Nach dem EU-Austritt Grossbritanniens müssen London und Brüssel ihr Verhältnis neu regeln. Die Zeit drängt. Ende des Jahres verlieren die bisherigen Abmachungen ihre Gültigkeit. Es geht um ein breites Feld an Themen: Eines der schwierigsten dürfte die Fischerei sein.

Netze kappen, Abdrängen und Rammen - wenn sich Fischer auf hoher See gegenseitig in die Quere kommen, kann das zu gefährlichen Auseinandersetzungen führen. Erst im vergangenen Sommer lieferten sich französische und britische Fischer Scharmützel im Ärmelkanal. Als Geschosse dienten unter anderem Steine, Farbdosen und Leuchtraketen. Es ging dabei um Jakobsmuscheln, deren Schonzeit die Briten in den Augen ihrer französischen Kollegen nicht einhielten.

Johnson: «Kontrolle über unsere Gewässer zurückholen»

Nicht nur wegen hitziger Gemüter steht die Frage nach den Fischereirechten ganz oben auf der Agenda bei den Verhandlungen über die neuen Beziehungen zwischen Brüssel und London nach dem Brexit. Am 31. Januar verlässt Grossbritannien die Staatengemeinschaft. Bis Ende des Jahres gilt noch eine Übergangsfrist, doch dann müssen neue Vereinbarungen stehen. Die EU will das Thema Fischerei möglichst schon bis zum 1. Juli geklärt haben. Doch ob das gelingt, ist fraglich. Die Positionen scheinen noch sehr weit auseinander zu liegen.

Ziel der EU ist, dass sich möglichst wenig ändert und man die Fischgründe nach festgelegten Regeln gemeinsam nutzt. In Grossbritannien will man davon aber zumindest offiziell nichts wissen. Er werde «die Kontrolle über unsere Fischereigewässer zurückholen», sagt der britische Premierminister Boris Johnson gerne.

Tatsächlich kann Grossbritannien nach internationalem Recht einen Bereich von bis zu 200 Seemeilen um seine Küsten als ausschliessliche Wirtschaftszone beanspruchen - und davon sind ausgerechnet die fischreichsten Gebiete der Nordsee betroffen. Doch «zurückholen» ist nicht ganz richtig, denn die Ausdehnung der ausschliesslichen Wirtschaftszone von einst nur zwölf auf 200 Seemeilen wurde erst eingeführt, als Grossbritannien bereits Mitglied der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft war.

Deutschland, Frankreich, Irland, Dänemark, die Niederlande, Belgien und Spanien betroffen

In der Gemeinsamen Fischereipolitik der EU wird festgelegt, wie viel Fisch von jeder Sorte gefangen werden darf. Entschieden wird das jedes Jahr neu auf Grundlage der Entwicklung der Fischbestände. Welcher Anteil auf die einzelnen Staaten entfällt, orientiert sich an traditionellen Fangmengen. Dadurch und durch weitere Massnahmen, wie die Maschengrösse der Fischnetze, soll verhindert werden, dass die teilweise bereits stark dezimierten Bestände noch weiter schrumpfen.

Doch daran wollen sich die Briten nun nicht mehr halten. Sollte keine Vereinbarung zustande kommen, könnte das unter anderem auch für die deutschen Fischer drastische Folgen haben. «Wenn das Fischereiabkommen nicht bis Ende 2020 ratifiziert ist, dürfen wir nicht mehr in britische Gewässer fahren», sagt der Vorsitzende des Deutschen Hochseefischerei-Verbandes, Uwe Richter, der Deutschen Presse-Agentur.

Unter anderem der gesamte Nordseehering, der in Sassnitz auf Rügen bei der Euro-Baltic Fischverarbeitungs GmbH verarbeitet wird, stammt Richter zufolge aus britischen Gewässern. «Das sind circa 40'000 Tonnen», sagte er. Auch Frankreich, Irland, Dänemark, die Niederlande, Belgien und Spanien wären stark betroffen. Insgesamt wird rund 60 Prozent des Fischs in britischen Gewässern von Booten anderer EU-Staaten gefangen.

