Der Ausverkauf am Schweizer Aktienmarkt geht am Montag weiter. Dabei kam es aufgrund der «Zoll-Panik» vor allem in der Eröffnungsphase zu einer Verkaufswelle. Viele Anleger fürchten nun eine baldige Rezession und wieder steigende Inflationsraten. Die Stimmung sei sehr nervös und habe zumindest am Anfang «leicht panische Züge» angenommen. «Die Nerven liegen blank», meint ein Händler. Die konjunkturellen Spätfolgen der US-Zollpolitik liessen sich derzeit noch kaum abschätzen. Den Notenbanken seien zudem durch die potenziellen Inflationserscheinungen die Hände gebunden.
Am vergangenen Mittwoch hatte der US-Präsident Donald Trump den Zollhammer ausgepackt und die Märkte «so richtig» unter Druck gesetzt. Die Situation hatte sich am Freitag verschärft, als China Gegenmassnahmen angekündigt hatte. Da bisher weder nennenswerte Verhandlungsfortschritte erzielt wurden, und die US-Regierung sich auch wenig kompromissbereit zeige, dürfte der Abverkauf wohl weitergehen, wird befürchtet.
Trump gibt sich zwar offen für Gespräche, fordert aber ausgeglichene Handelsbilanzen. Inzwischen hätten sich die Kurse zumindest vorläufig auf einem leicht über dem Tagestief liegenden Niveau stabilisiert, heisst es weiter. Manche Marktteilnehmer begännen allmählich die Lage zu analysieren und wenigstens selektiv wieder zuzugreifen. Vor allem Aktien ohne US-Bezug könnten profitieren, meint ein Händler.
SMI unter dem Stand von Anfang Jahr
Der Leitindex SMI notierte kurz vor dem Mittag noch um 5,63 Prozent tiefer auf 10'993,38 Punkten. Der SLI, in dem die 30 wichtigsten Aktien enthalten sind, bricht um 5,80 Prozent ein auf 1757,92 und der breite SPI um 5,49 Prozent auf 14'694,07 Zähler. Sämtliche 30 SLI-Werte stehen tief im Minus - die Einbussen erstrecken sich von -10,8 Prozent (Adecco) bis -2,4 Prozent (Lindt & Sprüngli PS).
Nach Eröffnung der US-Börsen drehte der Wind am Nachmittag. Der SMI grenzte seine Verluste auf ein Minus von 0,6 Prozent ein. Der SLI lag bei minus 2,75 Prozent. Die Papiere der UBS etwa rutschten am Morgen noch um knapp 7 Prozent ab, arbeiteten sich aber um 16.30 Uhr auf plus 3,4 Prozent vor. Auch Richemont und Swatch drehten ins Plus. Kurze Zeit später zeigten aber sämtliche Kurse wieder ein klares Minus.
Auch in Deutschland kollabiert der Markt. Der deutsche Leitindex Dax ist bei Handelsbeginn am Montagmorgen an der Frankfurter Börse um zehn Prozent abgestürzt. Um kurz nach 09.00 Uhr notierte der Index der 40 grössten börsennotierten Unternehmen bei knapp 18'500 Punkten - mehr als 2000 Punkte unter dem Niveau von Freitag. Er liegt somit nun unter dem Niveau vom Jahresbeginn. Zuletzt konnte sich der Dax mit einem Minus von 3,7 Prozent auf 19'955,75 Punkte ebenfalls eingrenzen. «Die Nerven liegen aktuell blank», kommentiere Finanzmarktexperte Andreas Lipkow.
Noch deutlicher war der Einbruch in Asien, wo der Nikkei und der Shanghai Composite Index um rund acht und der Hongkonger Hangseng gar um 12 Prozent abgestürzt sind.
Gerüchte um Zoll-Aufschub
Die US-Aktienmärkte haben nach ihrem jüngsten Ausverkauf am Montag im frühen Handel massiv zwischen Minus und Plus geschwankt. Der Dow Jones Industrial sackte zunächst um bis zu 5 Prozent auf den tiefsten Stand seit Dezember 2023 ab, drehte plötzlich steil nach oben bis auf plus 2 Prozent und notierte zuletzt wieder 2,01 Prozent im Minus bei 37.544,33 Punkten.
Der von den grossen Technologieaktien dominierte Nasdaq 100 schaukelte zunächst ähnlich stark und büsste zuletzt 0,91 Prozent auf 17.239,69 Zähler ein. Der marktbreite S&P 500 rutschte um 1,4 Prozent auf 5.001,92 Punkte ab.
