Sie schwärmen von den Snacks in den 24-Stunden-Shops und stehen Schlange für ausgefallenen Street Food. Sie testen das Matcha-Sortiment oder füttern zahme Rehe: Influencerinnen und Influencer aller Welt haben Japan entdeckt. Hunderttausende Menschen verfolgen ihre Videos, Millionen reisen ihnen nach.

Die Gründe für Schweizerinnen und Schweizer nach Japan zu reisen sind vielfältig. Einige erfüllen sich mit einer Rundreise nach der Pensionierung einen Lebenstraum. Andere lassen sich vom aktuellen Gamedesign inspirieren. Wiederum andere machen Halt auf einer Backpack-Reise oder wählen das Land als Erasmus-Destination.

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«Nach dem Ende der Pandemie erlebte Japan einen regelrechten Ansturm auf Reisebuchungen», heisst es beim Zürcher Reisebüro für Fernreisen, Travel Worldwide, auf Anfrage der Nachrichtenagentur AWP. Ein Grund: Die Grenzen blieben während der Pandemie fast drei Jahre lang geschlossen. Erst im letzten April konnten ausländische Gäste wieder einreisen.

Bei Travel Worldwide entscheiden sich vor allem kulturinteressierte, ältere Menschen für eine Japanreise. Oft besuchten sie das Land nur einmal im Leben. Seit der Wiederöffnung ist die Gästegruppe aber deutlich heterogener geworden, wie verschiedene Reiseanbieter berichten. Das Alter variiere zwischen 20 und 80 Jahren.

Rekorde in Sicht

Der Hype um Japan nahm zuletzt Fahrt auf. Die Japan National Tourism Organisation, die 22 Reiseanbieter weltweit betreut, verbuchte 2019 bereits einen Gästerekord. Das Niveau wurde 2023 fast wieder erreicht. Und diesen März erreichten Japan erstmals in einem Monat über drei Millionen Touristen - ein Plus von über 10 Prozent zum Rekordjahr 2019.

Aus der Schweiz reisten im letzten Jahr rund 53'400 Gäste an, was gut 0,2 Prozent aller Gäste entsprach. Einige Schweizer Reiseanbieter verzeichneten Buchungen «deutlich» über dem Vorpandemielevel. Der Spezialist Asia365 des Reiseanbieters Dertour Suisse erwartet im laufenden Jahr mindestens 40 Prozent mehr Umsatz als im Vorjahr.

Der Ansturm liegt unter anderem an der wirtschaftlichen Lage. Japan galt lange als teuer, über die letzten Jahrzehnte gab es aber kaum Inflation. Gleichzeitig hat der japanische Yen an Wert verloren.

Zudem ist es heute kein Muss mehr, sich vor einer Reise professionell beraten zu lassen. Gerade jüngere Reisende lassen sich lieber von Google-Reviews und Tiktok-Tipps leiten. Google Translate hilft bei Sprachbarrieren.

Daneben bringen die Hochgeschwindigkeitszüge effizient in Millionenstädte, Nationalparks oder auf Kunstinseln. «Die ausgezeichnete Infrastruktur erlaubt unbegleitetes Reisen innerhalb von Japan, bis in die letzten Ecken», bestätigt der Reiseveranstalter Hotelplan Gruppe.

«Soft Power» hat zugenommen

Effektiv hat Japan seit den Neunzigerjahren wirtschaftlich zwar an Bedeutung verloren, kulturell aber an «Soft Power» gewonnen, wie Japan-Experte David Chiavacci erklärt. «Früher waren es primär Anhänger von Karate oder Zen-Buddhismus, die nach Japan reisten», so der Japanologie-Professor. Heute hätten sich japanische Comics, Anime und Musik zu einer dominanten Nische entwickelt.

Laut dem Reisespezialisten Asia365 fasziniert die Gäste vor allem «das Fremde im Bekannten»: Sie schätzen die Mischung zwischen Gastfreundlichkeit und «der Fremdartigkeit einiger Bräuche und Verhaltensweisen».

Japan zieht aber auch Nischeninteressen an. Matteo Tittone aus Solothurn reiste etwa für die sogenannten Japanese-Domestic-Market-Autos an. Diese werden für den Inlandsmarkt produziert und oft getunt. Offiziell sind die individualisierten Fahrzeuge in Japan zwar verboten, aber da die Polizei keine Verfolgungsjagd aufnehmen darf, sind sie weit verbreitet. Um solche Autos live zu sehen, kündigte der 24-Jährige Anfang Jahr seine Stelle.

Tittone, der dreieinhalb Wochen vor Ort war, freute sich aber auch an der Gaming- und Anime-Kultur: «Überall gibt es Bezugspunkte zur Kindheit.» Auf jedem Strassenschild finde man etwa Fantasiefiguren, denn jede Stadt hat ein eigenes Maskottchen. Auch westliche Marken wie McDonald's oder Mars versehen ihre Produkte in Japan mit Anime-Charakteren.

Schliesslich sei Japan «nicht so teuer, wie man denkt»: Pro Woche zahlte Tittone rund 800 Franken für Unterkunft, Transport und Essen; das Hotel in Tokio kostete 23 Franken pro Nacht.

Grosse Mehrheit freut sich

Der Tourismus bringt Japan an einigen Orten bereits an seine Grenzen. So wurde kürzlich ein Maschennetz vor dem Gipfel des Fuji-Bergs angebracht, um die Sicht auf das beliebte Fotosujet einzuschränken. Manche Wanderwege kosten neu Geld, anderenorts verteilt die Stadt Bussen an Touristen, die Regeln missachten.

«Die grosse Mehrheit der Japaner freut sich aber über die Gäste», sagt Experte Chiavacci. Der Tourismus werde als Zeichen der Wertschätzung angesehen.

Gerade Schweizer Touristen seien beliebt: «Die Schweiz gilt als fortgeschrittenes Land mit Bewohnern, die sich an Regeln halten», so Chiavacci. Zudem war die Schweiz lange ein Reisemagnet für japanische Touristen. Nun scherzten die Japaner: «Der Spiess hat sich gedreht.»