Einigung wäre im Sinne beider Seiten

Ohne Einigung, so schätzte die britische Regierung im vergangenen Jahr, könnten bis zu 282 europäische Boote versuchen, illegal in britischen Wassern zu fischen. Das könne zu Auseinandersetzungen führen, warnte sie. In den Medien war bereits von möglichen neuen Kabeljaukriegen die Rede. Bis in die 70er-Jahre war es vor der Küste Islands zwischen britischen Fischern und einheimischen Booten immer wieder zu Konflikten gekommen. Muss damit nun auch in der Nordsee gerechnet werden?

Die britischen Fischer haben eigentlich gute Gründe, einen Kompromiss zu finden. Sie sind auf den europäischen Absatzmarkt angewiesen. Mehr als 70 Prozent des Fangs britischer Boote wird in die EU exportiert. «Die Deutsche Hochseefischerei fordert, dass das künftige Fischereiabkommen mit dem Handelsabkommen verknüpft wird und der Zugang Grossbritanniens zum europäischen Markt davon abhängig gemacht wird, dass europäische Schiffe weiterhin in britischen Gewässern fischen dürfen», sagt Richter.

Doch die Vorsitzende der Scottish Fishermen Federation, Elspeth MacDonald, hält davon nichts. Sie fordert, dass die Verhandlungen über den Zugang zu Gewässern vom Handel strikt getrennt werden. Von einer Neuregelung erhofft sich, dass die schottischen Fischer langfristig ihre Fangmenge verdoppeln können.

Wert des Fangs ist stetig gestiegen

Hört man sich im schottischen Peterhead um, einem der wichtigsten Häfen für Fischerboote in Europa, bekommt man unterschiedliche Ansichten zu hören: «Die Gemeinsame Fischereipolitik war ein Desaster für die schottischen Fischer», sagt Skipper David Careno. Der 53-Jährige arbeitet seit seinem 16. Lebensjahr im familieneigenen Fischereibetrieb. Immer weiter seien die Quoten gekappt worden, klagt er. Er kann es kaum erwarten, bis Grossbritannien raus ist aus der EU.

Das sieht Andrew Charles anders. «Die Fischfangindustrie ist noch niemals so erfolgreich und profitabel gewesen wie jetzt», sagt der Chef eines Fischverarbeitungsunternehmens aus Aberdeen.

Auf eine Weise haben beide Recht, denn die Fangmengen britischer Boote sind seit den 70er-Jahren tatsächlich stark zurückgegangen. Doch der Wert des Fangs ist stetig gestiegen.

Als Grund für den wirtschaftlichen Erfolg der Fischer sieht Charles vor allem die gemeinsame Fischereipolitik, die auf Nachhaltigkeit setzt. «Es hat Jahrzehnte gebraucht, um diesen Erfolg zu entwickeln.» Doch genau das sei nun in Gefahr. Ein Ausstieg Grossbritanniens könne dazu führen, dass die EU-Fischerboote in kurzer Zeit so viel nehmen, wie sie können und die Bestände damit nachhaltig schädigen.

Verknüpfung mit Finanzdienstleistungen?

Möglich ist aber auch, dass sich die britische Regierung doch auf die wirtschaftliche Vernunft besinnt. Wie das aussehen könnte, deutete EU-Handelskommissar Phil Hogan kürzlich an. Die enorm wichtige britische Finanzdienstleistungsbranche könnte Zugang zum EU-Binnenmarkt bekommen. Im Gegenzug dürften die EU-Fischer weiter ihre Netze in britischen Gewässern auswerfen. Die Fischerei macht nur etwa 0,12 Prozent des britischen Bruttoinlandprodukt aus - die Finanzdienstleistungen sind für sieben Prozent verantwortlich. Für die Fischer in Peterhead wäre das Verrat, doch es wäre nicht das erste Mal, dass Johnson seine Wahlversprechen nicht einhält.

(awp/gku)

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