Grund für das Auf und Ab sind offenbar Gerüchte, Trump werde die Zölle für die wichtigsten Handelspartner um 90 Tage aufschieben. Das Weisse Haus dementierte aber das Gerücht umgehend als «Fake News».
Die Verluste zum Start der neuen Woche fielen damit zwar etwas geringer aus als die vom Freitag, doch Experten mahnten zur Vorsicht. «Was wir sehen, ist eine technische Erholung nach einem sehr steilen Ausverkauf, aber es ist nicht unbedingt das Ende des Ausverkaufs», sagte Fiona Cincotta, Chefanalystin beim Broker City Index. «Damit das passiert, müssten grundlegende Veränderungen stattfinden.» Dies werde beispielsweise dann der Fall sein, wenn Trump einige Zölle zurücknehme, wenn die Zentralbanken unterstützend eingriffen oder wenn Anleger den Eindruck bekämen, dass die Weltwirtschaft trotz der Zölle gut dastehe.
Bei den Einzelwerten belastete ein Kursrutsch beim Bitcoin Aktien aus dem Kryptosektor. MicroStrategy, das als bedeutender Bitcoin-Halter bekannt ist, musste einen Rückgang von knapp elf Prozent hinnehmen. Krypto-Miner wie Riot Platforms und Mara Holdings erlitten Kursverluste zwischen gut neun und mehr als elf Prozent.
Die chinesischen Gegenzölle auf Importe aus den USA drückten indes die Aktien der US-Agrartechnikanbieter. Die Papiere von Unternehmen wie AGCO, Caterpillar und Deere verloren zwischen knapp vier und fünf Prozent. Die Volksrepublik ist der größte Absatzmarkt für amerikanische Agrarprodukte.
Kryptos rutschen ab
Der Bitcoin hat ebenfalls wegen der anhaltenden Unsicherheit infolge des US-Zollpakets weiter kräftig nachgegeben. Am Montag rutschte der Kurs im frühen Handel deutlich unter die Marke von 80'000 Dollar. Gegen 7 Uhr kostete die weltweit älteste und bekannte Digitalwährung nur noch knapp 77'000 Dollar und baute damit die jüngsten Kursverluste aus. Vor der Ankündigung von US-Präsident Donald Trump am Mittwochabend, die Welt mit Zöllen zu überziehen, war ein Bitcoin noch rund 87'000 Dollar wert.
Trump gilt eigentlich als Förderer von Digitalwährungen, allerdings konnte er bisher die Hoffnungen der Krypto-Anhänger nicht erfüllen. So hatte der Bitcoin just am Tag seiner Amtseinführung mit mehr als 109'000 Dollar seinen bisher höchsten Stand erreicht. Seitdem ging es unter anderem wegen der Unsicherheiten infolge der US-Zollpolitik bergab. Allerdings liegt der aktuelle Kurs noch etwas mehr als zehn Prozent über dem Niveau, das der Bitcoin vor der Wahl Trumps Anfang November innehatte.
Historische Verluste
Insgesamt bewegen sich die Verluste in der Grössenordnung von anderen grossen Schock-Ereignissen an den Börsen in den letzten zwei Jahrzehnten. Zuletzt büsste der SMI zu Beginn der Corona-Krise an einzelnen Tagen 5 Prozent oder mehr ein. Am 12. März 2020 resultierte sogar ein Minus von 9,6 Prozent an einem einzigen Tag, nachdem weltweit Reisebeschränkungen verhängt worden waren.
Auch die Aufhebung der Franken-Untergrenze schickte die Börsen im Januar 2015 in den Keller. Am 15. Januar ging es 8,7 Prozent abwärts und einen Tag später noch einmal 6,0 Prozent.
Für grosse Verwerfungen sorgte auch die Finanzkrise im Oktober 2008, ausgelöst durch die Pleite der Investmentbank Lehman Brothers am 15. September. Am 6. Oktober büsste der SMI damals 6,1 Prozent ein und wenige Tage später am 10. Oktober noch einmal 7,8 Prozent.
Vergleichbar stark waren die Einbussen auch beim Platzen der Dotcom-Blase Anfang der 2000er-Jahre. Auch damals ging es an mehreren Handelstagen 5 Prozent abwärts. Das grösste Minus war am 11. September 2001 mit 7,1 Prozent zu verzeichnen.
(awp/dob)