Seinen Abschied aus dem Geschäftsleben hatte sich der langjährige operative Chef und jetzige Verwaltungsratspräsident Martin Huber anders vorgestellt. «In zwei Monaten werde ich auch als VRP zurücktreten und die Führung meinen drei Söhnen überlassen», sagt er. Vorgesehen war, dass er sich weiter um das Geschäft in der Ukraine kümmert. Nur vier Autostunden von Kiew entfernt befindet sich im 4500 Einwohner zählenden Dorf Iwaniw die Partnergesellschaft Divario Ukraine.
Der Angriff von Putin hat alle Pläne über den Haufen geworfen. Nur zwei Kilometer vom Dorf entfernt griffen die russischen Flieger ein Munitionsdepot an. Es gab Tote, Verletzte und eine riesengrosse Angst. «Jetzt bin ich von einem Tag auf den andern zum Krisenmanager geworden», sagt Huber. Doch es sei selbstverständlich, dass er und die Firma in einer solchen Ausnahmesituation alles unternähmen, um die ukrainischen Mitarbeitenden, deren Angehörige und Freunde mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu unterstützen.
Mitarbeitende an der polnischen Grenze abgeholt
Das sind keine Lippenbekenntnisse. Gleich zu Beginn holte die Firma 14 Angehörige von Mitarbeitenden an der polnischen Grenze ab. Dorthin gelangten diese mit Privatautos, «die letzten 20 Kilometer mussten sie zu Fuss zurücklegen», so Huber.
Es blieb nicht bei dieser Gruppe. Inzwischen sind 46 Flüchtlinge in Herisau. Für diese organisierte Martin Huber sieben Wohnungen als vorläufige Bleibe. Zum Teil eigene, andere von Privaten. Die Schilderungen der Menschen gehen ihm nahe. Es seien ausschliesslich Frauen und Kinder hier. «Die Angst um ihre Männer und Väter im Krieg ist riesig. Bei einigen ging der Blick in den ersten Tagen wie in einem Tunnel nur geradeaus – was um sie herum passierte, nahmen sie kaum wahr.»
Deutschkurse für die Flüchtlinge
Huber versucht, in dieser misslichen Situation das Beste für diese Menschen zu erreichen. Seine Firma beschäftigt seit jeher für regelmässig in die Schweiz kommende Praktikanten eine Deutschlehrerin. «Diese gibt nun auch all diesen geflüchteten Menschen Unterricht.» Eine andere Mitarbeiterin erteilt in ihrer Freizeit Kurse in Turnen und Gymnastik – sie treibt nun auch mit den aus der Ukraine geflüchteten Menschen Sport.
Auch die Lebensläufe dieser Menschen hat Martin Huber unter die Lupe genommen, um für sie schnellstmöglich eine Beschäftigung zu finden. Oft ist die Sprache ein Hindernis. Dann versucht er, den Betroffenen passende Arbeiten zu vermitteln. «Aber immer zu unseren GAV-Ansätzen bezahlt», betont er.
Hilfe zur Selbsthilfe
Die Anfangskosten hat der Verein Ukraine Hilfe übernommen. Diesen hat Martin Huber gegründet, weil niemand weiss, wie lange der Krieg in der Ukraine dauert. Mit den Spendengeldern werden die Kosten für Nahrungsmittel, Krankenkasse, Kleider, Spielwaren, Sprachkurse, Internet und Kommunikation sowie Artikel des täglichen Bedarfs gedeckt. In einer späteren Phase soll noch vorhandenes Geld für Waisenhäuser und Menschen in Not eingesetzt werden.
Über das Einwohneramt haben sich bei Huber sechs in der Region lebende Ukrainerinnen gemeldet. Diese unterstützen ihre Landsleute ebenfalls im Alltag. Und an den vergangenen Samstagen wurde im Garten einer privaten Liegenschaft grilliert – unbürokratisch versuchen die Helfer, die notleidenden Menschen aus der Ukraine zu unterstützen. Doch diese sind auch selber gefordert. «Wir haben ihnen hier eine kleine Infrastruktur aufgebaut. Jetzt müssen sie sich selber organisieren», betont Huber. Das sei für den Selbstwert dieser Menschen gut.
