Einen Tag vor dem Sondergipfel zu den künftigen Finanzen der Europäischen Union hat EZB-Präsidentin Christine Lagarde von den 27 EU-Staats- und Regierungschefs eindringlich eine Einigung gefordert. Es seien kraftvolle Anstrengungen nötig, um die Konjunkturerholung zu begleiten, sagte Lagarde am Donnerstag auf der Online-Pressekonferenz nach dem Zinsbeschluss.
«Es ist wichtig, dass sich die europäischen Staats- und Regierungschefs rasch auf ein ehrgeiziges Programm einigen.» Es sei möglich und wünschenswert, dass eine Einigung erzielt werde, hieß es auch im französischen Präsidialamt. "Eine europäische Lösung wird erwartet."
Die 27 EU-Staats- und Regierungschefs wollen auf dem Freitag beginnenden Gipfel in Brüssel versuchen, eine Einigung über den Finanzrahmen bis 2027 und den Aufbaufonds für schwer von der Corona-Krise betroffene Staaten zu finden. Dabei geht es um ein Volumen von insgesamt rund 1,7 Billion Euro.
Umstrittenes 750-Milliarden-Paket
Besonders umstritten ist das von der EU-Kommission vorgeschlagene 750 Milliarden Euro-Paket für eine schnelle Corona-Hilfe. Deutschland und Frankreich hatten vorgeschlagen, dass 500 Milliarden Euro davon als Zuschüsse und 250 Milliarden als Kredite angeboten werden. Vor allem die Zuschüsse und die Konditionen der Auszahlung sind allerdings umstritten.
Neben den Niederlanden nahmen zuletzt auch Österreich, Schweden und Dänemark eine harte Haltung ein. Spanien, das neben Italien besonders von dem Fonds profitieren würde, hatte vor einem Scheitern des Gipfels gewarnt. Bundeskanzlerin Angela Merkel und der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte hatten in den vergangenen Tagen angesichts der Meinungsunterschiede die Erwartungen auf eine Einigung auf dem Gipfel gedämpft.
Der deutsche Wirtschaftsminister Peter Altmaier sagte im inforadio, dass man die Interessen der Nettozahler berücksichtigen müsse. «Auf der anderen Seite können wir bestimmten Ländern in der EU nicht noch mehr Schulden zumuten, weil sie dann in einem Ausmaß überschuldet wären, das ihre Stabilität und ihre Vertrauenswürdigkeit auf den Geldmärkten gefährdet.»
Ungarn will handeln
Ungarn wiederum knüpft seine Zustimmung zum Corona-Wiederaufbaufonds an ein Nachgeben der EU bei der Frage der Rechtsstaatlichkeit. «Es darf keine Politisierung bei der Vergabe der Mittel geben», sagte die Vizechefin der ungarischen Regierungspartei Fidesz, Katalin Novak, der «Welt». «Dazu gehört auch, dass man nicht über den leicht politisierbaren Begriff der Rechtsstaatlichkeit die Mitgliedsländer unter Druck setzt.» Deshalb müsse das Verfahren gegen Ungarn eingestellt werden.
Dies hatte die EU-Kommission wegen umstrittener Justiz- und Medienreformen gegen das osteuropäische Land eröffnet. Die EU wirft Ungarn Verstösse gegen Grundprinzipien der EU-Demokratien vor. Zudem will die EU-Kommission die Auszahlung etwa von Strukturhilfen an rechtsstaatliche Prinzipien knüpfen. Allerdings geht es dabei in erster Linie darum, darüber zu wachen, dass die EU-Staaten die Milliardenzuschüsse aus dem EU-Haushalt nicht zweckentfremdet einsetzen.
Die derzeitige deutsche EU-Ratspräsidentschaft fordert ebenfalls eine rasche Einigung, weil danach noch Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament und eine Ratifizierung durch die nationalen Parlamente nötig sind. Die derzeitige Finanzperiode endet aber bereits Ende des Jahres. Anträge auf die milliardenschwere künftige EU-Förderung von 2021 bis 2027 können aber erst gestellt werden, wenn es eine Einigung gibt. Dies gilt auch für die Corona-Hilfen, die eigentlich sehr schnell fliessen sollen, um den Wirtschaftseinbruch in den EU-Staaten abzufedern.
(reuters/mlo)