Zahlreiche Pharma- und Biotechunternehmen haben in Rekordzeit Corona-Impfstoffe entwickelt, getestet, klinische Studien durchgeführt und auf den Markt gebracht.

Unter den zahlreichen Corona-Impfstoffprojekten haben die genbasierten mRNA-Impfstoffe die Nase vorn, denn sie bieten eine hohe Schutzwirkung und können schneller als klassische Vakzine produziert werden.

 

Maximilian-Benedikt Köhn ist Analyst für den Sektor Healthcare bei der DJE Kapital AG.

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Die mRNA-Technologie wird zu Recht als Innovation eingestuft, ist aber keinesfalls ein völlig neuer Ansatz in der Medikamentenentwicklung. Bereits seit Ende der 1990er-Jahre stehen mRNA-Moleküle im Fokus der biotechnologischen Forschung, zunächst vor allem auf dem Gebiet der Krebsforschung.

Mit der weltweiten Covid-19-Pandemie gelang dieser Technologie der endgültige Durchbruch. Unternehmen wie Curevac, Biontech und Moderna weisen inzwischen eine gemeinsame Marktkapitalisierung von über 135 Milliarden Dollar aus.

Die Impfstoffe von AstraZeneca und Johnson & Johnson (J&J) sind sogenannte Vektor-Impfstoffe, sie benötigen ein abgetötetes Virus, um Informationen über das Corona-Virus in den Körper zu schleusen.

Eine Einmaldosis des Vektor-Impfstoffs von Johnson & Johnson bietet bereits einen rund 65-prozentigen Schutz und AstraZeneca nach der zweiten Impfung sogar einen bis zu 80-prozentigen Schutz vor einer Sars-CoV-2-Infektion.

Die mRNA-Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna liegen mit einer etwa 95-prozentigen Wirksamkeit derzeit weit an der Spitze. Die hohe Wirksamkeit der Impfstoffe ist besonders wichtig für das schnelle Erreichen einer Herdenimmunität und so ist es nicht verwunderlich, dass in den USA hauptsächlich mRNA-Impfstoffe verabreicht werden. AstraZeneca hat dort noch keine Zulassung.

Der Vektor-Impfstoff von J&J hat den Vorteil, dass dieser nur einmal gespritzt werden muss. Aber auch die anderen Vakzine weisen bereits nach der ersten Dosis einen gewissen Schutz auf.

AstraZeneca kommt im Zeitraum vom 22. bis 72. Tag nach der ersten Impfdosis auf eine Wirksamkeit von über 70 Prozent. Bei den mRNA-Vakzinen beträgt die Wirksamkeit 7 Tage nach der ersten Impfdosis 50 Prozent, nach 14 Tagen bereits 90 Prozent.

Demnach sind mRNA-Vakzine nicht nur deutlich effektiver als Vektorenimpfstoffe, sondern weisen auch bereits nach einer kürzeren Zeit eine deutlich höhere Wirksamkeit auf.

Biontech und die Aussicht auf den Corona-Impfstoff 2.0

Der Nachteil der mRNA-Vakzine gegenüber anderen Impfstoffen, die im Kühlschrank haltbar sind, ist ihre Temperaturempfindlichkeit. Sie müssen bislang tiefgefroren bei mindestens –70°C (bzw. gefroren bei -15 bis -25°C) gelagert und transportiert werden.

Während es in Industrieländern möglich ist, diese technische und logistische Infrastruktur aufzubauen, dürfte dies ärmere Länder vor grosse Probleme stellen. Biontech arbeitet bereits an der Lösung des Problems und könnte es vielleicht schon bis Ende des Jahres schaffen, den Covid-19-Impfstoff in Pulverform herzustellen.

Schachmatt den Mutanten

Nicht nur die Impfstoffe, auch das Covid-19 Virus entwickelt sich weiter und versucht durch Mutationen zu überleben. So ist in Deutschland zum Beispiel die britische SARS-CoV-2-Mutation B.1.1.7 mit über 90 Prozent die inzwischen häufigste Mutation.

Aktuell ist ein Impfschutz gegen diese ansteckendere und wohl auch mit ernsteren Krankheitsverläufen einhergehende Mutation zwar gegeben, allerdings könnten neue, aggressivere Varianten die Impfstoffwirksamkeit deutlich einschränken.

