Die Aussenminister der EU-Staaten wollen an diesem Montag (9 Uhr) ein neues Sanktionsinstrument beschliessen, das sich gegen Beteiligte an der Schleusung von Migranten nach Belarus richtet. Es soll unter anderem gegen die staatliche belarussische Fluggesellschaft Belavia eingesetzt werden. Diese soll künftig von Firmen, die Flugzeuge verleasen, keine Maschinen mehr bekommen. Ziel ist, dass Belavia dann nicht mehr so viele Menschen aus armen oder konfliktreichen Ländern zur Weiterschleusung in die EU nach Belarus fliegen kann. Auch Reiseveranstalter und an der Schleusung beteiligte Mitglieder des Regierungsapparats in Belarus sollen unter Druck gesetzt werden.
Der Führung der Ex-Sowjetrepublik wird vorgeworfen, gezielt Migranten ins Land zu holen, um sie dann zur Weiterreise in die EU an die Grenze zu Polen, Litauen und Lettland zu bringen. Vermutet wird, dass sich Machthaber Alexander Lukaschenko damit für Sanktionen rächen will, die die EU wegen der Unterdrückung der Zivilgesellschaft und der demokratischen Opposition erlassen hat. Für Deutschland wird bei dem Treffen in Brüssel der geschäftsführende Aussenminister Heiko Maas (SPD) erwartet.
Tausende Migranten aus Syrien und dem Irak
Weil Polen, Lettland und Litauen die EU-Aussengrenze mittlerweile abriegeln, ist die Situation im Grenzgebiet äusserst angespannt. Tausende Menschen aus Ländern wie Syrien oder dem Irak warten auf eine Chance, illegal die Grenze zur EU zu überqueren. Besonders gross ist der Druck auf die Grenze zu Polen. Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt harren Tausende Migranten seit Tagen auf der belarussischen Seite der Grenze in provisorischen Camps im Wald aus. Es gab bereits Todesfälle.
Polens Grenzschutz warf den Sicherheitskräften in Belarus am Sonntagabend vor, Migranten auf einen Durchbruch der Sperranlage vorzubereiten. Bei dem Grenzort Kuznica seien in dem Lager auf der belarussischen Seite viele Zelte verschwunden, schrieben die Grenzer am Sonntag auf Twitter. «Die Ausländer bekommen Instruktionen, Werkzeuge und Tränengas von den belarussischen Sicherheitsorganen.»
Kein Transit nach Deutschland
Diese Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen, da Polen in der Grenzregion den Ausnahmezustand verhängt hat. Journalisten und Helfer dürfen nicht hinein. Das gilt auch für das Grenzgebiet auf belarussischer Seite.
Zugleich traten Polen und das Auswärtige Amt in Berlin Gerüchten entgegen, wonach Deutschland an diesem Montag einen Transit für die feststeckenden Migranten plane. «Wer immer diese Lügen verbreitet, bringt Menschen in grosse Gefahr», teilte das Ministerium am Sonntag auf Twitter mit. Polen versandte Textnachrichten an die Menschen. "Das ist eine Lüge und Unfug! Polen wird seine Grenze zu Belarus weiterhin schützen." Die SMS auf Englisch würden alle erhalten, deren Handys sich im Grenzgebiet in Reichweite des polnischen Mobilfunks befänden, schrieb Innenminister Mariusz Kaminski auf Twitter.
US-Aussenminister Antony Blinken sagte nach Angaben seines Sprechers Ned Price, das Handeln des Lukaschenko-Regimes gefährde die Sicherheit, säe Zwietracht und lenke von Russlands Aktivitäten an der Grenze zur Ukraine ab. Der Kreml hatte nach Vorwürfen aus den USA, russische Truppen könnten eine Ukraine-Invasion vorbereiten, vor Falschinformationen gewarnt.
Die EU steckt im Dilemma
Der FDP-Aussenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff warf dem belarussischen Machthaber Lukaschenko einen «Angriff auf die Europäische Union insgesamt» vor. Die EU dürfe sich von ihm nicht erpressen lassen, müsse aber auch zu ihren Werten stehen, sagte er am Sonntagabend in der ARD. «Wenn es nicht anders geht, als die Grenze mit Anlagen zu befestigen, dann auch das, ja.»
Der Migrationsexperte Gerald Knaus befürwortete schärfere Sanktionen gegen Belarus und plädierte zugleich für eine legale Verteilung von Migranten in sichere Drittländer. «Die EU muss einen Weg finden, dass nach einer sofortigen humanitären Aufnahme nicht in vier Wochen 15'000 Menschen bei noch tieferen Temperaturen an der gleichen Grenze leiden. Dafür sollte man jene, die nach einem Stichtag nach Polen kommen, im Einklang mit internationalem Recht in einen sicheren Staat ausserhalb der EU bringen», sagte Knaus der "Rheinischen Post" (Montag). «So liesse sich Lukaschenkos Schleusermodell zerstören. Denn die EU darf den Wettbewerb der brutalen Abschreckung an ihrer Grenze nicht gegen einen skrupellosen Diktator gewinnen.»
(sda/gku)