Welcher Autofahrer kennt es nicht: Die Zapfpistole steckt in der Öffnung, die Pumpe beginnt zu surren und Benzingeruch steigt in die Nase. Drei Minuten später ist der Van wieder für die nächsten 700 Kilometer fahrbereit. Doch an der Kasse folgt sogleich die Ernüchterung: «120,00» zeigen die grünen Lettern an. «Das war auch schon einmal günstiger!», denkt man sich.
Tatsächlich haben die Benzinpreise seit Jahresbeginn deutlich zugenommen. Etwa einen Aufschlag von 20 Prozent gab es seit Anfang Jahr auf Benzin und Diesel, wie Patrick Staubli von der Avia Vereinigung auf Anfrage der Nachrichtenagentur AWP erklärt. Laut Ramon Werner von der Oel-Pool AG, die unter anderem die Ruedi-Rüssel- und Miniprix- sowie seit kurzen auch die BP-Tankstellen in der Schweiz betreibt, gingen die Preise in absoluten Zahlen beim Benzin um 38 Rappen und beim Diesel um 35 Rappen hoch.
Die Gründe dafür sind vielseitig, wie Werner erläutert. Der Benzinpreis setzt sich aus Steuern, dem Rohölpreis und den Wechselkursen zusammen. Die Steuern machen laut Werner etwa die Hälfte des Preises aus. Bei einem Preis von 1,80 Franken pro Liter zahlt man demnach 95 Rappen Steuern für Benzin und 98 Rappen für Diesel. Diese Preise bleiben konstant. Wenn sich aber der für den Rohölhandel wichtige US-Dollar oder der Rohölpreis verändern, schlägt sich das auch auf den Benzinpreis nieder.
Ölpreis auf Dreijahreshoch
Und genau das geschieht aktuell. Der Ölpreis erreichte in der vergangenen Woche den höchsten Stand seit drei Jahren. Zwischenzeitlich kostete ein Fass der Nordseesorte Brent 85,66 US-Dollar. Gleichzeitig ist der Dollar im Vergleich zum Schweizer Franken gestiegen. Die höheren Ölpreise können also nicht durch positive Währungseffekte abgefedert werden.
Verantwortlich für die Teuerung des Rohöls ist gemäss Werner in erster Linie das massive wirtschaftliche Hochfahren der Industrie nach der Krise. «Firmen brauchen nach wie vor Öl, Gas und Kohle, um ihre Güter herzustellen. Dadurch steigt die Nachfrage und - solange das Angebot nicht mithalten kann - auch der Preis», sagt er.
Zudem reisen die Leute seit der Lockerung der Corona-Massnahmen wieder vermehrt herum und verbrauchen Treibstoff, wie Roland Bilang, Geschäftsführer des Verbandes der Importeure flüssiger Brenn- und Treibstoffe, Avenergy, erklärt.
Doch es gibt noch einen zweiten gewichtigen Faktor, der die Preise hochjagt: Der Rhein als wichtige Handelsroute für Öl führt zu wenig Wasser. Weil die Wasserstände so tief sind, können die Frachtschiffe weniger stark beladen werden und es entstehen Engpässe. Aktuell liegen die Frachtkosten laut Werner bei 54 Franken pro Kubikmeter. Im Juni waren es noch fast fünfmal weniger, nämlich knapp 12 Franken. Auf den Liter Benzin heruntergerechnet erhöht sich der Preis dadurch um rund 2 Rappen.
Zu guter Letzt wirkt noch der lokale Wettbewerb auf den Benzinpreis ein. Bilang erklärt es folgendermassen: «Jede Tankstelle hat ihre eigene Kostenstruktur - zum Beispiel Personalaufwand, Mieten, Amortisation - und ihre eigene Beschaffungsstrategie.» Das erklärt, warum das Tanken in der Stadt meist teurer ist als auf dem Land.
Betreiber stellen keinen Tank-Tourismus fest
Auch in Deutschland und Frankreich leiden die Autofahrer unter deutlich höheren Benzinkosten. Der Rohölpreis wirkt sich laut Werner überall etwa im gleichen Masse aus. In Deutschland fallen aber noch zusätzliche Steuern an. Zudem werden dort die höheren Preise schneller an die Konsumenten weitergegeben.
«Dort zahlt man teils in den Hauptverkehrszeiten mehr als in den Randzeiten», erklärt Werner. In der Schweiz ist das anders: Hierzulande werden die steigenden Preise über die Margen kompensiert. Trotzdem bemerken die Tankstellenbetreiber kaum Tank-Tourismus. «Laut unseren Abklärungen wird aktuell keine Entwicklung festgestellt, dass mehr Personen aus dem grenznahen Ausland in der Schweiz tanken», sagt Staubli von der Avia Vereinigung.
Tank-Tourismus gebe es nur, wenn die Preisdifferenz längerfristig bestehen bleibe, bekräftigt auch Werner von der Oel-Pool AG. «Was einen viel grösseren Einfluss hat, ist der Euro-Kurs.»
Wie lange der Ölpreis noch steigt, wollen die Experten nicht abschliessend beurteilen. Das wäre ein Blick in die Glaskugel, erklärt Werner. Sie tendieren aber dazu, von einer weiteren Erhöhung des Preises über die nächsten Wochen bis Monate auszugehen, weil die Nachfrage durch die rasche Wirtschaftserholung weiter steigen dürfte. «Langfristig wird der Ölpreis aber wohl eher fallen», sagt Werner. Denn die Menschheit werde immer effizienter und finde allmählich mehr Alternativen zum Treibstoff Öl.
Rückblickend auf die letzten fünf Jahre relativiert sich die Preisentwicklung übrigens, wie Martina Elisabeth Wagner von Agrola sagt. Denn nach dem pandemiebedingten Preiseinbruch im Frühling 2020 hatten sich die Preise in den letzten Monaten stabilisiert. «Die Höchststände von 2008 und 2012 sind nicht erreicht», so Wagner.
(awp/kop)