Daher müssen die Impfstoffe einer sich verändernden Viruslage rasch angepasst werden können. Eine schnelle Anpassung an Virusmutationen ist bei den klassischen, relativ statischen Vektor-Vakzinen kaum möglich.

Hier punkten wieder die mRNA-Vakzine: Sie können innerhalb von rund sechs Wochen an unterschiedliche Mutationen angepasst und ohne weitere umfassende Phase-III-Studien verabreicht werden.

Bereits früher Geimpfte könnten mit einer dritten sogenannten Booster- oder Auffrischungs-Impfung mit dem neuen mRNA-Vakzin sowohl eine höhere Schutzwirkung als auch Schutz gegen Mutationen erhalten. Und: Aller Voraussicht nach könnten auch zuvor mit einem Vektor-Impfstoff immunisierte Menschen von dieser mRNA-Booster-Impfung profitieren.

Massiver Ausbau von Produktionskapazitäten erwartet

Um die Covid-19-Pandemie zu stoppen, ist eine Herdenimmunität zwingend erforderlich. Ob hierfür die bislang avisierten 75 Prozent ausreichend sind, ist aus epidemiologischer Sicht fraglich.

Denn: Je aggressiver mögliche Mutanten, desto höher muss die Quote der Geimpften sein, um deren Ausbreitung zu verhindern.

Konsequenterweise sind die Kapazitäten der Impfstoff-Produzenten entscheidend. Diese sollten auch im Verhältnis zur Marktkapitalisierung der einzelnen Unternehmen gesehen werden. 

Sowohl J&J als auch Moderna möchten 2021 jeweils über 1 Milliarde Impfstoff-Dosen ausliefern. Biontech/Pfizer hat jüngst sein Ziel für 2021 sogar auf 2,5 Milliarden Dosen erhöht. Zum Vergleich: Curevac möchte 2021 ohne weitere Ausbauten knapp 100 Millionen Dosen ausliefern, wird aber an der Börse bereits mit über 20 Milliarden Dollar bewertet.

2022 könnten sich diese Kapazitäten massiv erhöhen, so strebt Moderna über 3,5 Milliarden Dosen an – wohlgemerkt bei einer Marktkapitalisierung von knapp 72 Milliarden Dollar. Die hohe Kapazität zeigt, dass die aktuelle Knappheit nur eine Übergangsphase ist und dass die Industrie ebenfalls mit Booster-Impfungen rechnet und sich darauf vorbereitet.

Impfstoff für alle: Grünes Licht aus China für Biontech?

Aktuell sind mRNA-Impfstoffe nur für Erwachsene (Moderna ab 18 bzw. Biontech/Pfizer ab 16 Jahre) zugelassen. Kinder machen in Deutschland über 15 Prozent und in den USA sogar knapp 24 Prozent der Gesamtbevölkerung aus.

Biontech/Pfizer hat jüngst auch hier positive Studienergebnisse veröffentlicht, welche eine erstaunliche Wirkungseffektivität von 100 Prozent bei unverändert guter Verträglichkeit nachweisen.

Zulassungsanträge wurden bereits bei der europäischen Arzneimittelzulassungsbehörde EMA und der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA eingereicht.

Ein grosser strategischer Erfolg für Biontech/Pfizer wäre eine mögliche Zulassung in China, hier stehen die beiden Unternehmen aktuell in Gesprächen mit der chinesischen Zulassungsbehörde.

China verimpft bereits eigene Impfstoffe, unter anderem von den Unternehmen Sinovac, Sinopharm und Cansino – wobei deren Wirksamkeit deutlich niedriger als die des Biontech-Vakzins zu sein scheint.

Eine Zulassung ihres Impfstoffs in China könnte für Biontech/Pfizer hohes Potenzial bieten: Zum einen ist China mit 1,4 Milliarden Menschen das neben Indien bevölkerungsreichste Land der Welt, und zum anderen könnte der Preis pro Dosis in China auch höher als in Europa ausfallen. 

