Sind Konzerne wie Nestlé haftbar für Menschenrechtsverletzungen im Ausland? In den USA befasst sich nun der Oberste Gerichtshof auf Antrag der Firmen Nestlé USA und Cargill mit dieser Frage. Die beiden Konzerne wollen damit eine Klage wegen Kindersklaverei in der Elfenbeinküste abwehren.
Am Donnerstag gab der Supreme Court bekannt, das Urteil eines Berufungsgerichts in dem Fall zu überprüfen, wie die Nachrichtenagentur AP berichtete. Die Anhörungen vor dem Obersten Gericht sollen in der ab Oktober beginnenden Sitzungsperiode stattfinden. Dabei geht es darum, ob die Klage überhaupt zulässig ist oder nicht. Genau um diese Frage wird seit mittlerweile fünfzehn Jahren gestritten.
Ehemalige Kinderarbeiter aus Mali werfen Nestlé und dem amerikanischen Futterkonzern Cargill vor, die Sklaverei von Kindern auf Kakaoplantagen in der Elfenbeinküste als Abnehmer von Kakaobohnen begünstigt zu haben. Sie seien als Kind aus Mali verschleppt worden und als Sklaven auf Plantagen in der Elfenbeinküste gehalten worden.
«Genug ist genug»
Dafür machen sie Nestlé und Cargill verantwortlich, auch wenn diese die Plantagen nicht besessen oder betrieben hätten: Die Konzerne übten eine starke Kontrolle über den Kakaomarkt in der Elfenbeinküste aus und hätten den Plantagen, die in Kindersklaverei engagiert gewesen wären, Ressourcen zur Verfügung gestellt, argumentieren die Kläger. Dies mit dem Ziel, zu tiefen Kosten an die Kakaobohnen zu kommen.
Nestlé stellt sich auf den Standpunkt, dass die Vorwürfe zwar unbestreitbar schreckliche Menschenrechtsverstösse darstellten. Doch hätten die Kläger nie darlegen können, dass Nestlé USA oder andere Beklagte diese Taten verübt hätten. Auch hätten sie nicht zeigen können, dass Nestlé Menschenrechtsverletzungen beabsichtigt habe.
Vielmehr nahmen die Kläger aber Nestlés Anstrengungen gegen Kinderarbeit als Hinweis auf, dass der Konzern von der Kindersklaverei gewusst - und sie damit auch in Kauf genommen habe. Nestlé selbst schreibt im Bericht zum Kampf gegen Kinderarbeit 2019: Mit einem System zur Identifizierung und Abhilfe von Kinderarbeit habe man etwas über die Hälfte von Fällen von Kinderarbeit angehen können. Das sei «grossartig, aber nicht gut genug.» Von fast 80'000 Kindern, die durch das System überwacht wurden, arbeiteten 2019 über 18'000 auf den Plantagen.
Die Gerichte waren sich in dem Fall bislang uneins: Zuletzt schickte ein Berufungsgericht die Klage an die Vorinstanz zurück mit dem Auftrag an die Kläger, weitere Details zu liefern. Daraufhin wandte sich Nestlé im September 2019 in einer Petition an den Obersten Gerichtshof. Dieser soll nun grundsätzlich klären, inwiefern die gesetzliche Grundlage für die Klage überhaupt anwendbar ist.
Gesetz zu internationalem Recht
Die Kläger stützen sich auf das Gesetz «Alien Tort Statute» (ATS). Dieses erlaubt es, Verletzungen internationalen Rechts vor amerikanischen Gerichten zu verhandeln. Es stammt ursprünglich aus dem 18. Jahrhundert und diente damals vor allem zur Klärung von Piraterie-Fällen.
Menschenrechtsanwälte machen sich das Gesetz seit den 1970er-Jahren zunutze. Beispielsweise kam es bei der Strafverfolgung von Folter im Ausland zur Anwendung. Auch Klagen gegen Unternehmen im Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen wurden lanciert. Dabei wurden teilweise Vergleiche erreicht, zu einem Urteil kam es bislang aber nicht.
Zuständigkeit der Gerichte
Nestlé und Cargill werfen nun die Frage auf, ob US-Unternehmen überhaupt unter dem «Alien Tort Statute» verfolgt werden können, ob Beihilfe und Begünstigung von Sklaverei und Zwangsarbeit von dem Gesetz abgedeckt werden und ob generelle Vorwürfe an die Unternehmensaufsicht aus den USA heraus ausreichten, um Verstösse im Ausland unter dem ATS zu verfolgen.
Die Frage, inwiefern Konzerne für Menschenrechtsverletzungen, die in ihrer Lieferkette begangen wurden, haften, wird auch in der Schweiz heiss diskutiert: Am 29. November stimmt das Volk über die Konzernverantwortungsinitiative ab.
Das Begehren fordert, dass globale Konzerne mit Sitz in der Schweiz einem zwingenden Regelwerk unterstellt sind, wenn es um die Durchsetzung von Menschenrechten und Umweltschutz bei ihren weltweiten Tätigkeiten geht. Das Parlament verabschiedete einen indirekten Gegenvorschlag ohne neue Haftungsregelungen aber mit Berichterstattungspflicht. Er tritt bei einem Nein zur Initiative automatisch in Kraft.
Nestlé stellt sich gegen die Initiative. «Wir sind überzeugt, dass es der falsche Weg ist, Verstösse im Ausland vor schweizerischen Gerichten zu besprechen», sagte Nestlé-Chef Mark Schneider kürzlich in einem Interview mit den CH-Media-Zeitungen. Auch die Beweislastumkehr sei problematisch. Der Gegenvorschlag sei ausgewogener und vernünftiger.
(awp/mlo)