Sein Bruder, Uhrenfreund und Fan der Marke Fortis, war begeistert, sein Vater anfänglich ein Spürchen skeptischer: «Sei vorsichtig, vom Luxussegment haben wir wenig Ahnung», sagte er zu seinem Sohn. Und signalisierte dennoch Zustimmung: «Ich finde gut, was du da vorhast. Mach!»
Das war im Jahr 2018. Jupp Philipp hatte nach einem Bieterverfahren den Zuschlag erhalten und die marode Grenchner Marke Fortis übernommen. Beeinflusst von seinem Bruder, einem Piloten, war er schon Jahre vorher Fan der Marke geworden. Doch vom Uhrenbusiness, so lacht er, habe er damals im Grunde genommen nichts verstanden. Der heute 45-jährige Jupp Philipp ist im B2B-Fruchtsaftgeschäft gross geworden, in vierter Generation eines «sehr alten, erfolgreichen Familienunternehmens».
Fortis korrigiert Fehler aus der Vergangenheit
Was ihm denn die Zuversicht gegeben habe, ins Uhrenbusiness einzusteigen und den Turnaround zu schaffen? Er sei überzeugt, dass Fortis eine starke Volksmarke sei, antwortet der seit 14 Jahren in der Schweiz wohnende Münchner Jupp Philipp. Mit einer reichen Geschichte. Mit Fans. Mit guten Produkten. Doch es seien in der Vergangenheit leider Fehler gemacht worden. Die müsse man jetzt korrigieren.
«Mitarbeiter müssen die Gewissheit erhalten, dass ihre Meinung Gewicht hat.»
Fehler Nummer 1: «Man hat das Potenzial der Mitarbeitenden nicht genutzt.» Dabei hätten diese – rund 20 sind fest angestellt, weitere 15 gehören zum erweiterten Team – ein riesiges Wissen und viele Ideen, die man nutzen könne: «Mitarbeiter müssen die Gewissheit erhalten, dass ihre Meinung Gewicht hat. Man muss dann nur ihre Fähigkeiten erkennen und richtig positionieren.»
Fehler Nummer 2: «Man wollte jeden Geschmack befriedigen.» Deshalb habe es keine Designs gegeben, die bei Fortis nicht zu haben waren. Von der Uhr, die aussieht wie eine heutige Apple Watch, bis zum Modell Flipper im Monocoque-Kunststoffgehäuse. Noch schlimmer: Die Marke habe zwar viele verschiedene Dinge getan, diese aber nicht richtig kommuniziert. «Mir war klar, dass wir jetzt reduzieren und fokussieren müssen.»
Fortis baute die erste automatische Armbanduhr
Die Marke Fortis war 1912 von Walter Vogt und Alfred Rüefli in Grenchen gegründet worden, am Anfang wurden Uhren mit Werken von Schild in Grenchen produziert. 1926 schlug die grosse Stunde der Marke: Man baute die erste automatische Armbanduhr der Welt nach einer Konstruktion von John Harwood (1893–1965). Es war ein Hammerautomat, also eine Uhr mit Pendelschwungmasse, die zum Aufziehen fast 360 Grad drehen kann, dann von einer Feder abgebremst und zurückgeschleudert wird. 1968 lancierte Fortis die ersten Plastikuhren, später kamen Fliegeruhren in den Katalog, meist mit ETA-Werken bestückt. Es gab aber auch Alarmuhren, Weltraummodelle etc. Auf dem Höhepunkt ihrer Geschichte produzierte Fortis gegen eine Million Zeitmesser pro Jahr.
Für Jupp Philipp war eines klar: «Wir müssen die Marke nicht neu erfinden. Wir müssen einen Teil der Geschichte herauspicken und uns darauf konzentrieren.»
«Bei einer Pilotenuhr muss die Zeit innerhalb von Millisekunden ablesbar sein, für den Rest aber sind wir frei.»
