingte Herz-Kreislauf-Erkrankungen belastet, ebenso einige Länder in Afrika und Südamerika.
In diesen Regionen gebe es viele Menschen ohne geregelte Arbeitsverträge und -zeiten. Die geringste Belastung gebe es in Nordamerika und Europa, wo der Arbeitnehmerschutz stärker sei. «Diese Massnahmen scheinen also wirklich zu funktionieren», sagte WHO-Experte und Hauptautor Frank Pega.
Im Homeoffice mischen sich Arbeit und Freizeit
Laut der Studie nahmen tödliche Herzerkrankungen und Schlaganfälle mit Arbeitsbezug zwischen 2000 und 2016 stark zu. Die Corona-Krise könnte diese Entwicklung noch verstärken, warnte WHO-Chef Tedros: Im Homeoffice verschwömmen Arbeit und Freizeit. Stellenkürzungen erhöhten die Belastung für verbliebene Mitarbeiter. WHO und ILO fordern deshalb, bestehende Arbeitszeitregeln umzusetzen und fehlende Gesetze einzuführen.
(sda/gku)