Der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius hat an die deutsche Rüstungsindustrie appelliert, ihre Produktion wegen des Krieges in der Ukraine zu steigern.
«Die Rüstungsindustrie kann ich nur herzlich bitten, schnellstmöglich alle Kapazitäten jetzt maximal hochzufahren», sagte er am Dienstag vor dem Treffen der Nato-Verteidigungsminister in Brüssel. Dies sei in den kommenden Monaten entscheidend auch bei der Hilfe für die Ukraine. Mit einem baldigen Ende des Krieges sei nicht zu rechnen.
Nicht von der Schweiz abhängig sein
Die Unterzeichnung eines Vertrages mit dem Rüstungskonzern Rheinmetall zur Wiederaufnahme der Produktion von Munition für den Flugabwehrpanzer Gepard sei ein erster wichtiger Schritt. «Die Verträge für die Produktion von Gepard-Munition sind unterschrieben», sagte Pistorius dazu. Man habe sich für den Schritt auch entscheiden, um nicht von der Schweiz abhängig zu sein, erklärte der SPD-Politiker. Die Schweizer Regierung weigert sich bisher mit Verweis auf den neutralen Status des Landes, eine Lieferung von Munition aus heimischer Produktion für die von Deutschland gelieferten Gepard-Panzer zu erlauben.
Die Bundesregierung versucht seit einigen Monaten in den Gesprächen mit der Rüstungsindustrie eine Kapazitätserhöhung zu erreichen. Die Unternehmen wiederum fordern dazu etwa langfristige Verträge, die von Kanzler Olaf Scholz Mitte Januar zugesagt wurden. Der Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) will aber etwa auch schnellere Bestellungen der Regierung. Die Firmen bräuchten verbindliche Verträge mit der Regierung und könnten nicht sehr weit in Vorleistung gehen, sagte BDSV-Hauptgeschäftsführer Hans Christoph Atzpodien im Deutschlandfunk. Die Unternehmen seien vorbereitet und bereit, die Produktion hochzufahren. Allerdings brauche man teilweise wegen der hohen Investitionssummen auch staatliche Hilfe. Hintergrund ist etwa, dass aus dem 100 Milliarden Euro grossen Sondertopf für die bessere Ausstattung der Bundeswehr noch nicht viele Aufträge vergeben wurden.
Nato-Munitionslager sind leer
Ein wichtiger Punkt ist dabei die Produktion von Munition, weil die Depots der Nato-Staaten nur noch über wenige Reserven verfügen und die Ukraine im Kampf gegen die russischen Truppen erhebliche Mengen an Munition verbraucht, die von westlichen Ländern geliefert wird. Allerdings gibt es Engpässe auch bei etlichen Waffensystemen. So sagte Pistorius, dass unklar sei, wann die der Ukraine zugesagten weiteren Iris-T-Luftabwehrsysteme der Firma Diehl geliefert werden könnten. Dies hänge mit den Produktionsmöglichkeiten zusammen. Die Regierung dringt darauf, dass die Rüstungsfirmen ihre auf kleine Stückzahlen ausgelegte Herstellung deutlich aufstockt.
Vor dem Treffen der Verteidigungsminister betonten sowohl Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg als auch Pistorius, dass die Frage der Lieferung von Kampfjets an die Ukraine derzeit nicht vorrangig sei. Man rede darüber, räumte Stoltenberg auf Nachfrage ein. «Oberste Priorität ist (aber), dass wir Luftabwehrsysteme und Munition bereitstellen», unterstrich Stoltenberg.
Der polnische Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak sagte dagegen, er glaube an eine Einigung über Kampfjet-Lieferungen an die Ukraine. Polen allein könne nicht viel ausrichten, sagte er. Die Verbündeten hätten da viel mehr Potenzial. «Deshalb denke ich, dass diese Gespräche positiv ausgehen.» Ohne Druck funktioniere dies allerdings nicht. Polen hatte die Lieferung von Kampfflugzeugen bereits im vergangenen Jahr vorgeschlagen, was die USA aber abgelehnt hatten.
Pistorius erklärte mit Blick auf die britische Ausbildung ukrainischer Piloten, dass es sinnvoller wäre, die Ukrainer nun an den Waffensystemen zu trainieren, über die sie bereits verfügten. Es dürfe nicht darum gehen, was «optisch hilft», sondern darum, was die Kampfkraft der ukrainischen Armee verbessere. Deutschland sei nicht nur bei der Ausbildung sehr aktiv, sondern auch bei den Waffenlieferungen hinter den USA zusammen mit Grossbritannien an zweiter Stelle.
Norwegen will mühsame Aufstellung der Leopard-Bataillone
Norwegen will laut Ministerpräsident Jonas Gahr Störe acht seiner 36 Leopard-2-A4-Kampfpanzer an die Ukraine liefern. «Es ist wichtiger denn je, den Freiheitskampf der Ukraine zu unterstützen», teilt der Regierungschef mit. Das Nato-Land werde zudem vier Pionierpanzer wie etwa Brückenlegepanzer zur Verfügung stellen. Dabei hänge die genaue Auswahl davon ab, was die Ukraine am dringendsten benötige. Auch Finanzmittel für Munition und Ersatzteile würden bereitgestellt, so das Verteidigungsministerium.
Scholz appellierte bei einem Besuch in Belgien an die europäischen Partner, die Zusagen zur Lieferung von Kampfpanzern auch einzuhalten. Zuvor hatte Enttäuscht äusserte sich Pistorius über die Umsetzung der Beschlüsse für die Lieferung westlicher Kampfpanzer an die Ukraine. Bisher stünden nur die 14 von Deutschland zugesagten Panzer und drei von Portugal bereit. Weitere Leopard-2-A6-Panzer anderer Nationen seien derzeit nicht im Gespräch, sagte er.
Bei der von Polen organisierten Zusammenstellung eines Bataillons von älteren Leopard-2-A4-Panzern gebe es offenbar ebenfalls Probleme. Die westlichen Staaten hatten der Ukraine zwei Leopard-Kampfpanzerbataillone zugesagt, die in der Ukraine meist 31 Panzer umfassen. Hier könnte nun die norwegische Zusage helfen. Norwegen hat als Ersatz neue Leopard-2-A7-Panzer bestellt. Die USA wollen darüber hinaus Abrams-Panzer liefern, aber nicht in den nächsten Monaten. Grossbritannien hatte 14 Challenger-Panzer zugesagt, aus Frankreich und Italien gab es bisher keine entsprechenden Angebote.
Pistorius rechnet mit einem länger andauernden Krieg in der Ukraine. «Es wird kein kurzfristiges Ende des Krieges geben», sagte er. «Einen kurzfristigen Sieger sehe ich auch nicht», fügte er hinzu. Deshalb sei wichtig, die richtigen Akzente bei den Waffenlieferungen an die Ukraine zu setzen, damit sich das Land gegen die russischen Angreifer verteidigen könne. Das deutsche «Frühlingspaket» für die Ukraine sei unterwegs. Vorrangig seien die Stärkung der Luftabwehr und Munitionslieferungen.
(reuters)