Herausgepickt hat er das Thema Toolwatch – «neu definiert, vor allem in Bezug auf Funktion und Design». Eine Toolwatch sei bisher «nie richtig schön» gewesen, das habe er mit Hilfe eines Designers, der bei allen Modellen mitwirkt, geändert. Unter Toolwatch versteht er eine Uhr «für den aktiven Menschen, der um die Welt reist». Eine Uhr, die vor allem im Outdoorbereich punkten kann, im Wassersport und in der Fliegerei zum Beispiel, aber auch der Weltraum bleibt thematisch erhalten. Das alles mit einem undogmatischen Ansatz: Taucheruhren sind nicht nach Iso-6425-Norm zertifiziert, «die wenigsten Leute tauchen mit einer Taucheruhr», sagt Philipp, «sie fahren vielmehr damit in den Urlaub.» Gute Ablesbarkeit hingegen bleibe ein Thema: «Bei einer Pilotenuhr muss die Zeit innerhalb von Millisekunden ablesbar sein, für den Rest aber sind wir frei.» Ohnehin müsse man nicht den Fehler machen, allen gefallen zu wollen: «Wir sind wir. Und das bleiben wir auch.»
Die Strategie trägt erste Früchte, letztes Jahr wuchs die Firma gegenüber 2018 um 40 Prozent, dieses Jahr liege man schon 30 Prozent über Vorjahr. Den Einwand, solches Wachstum sei auch einfach, wenn man von winzigen Stückzahlen ausgehe, lässt er lachend gelten. Und räumt ein, von schwarzen Zahlen noch entfernt zu sein: «Ich habe mir für den Turnaround fünf bis zehn Jahre gegeben.»
Und woher nimmt Jupp Philipp das Geld für einen derart langen Schnauf? «Ich habe ja auch noch meine gut funktionierenden Firmen», sagt er. Zwei Fruchtsaftunternehmen sind es, das Alltagsgeschäft wird dort von zwei Geschäftsführern geleitet. Nicht dass er damit nichts mehr zu tun haben wolle, ganz im Gegenteil, doch von Montag bis Donnerstag ist Philipp für Fortis da. Und zwar in Grenchen.
Fortis: So perfekt wie möglich – robust und präzis
Jupp Philipp – breites Lachen, rötlicher Bart, unkomplizierte Kleidung, modische Sneakers – sitzt entspannt im Parterre des Fortis-Gebäudes an der John-Harwood-Strasse 13 gleich beim Bahnhof Grenchen Nord. Mit Staunen hat der Quereinsteiger beobachtet, wie für manche Marken eine Uhr nicht kompliziert genug sein könne. «Ich will es im Gegenteil so einfach, wie es geht. Und so perfekt wie möglich – robust und präzis.» Für Werke deckt er sich bei Sellita ein, zunehmend auch bei Kenissi. Verwendet wird überdies ein Kaliber von La Joux-Perret. Und für den 1997 vom Zürcher Uhrmacher Paul Gerber konstruierten Chronographen mit mechanischem Alarm, das nach wie vor im Katalog figurierende Modell F-2001, kommen zu 70 Prozent Valjoux-Komponenten zum Einsatz, zu 30 Prozent neue Teile. Die Assemblage geschieht in Grenchen. Hier sind auch die Konstruktion, das Design, die Kommunikation, die Qualitätskontrolle, die Serviceabteilung und die Logistik domiziliert.
Die Preise für eine Fortis-Uhr bewegen sich zwischen 2000 und 6500 Franken, weltweit gibt es rund 200 Verkaufspunkte, es sollen bald mehr sein. Wichtigste Märkte sind die Schweiz, Deutschland und Österreich, gefolgt von den USA und Japan. Das Onlinegeschäft habe in der jüngeren Zeit an Bedeutung gewonnen, sagt Philipp, man habe in Grenchen deshalb auch eine Onlineberatung aufgegleist. Kunden können zum Beispiel am Bildschirm sehen, wie eine Uhr an ihrem Handgelenk aussehen würde. Dafür trägt ein Mitarbeiter mit gleichem Handgelenk-Umfang wie der Kunde die Uhr und betrachtet sie durch eine Hightech-Brille mit Kamera. Man setze aber auch stark auf real existierende Shops, sagt Philipp, «Juweliere sind für uns wichtige Influencer».
Wird er den Turnaround schaffen? Jupp Philipp lässt sein breites Lachen blitzen. «Die Frage ist nicht, ob, die Frage ist, nur wann.»
Dieser Text erschien zuerst in «Watch Around».