Diskussion um Patententzug geht an Problem vorbei

Mit ihrem jüngsten Vorstoss hat sich die US-Regierung an die Seite vieler ärmerer Länder gestellt, die die Aussetzung des Patentschutzes für Covid-19-Impfstoffe fordern. Käme es soweit, könnten theoretisch Hersteller in aller Welt die Impfstoffe ohne Lizenzgebühren produzieren. Das gilt aber nur theoretisch.

Denn mit dem Patent allein ist es nicht getan. Zum einen sind die Kapazitäten entscheidend: Biontech/Pfizer wollen 2021 über 2,5 Milliarden Dosen Impfstoff im laufenden Jahr ausliefern, Moderna plant rund 1 Milliarde Dosen.

Im Jahr 2022 soll die gemeinsame Kapazität bei etwa 5,5 Milliarden Dosen liegen. Damit dürften die Kapazitäten zur Herstellung von mRNA-Impfstoff weltweit voll ausgeschöpft sein, und zusätzliche Hersteller könnten diese auch nicht erweitern.

Zum anderen verfügt Biontech über ein fundiertes mRNA-Know-how von 20 Jahren, und trotzdem ist es auch Biontech in Kooperation mit Pfizer nicht möglich, eine Fertigungsanlage für Impfstoffe in weniger als 12 Monaten aufzubauen.

Hersteller, die über dieses Know-how nicht verfügen, dürften noch erheblich länger brauchen, selbst wenn sie das m-RNA-«Rezept» erhielten. Hinzu kommt die äusserst anspruchsvolle Logistik, die der Impfstoff benötigt, da er nur bei unter -70°C transportiert werden kann.

Auch hier sind die Kapazitäten am Anschlag. Darüber hinaus haben Biontech/Pfizer sowie Moderna Milliarden in die Entwicklung des Impfstoffes investiert.

Ohne die Innovationskraft, das damit verbundene unternehmerische Risiko und den erheblichen finanziellen Aufwand würde es heute keinen mRNA-Impfstoff geben. Das sollte entlohnt und nicht bestraft werden, auch mit Blick auf mögliche künftige Herausforderungen.

OP-Stau und Medikamente knapp: Nachholbedarf im Gesundheitssektor

Der MSCI Healthcare-Aktienindex in Euro entwickelte sich in den ersten vier Monaten dieses Jahres um über fünf Prozent schlechter als der breite weltweite Aktienmarkt. Innerhalb der Gesundheitsbranche war die Wertentwicklung – ähnlich wie schon im vergangenen Jahr – äusserst unterschiedlich.

Neben den Impfstoff-Herstellern haben vor allem auch Diagnostika-Hersteller oder IT-Dienstleister im Gesundheitswesen von der Corona-Pandemie profitiert. Der Rückenwind der Diagnostika-Hersteller durch Covid-19-Tests hielt im 1. Quartal 2021 noch an, allerdings könnte sich der Wind mit fortschreitendem Impferfolg im Laufe des Jahres drehen.

Viele Pharma-, aber auch Medizintechnikunternehmen, litten dagegen stark unter der Corona-Pandemie. Patientenbesuche blieben aus und so wurden Untersuchungen, Operationen oder Therapien verschoben, Medikamente nicht verschrieben.

Jüngste Daten aus Grossbritannien zeigen, dass sowohl die Länge der Wartelisten als auch die Wartezeiten für Operationen ein Zehn-Jahres-Hoch erreicht haben.

Der Gesundheitssektor hat einen enormen Nachholbedarf, der sich nach erfolgreichen Impfkampagnen entladen dürfte. Die ersten Quartalszahlen dieses Jahres deuten bereits auf eine starke Erholung hin – besonders in den USA und Asien

Gesundheitssektor: Bald wieder unter den Gewinnern?

Booster- oder Auffrischungs-Impfungen, die Ausweitung der Impfungen auf Kinder und Jugendliche sowie schnelle Anpassungsnotwendigkeiten an aggressivere Mutationen sollten den mRNA-Impfstoff-Herstellern eine anhaltend hohe Nachfrage bescheren.

Von umfassenden und flächendeckenden Impfkampagnen und der damit einhergehenden Herdenimmunität würden aber nicht nur die Impfstoff-Hersteller, sondern schliesslich auch die von der Pandemie gebeutelten Sparten des Gesundheitswesens profitieren.