Im Gegensatz zu Kurzsichtigkeit ist Schwerhörigkeit vielen immer noch peinlich, erst recht jüngeren Menschen. Dabei sind gar nicht wenige davon betroffen. Es ist sogar ziemlich normal, schlecht zu hören und längst nicht nur für ältere Menschen.
Schuld daran ist laut Experten unter anderem der ständige Gebrauch von Kopfhörern. Viele Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene hören täglich mehrere Stunden Musik in einer Lautstärke, die empfohlene Grenzwerte deutlich überschreitet, wie neuere Studien aus den USA belegen.
Apples Air Pod-Kopfhörer sind beispielsweise bei Personen mittleren Alters so gängig geworden, dass es für diese Generation völlig normal ist, «immer einen Stöpsel im Ohr zu tragen», wie Daniel Buchta erklärt. Er arbeitet als Finanzanalyst bei der Zürcher Kantonalbank und kennt den Hörgeräte- und Kopfhörer-Markt wie seine Westentasche. Und er meint: Die Kopfhörer-Gewohnheiten der Jungen könnte nun einer neuen Generation von Hörgeräten zum Durchbruch verhelfen.
Neue Regulierung in den USA
Denn dieser Markt ist gerade stark im Wandel, wie Buchta im Interview mit der Nachrichtenagentur AWP sagt. Wegbereiter ist eine neue Regulierung im wichtigsten Markt der Welt, den USA. Dort dürfen Anbieter seit kurzem sogenannte Over-the-counter-Hörgeräte verkaufen, kurz OTC-Produkte. Diese werden ganz ohne fachmännische Betreuung verkauft, es entfällt also oftmals die komplexe Gerätekonfiguration beim Hörgeräteakustiker.
Apple selbst, der Hersteller der bei den Millenials so beliebten Air Pods, ist zwar noch nicht auf dem OTC-Markt aktiv. Trotzdem lassen sich die neusten «In Ear»-Kopfhörer von Apple im Zusammenspiel mit einem iPhone zumindest teilweise als Hörhilfe nutzen. Denn die «AirPods 2 Pro» verfügen sowohl über eine Funktion namens «Live mithören» wie auch über eine Konversationsverstärkung. Letztere sorgt etwa dafür, dass man Sprecher besser versteht, die einige Meter entfernt sind.
Und von diesen Funktionen ist der Schritt zu einem neuartigen OTC-Hörgerät laut Experten nicht mehr weit. «Wer weiss, vielleicht lanciert Apple ja bald auch noch ein OTC-Hörgerät», mutmasst Daniel Buchta. Gerade bei jüngerem mit Hörverlust könnte so ein Gerät auf grossen Anklang stossen, meint er.
Anteil noch tief
Noch ist das aber Zukunftsmusik. Und auch der Marktanteil der bereits lancierten OTC-Hörgeräte liegt bei nur etwa 2 Prozent in den USA, sagt Buchta. «Einer der Gründe ist wohl, dass die älteren Menschen, die die klassischen Hörgeräte nutzen, diese neuen Produkte eher meiden», führt er aus. Dass man diese bis zu einem gewissen Grad selbst einstellen müsse, überfordere dann oft.
Der Marktanteil der OTC-Geräte könnte jedoch plötzlich sprunghaft steigen, wenn bei den heute 40-Jährigen, die mit Air Pods und ähnlichen Kopfhörern vertraut sind, der Hörverlust zunehme, meint Buchta. Und davon könnte dann auch ein grosser Konzern aus der Schweiz profitieren: die Firma Sonova aus dem zürcherischen Stäfa. Bekannt ist diese vor allem für ihre Hörhilfen der Marke Phonak. Unlängst hat das Unternehmen aber auch die Kopfhörer-Sparte der Firma Sennheiser gekauft.
Sennheiser mischt mit
Unter dieser «cooleren» Marke hat Sonova nun denn auch ein erstes OTC-Hörgerät auf den Markt gebracht. Der Anspruch scheint klar: Hier handelt es sich nicht um ein klassisches Phonak-Hörgerät für die älteren Semester, sondern um ein trendiges Lifestyle-Produkt.
Doch auch bei Sennheiser verlief der Start des neuen Geräts mit dem Namen All-Day Clear eher verhalten, wie Firmenchef Arnd Kaldowski gegenüber Medien sagte. Doch was noch nicht ist, soll ja eben noch werden. Genau darum erachtet Branchekenner Buchta den Schritt von Sonova, ein solches Gerät zu lancieren, auch trotzdem als sinnvoll.
Auch die Übernahme der Marke Sennheiser durch den Schweizer Hörgeräte-Platzhirsch ergebe strategisch Sinn. Sennheiser sei sowohl in Europa wie auch in Asien eine bekannte Kopfhörer-Marke mit einem guten Ruf. «Und diese Marke kann Sonova nun sinnvoll für den Vertrieb von OTC-Hörgeräten nutzen», so Buchta.
Sonova ist nicht der einzige Anbieter, der in diesen neuen Markt drängt. Auch der japanische Elektronikgigant Sony hat inzwischen vielversprechende Produkte auf dem Markt, so Buchta. Daneben sind die amerikanische Firma Bose oder der Kopfhörerproduzent Jabra auf dem Markt aktiv. Letzterer etwa mit dem Jabra Enhance Plus, das von blossem Auge kaum von drahtlosen Kopfhörern zu unterscheiden ist.
Markt hart umkämpft
Damit so richtig Geld zu verdienen, das dürfte im Vergleich zu den klassischen Hörgeräten allerdings etwas schwieriger sein, zumindest, was die Profitabilität anbelangt. «Die Konkurrenz im Consumer Electronics-Bereich ist viel grösser als bei den klassischen Hörgeräten», erklärt Buchta.
Diesen Markt wiederum würden sich nämlich nur wenige grössere Player untereinander aufteilen. Neben Sonova sind das etwa Demant, WS Audiology oder die GN Group aus Dänemark. WS Audiology kooperiert im OTC-Bereich übrigens mit Sony, GN wiederum steht hinter den Jabra-Kopfhörern. Die beiden Firmen sind somit auf allen Ebenen - also vom Kopfhörer über die OTC-Hörhilfen bis hin zum klassischen Hörgerät - ein Konkurrent für die schweizerische Sonova.