Die EU-Kommission sieht derzeit keine Basis für weitere Brexit-Verhandlungen und befürchtet deswegen einen ungeregelten britischen EU-Austritt zum 31. Oktober. Vertreter der verbleibenden 27 EU-Staaten wurden zuletzt noch einmal darüber informiert, dass die Forderungen des neuen britischen Premiers Boris Johnson unvereinbar mit der EU-Position seien.
Das berichteten Diplomaten am Dienstag. Johnson will demnach unbedingt das von seiner Vorgängerin Theresa May ausgehandelte Austrittsabkommen wieder aufschnüren, um die sogenannte Backstop-Klausel zu eliminieren. Die EU lehnt das kategorisch ab.
Backstop als «Instrument der Einkerkerung»
Die Backstop-Klausel soll aus EU-Sicht verhindern, dass zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland wieder Grenzkontrollen eingeführt werden müssen. Johnson sieht in der Garantieklausel hingegen ein «Instrument der Einkerkerung», weil sie das britische Nordirland in Zollunion und Binnenmarkt halten könnte, wenn bei den noch ausstehenden Verhandlungen über die zukünftigen Beziehungen zwischen der EU und Grossbritannien keine Einigkeit erzielt wird.
Basis der Unterrichtung der EU-Vertreter war ein Treffen von Johnsons EU-Gesandten David Frost mit Brexit-Experten der EU-Kommission in der vergangenen Woche. Es war das erste dieser Art nach Johnsons Amtsantritt.
Wenig Zeit bis zum Stichtag
Der neue Premierminister hatte zuletzt wiederholt betont, er sei überzeugt, dass ein geregelter EU-Austritt zum derzeitigen Brexit-Stichtag am 31. Oktober machbar sei. Notfalls will er sein Land aber auch ohne ein Brexit-Abkommen aus der EU führen.
Wie es in den nächsten Wochen weitergeht, ist nach Angaben von Diplomaten unklar. Niemand wisse, ob Johnson nur pokere, um die EU zum Einknicken zu bringen - oder ob er Grossbritannien wirklich ohne Austrittsabkommen aus der EU führen würde.
Letzteres Szenario dürfte vor allem für die Wirtschaft erhebliche Konsequenzen haben, weil nach derzeitigem Stand der Dinge wieder Zölle und Grenzkontrollen eingeführt werden müssten.
(sda/gku)