Angesichts der schweren Vertrauenskrise zwischen der EU und Grossbritannien stellen sich beide Seiten verstärkt auf einen möglichen harten Brexit ein. Ein Sprecher des britischen Premiers Boris Johnson riet den Firmen am Freitag, sie sollten sich auf die Zeit nach dem Austritt vorbereiten - unabhängig davon, ob ein Vertrag über die künftigen Beziehungen gelinge oder nicht.
Zuvor hatte bereits EU-Chefunterhändler Michel Barnier betont, angesichts mangelnder Fortschritte bei den laufenden Verhandlungen treibe die EU Planspiele für einen harten Brexit zum Jahresende voran. Johnson hatte die EU mit einem geplanten Gesetz zum britischen Binnenhandel vor den Kopf gestossen, mit dem er sich in Teilen über den bereits ratifizierten Brexit-Vertrag hinwegsetzen will.
Die EU behält sich rechtliche Schritte vor, sollte das umstrittene Gesetz das Parlament in dieser Form passieren. Das ist aber längst nicht in trockenen Tüchern. Am Montag wird das Unterhaus darüber debattieren, in dem Johnsons Konservative eine klare Mehrheit haben.
Später muss allerdings auch das nicht von den Tories dominierte Oberhaus grünes Licht geben. Da schon einige Lords Kritik an der Vorlage geäussert haben, könnte es dazu kommen, dass vom Oberhaus Nachbesserungen gefordert werden und die Vorlage später wieder im Unterhaus landet. Dort hatte Nordirland-Minister Brandon Lewis jüngst offen eingeräumt, dass das geplante Binnenmarktgesetz in begrenztem Umfang gegen internationales Recht verstosse.
Nordirland im Fokus
Die EU pocht jedoch darauf, dass sich London buchstabengetreu an den Scheidungsvertrag und die Zusage halten muss, keine sogenannte harte Grenze zwischen der britischen Provinz Nordirland und dem EU-Land Irland zuzulassen.
Laut dem Nordirland-Friedensabkommen von 1998 darf es keine harte Grenze zwischen der britischen Provinz und der Republik Irland geben. Daher ist im Brexit-Vertrag vorgesehen, dass in Nordirland auch künftig der EU-Zollkodex gelten sollen. Doch das geplante britische Binnenmarktgesetz hätte zur Folge, dass diese Regelung zu grossen Teilen ausgehebelt würde.
Durch den neuen Streit sind die ohnehin äusserst zähen Gespräche über die künftigen Beziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich in eine Sackgasse geraten, nachdem man zuvor bereits bei den Themen Staatsbeihilfen und Fischereirechte kaum mehr vorangekommen war.
Das Königreich ist Ende Januar aus der EU ausgetreten. Bis Jahresende gilt aber noch eine Übergangsphase, in der die künftigen Beziehungen etwa im Bereich Handel geklärt werden sollen. Gelingt keine Einigung, droht ein ungeregelter EU-Austritt Grossbritanniens. Experten warnen in einem solchen Fall vor schweren wirtschaftlichen Folgen für beide Seiten.
Vertrag mit Japan
London treibt unterdessen seine Planungen für die Zeit nach dem endgültigen Abschied von der EU voran: Grossbritannien einigte sich mit Japan auf ein Handelsabkommen. Dieses solle ab dem 1. Januar 2021 gelten, kündigte das Handelsministerium in London an.
Das Abkommen stelle sicher, dass 99 Prozent der britischen Exporte in die drittgrösste Volkswirtschaft der Welt zollfrei seien. Der Handel mit Japan könne mit der Vereinbarung auf lange Sicht um etwa 15,2 Milliarden Pfund wachsen, hiess es. Im Jahr 2018 summierte er sich auf rund 29,5 Milliarden Pfund. Zum Vergleich: Die Exporte und Importe zwischen Grossbritannien und der EU belaufen sich auf fast 700 Milliarden Pfund.
Die Einigung mit Japan wird weithin als vergleichsweise einfache Übung für die britische Regierung angesehen, da sie sich weitgehend auf das Abkommen zwischen der EU und Japan stützt. Andere Handelsgespräche, insbesondere mit den USA, kommen deutlich langsamer voran.
(awp/mlo)