Respekt vor der Natur und den Menschen
Regelmässig fahren die auch jetzt wieder aus dem Werk der Ukraine kommenden Lastwagen mit Hilfsgütern von Herisau zurück ins kriegsversehrte Land. «Unser Vorteil ist, dass wir direkt ins Land und nicht nur an die polnische Grenze fahren können.» Dabei führt der ukrainische Chauffeur auch Paletten mit Hilfsgütern des Amtes für Zivilschutz mit.
Für Martin Huber ist diese Hilfe selbstverständlich. Doch sie zeigt: Ein Unternehmen darf sich erst Nachhaltigkeit auf die Fahne schreiben, wenn es beim Umgang mit Ressourcen die Umwelt schont und gleichzeitig soziale, menschliche Werte pflegt. Respekt vor der Natur und Respekt vor der Menschenwürde. Das geht für den Fensterbauer aus dem Appenzell Hand in Hand.
Solarpanels in Herisau und der Ukraine
Ein paar Beispiele: Den Fuhrpark erneuert die Firma jedes Jahr mit drei, vier Elektrofahrzeugen. Und sowohl im Partnerbetrieb in der Ukraine wie auch in Herisau sorgen Solarpanels für Energie.
Beide Anlagen liefern rund 450 Kilowattstunden, sie sind 3000 Quadratmeter gross. Schon vor dem jetzigen Krieg wollte man unabhängiger von fossiler Energie sein. In Herisau liefert die Anlage Energie für die eigene Fabrik sowie für den städtischen Werkhof und die lokale Feuerwehr. In der Ukraine versorgt die Fensterfabrik die Gemeinde und die Schulen mit Energie. Das Restholz wird zu Briketts und Spänen verarbeitet.
Auktionen gegen die Korruption
Huber Fenster ist Spezialist für Lösungen mit Eichenholz. «Der Anteil an Eichenholz beträgt bei uns 50 Prozent, andere Fensterbauer kommen auf ein paar Prozente.» Fenster mit Eichenholzrahmen sind sehr edel, sie kommen in exklusiven Anwesen von Privaten sowie in luxuriösen Hotels und historischen Bauten zum Einsatz. Beispielsweise im Hauptbahnhof in Zürich oder im Parkhotel in Vitznau.
«Unser gesamtes Holz ist FSC-zertifiziert oder stammt aus nachverfolgbaren Quellen.» Um die Korruption einzudämmen, wird das gesamte staatliche Holz seit kurzem über eine Auktion verkauft. «Das sorgt für Transparenz», betont Huber.
Jedes Jahr werden 450’000 Eichen gepflanzt
In der Mitte der Ukraine beträgt der Anteil von Eichenbäumen am Wald 71 Prozent – im Gegensatz zur Schweiz mit knapp 1,5 Prozent. «Der Wald in der Ukraine ist zum allergrössten Teil im Staatsbesitz. Um das Wachstum ebenfalls zu fördern, pflanzt Huber Fenster jedes Jahr 25’000 junge Eichen im lokalen Forst Winnyzia – der Forst selbst jährlich 450’000.»
Die Stämme dieser Eichen sind weitgehend astfrei und schnurgerade. «Ideal für die Herstellung von edlen, durchgehenden Fensterkanteln, wie wir sie in der Schweiz benötigen», freut sich der Seniorchef.
Eichen für die Schweiz
In der Schweiz haben die Kartoffeln die Eicheln als Nahrung für Schweine schon im 18. Jahrhundert abgelöst. Im 19. Jahrhundert wurden dann ganze Eichenwälder zu Eisenbahnschwellen verarbeitet. Das hat bei uns praktisch zum Verschwinden der Eiche geführt. Das soll sich ändern: Vor ein paar Jahren wurde in der Schweiz extra ein Verein gegründet, der die Eiche im Schweizer Wald fördern soll. Immerhin handelt es sich bei der Eiche um die artenreichste Baumart.
Sie bietet rund 1000 verschiedenen Käfern, Schmetterlingen und Co. einen Lebensraum. Der Specht baut Höhlen, die Fledermaus wiederum nutzt die alten Spechthöhlen. «Anders als in der Schweiz gelingt es den Ukrainern, die Eicheln zu behandeln und bei tiefen Temperaturen zu konservieren», weiss Huber. So könnten sie auch in schlechten Mastjahren neue Bäume anpflanzen. Schmunzelnd meint er: «Bei uns sind die Wälder zum Joggen und Spazieren da, nicht zur Nutzung.»