"Es gibt tatsächlich eine gewisse Entspannung", sagte der Elektrizitätskommissionspräsident im Interview mit der Nachrichtenagentur AWP. Das heisst: "Wir können etwas ruhiger in diesen Winter gehen."
Stromabschaltungen seien "eher unwahrscheinlicher" geworden, ausschliessen könne man sie aber nicht. Es seien Szenarien denkbar, bei denen es "trotzdem eng werden könnte". Es herrsche ja immer noch Krieg in Europa. "Und wir haben in diesem Jahr gelernt, dass Dinge passieren können, die wir uns vorher nicht vorstellen konnten."
Es sei daher sicher ratsam, immer noch haushälterisch mit Strom umzugehen. "Alles, was wir im frühen Winter nicht brauchen und in den Speicherseen verbleibt, steht zur Verfügung, wenn es gegen Ende Winter noch ein Problem geben könnte."
Sollte es beispielsweise einen sehr kalten Winter geben oder es in Europa zu Anschlägen auf Gas-Infrastrukturen kommen. Insofern sei es auch richtig gewesen, die Bevölkerung auf mögliche Probleme vorzubereiten und Massnahmen zu ergreifen, um allenfalls kritische Situationen zu überbrücken.
2023 gar kein russisches Erdgas mehr
Und auch mit Blick bereits auf den nächsten Winter 2023/24 gibt es Unwägbarkeiten: So sei heute nicht sicher, ob die europäischen Gasspeicher im nächsten Sommer gefüllt werden können. Denn 2022 habe es - trotz der Kürzungen - bis Mitte Jahr noch beträchtliche Gaslieferungen aus Russland gegeben. "Nächstes Jahr wird Europa aber wahrscheinlich gar kein russisches Gas mehr bekommen, und es muss sich erst noch zeigen, wie weit dies substituiert werden kann."
"Wir sind daher froh über die inländischen Reserven, die jetzt im Schnellzugtempo geschaffen wurden und uns dieses, aber auch nächstes Jahr zur Verfügung stehen." Gemeint sind die Wasserkraftreserve sowie das thermische Notkraftwerk in Birr, das im Moment gebaut wird. In diesem Winter würde dieses allerdings mit Heizöl betrieben und nicht mit Erdgas.
Ein Risikofaktor bleiben auch die französischen Atomkraftwerke: Angesichts der entdeckten Korrosionsschäden an einigen der Anlagen gebe es nach wie vor Unsicherheiten. Einer der Gründe für die Entspannung sei aber gerade auch die Tatsache, dass die Franzosen angekündigt haben, dass sie einen wesentlichen Teil ihrer Kernkraftwerke in diesem Winter wieder ans Netz bringen werden.
Mehr inländische Stromproduktion nötig
Auch das grundsätzliche Problem ab 2025 bleibe bestehen. Vor der Invasion Russlands in die Ukraine und vor der folgenden Energiekrise hatte der Bund bereits davor gewarnt, dass es in drei Jahren zu einem Engpass kommen könnte.
Die Elcom bekräftigt daher vehement die Forderung, dass in der Schweiz bis 2025/26 eine zusätzliche Kapazität von 1000 Megawatt aufgebaut wird, um allfällige Engpässe überbrücken zu können. Dabei setzt die Regulierungsbehörde vor allem auf Gaskraft. Man gehe davon aus, dass sich die Situation beim Erdgas früher oder später normalisieren werde, sagte Luginbühl. "Europa wird noch sehr lange Erdgas brauchen." Und die Schweiz brauche weniger als 1 Prozent des europäischen Gases.
Gleichzeitig wären aber umso weniger Gaskapazitäten nötig, je mehr Solarkraft zugebaut werden kann, wenn beispielsweise hochalpine PV-Anlagen tatsächlich gebaut und in Betrieb gingen. Erst am Dienstag hatte der grösste Schweizer Energiekonzern Axpo angekündigt, möglichst bald mehrere solcher Anlagen hoch in den Bergen bauen zu wollen und stark in Sonnenstrom zu investieren.
Importe müssen begrenzt werden
Der Kapazitätszubau hierzulande sei dringend nötig, betonte Luginbühl. Die Schweiz sei mit Blick auf die Stromversorgung zwar weiterhin auf Importe aus dem Ausland angewiesen.
Aber: Seit 2004 importiere die Schweiz im Schnitt im Winter 4 Terawattstunden Strom. "Wenn die Energiestrategie wie ursprünglich geplant umgesetzt werden würde und die Kernkraftwerke ausser Betrieb genommen werden, hätte sich dieser Anteil auf bis zu 15 Terawattstunden erhöht."
"Das wäre aus unserer Sicht nicht zu verantworten", sagte Luginbühl.