Knapp elf Monate vor den Kongresswahlen ist US-Präsident Joe Biden mit einem billionenschweren innenpolitischen Kernvorhaben für Klimaschutz und Soziales vorerst gescheitert.
Demokraten reagieren empört
Und schuld daran ist nach Monaten zäher Verhandlungen ausgerechnet ein Parteifreund Bidens, der kauzige und eher konservative Senator Joe Manchin. Republikaner bejubelten die Blockade des 74-Jährigen, die Parteikollegen der Demokraten reagierten empört. Das Weisse Haus warf dem Senator aus dem Bundesstaat West Virginia in einer ungewöhnlich scharfen und ihn persönlichen angehenden Erklärung Wortbruch vor.
Angesichts der hohen Inflationsrate und der Pandemie waren Bidens Umfragewerte zuletzt immer weiter gefallen. Nun steht er vor einem Scherbenhaufen. Biden hatte sein ganzes politisches Gewicht in die Waagschale geworfen, um das Sozial- und Klimapaket durchzusetzen. Damit sollten unter anderem die mitunter immensen Kosten für Kinderbetreuung reduziert, Familien steuerlich entlastet und Gesundheitsleistungen ausgebaut werden. Mehr als 500 Milliarden Dollar sind zudem für den Kampf gegen die Klimakrise eingeplant.
Biden hat sich – im Gegensatz zu seinem Vorgänger Donald Trump – die Bekämpfung des Klimawandels auf die Fahne geschrieben. Die in dem Paket vorgesehenen Massnahmen, darunter massive Investitionen in saubere Energien, Fördermittel für Elektroautos und energetische Sanierungen, sollten den Ausstoss der Treibhausgase stark reduzieren und den USA helfen, die Ziele des Pariser Abkommens von 2015 zu erfüllen. Auch dieses politische Ziel Bidens scheint nun in der Schwebe.
Der Top-Demokrat im Senat, Chuck Schumer, kündigte am Montag an, dass Paket im Januar trotz allem zur Abstimmung einzubringen. «Wir werden darüber abstimmen, bis wir etwas schaffen», erklärte er. Ohne Manchins Zustimmung dürfte das Paket – oder einzeln eingebrachte Teile davon – aber zum Scheitern verurteilt sein.
Vorhaben gehört zu Kernanliegen Bidens
Zusammen mit einem bereits beschlossenen Paket mit Investitionen in die Infrastruktur gehört das Vorhaben zu den Kernanliegen von Bidens Präsidentschaft – sie sollten so etwas wie sein Vermächtnis sein. Dass Biden nun trotz einer – wenn auch knappen – Mehrheit in beiden Kongresskammern nicht in der Lage scheint, dies durchzubekommen, kratzt an seiner Autorität. Vor den Kongresswahlen im November 2022 bräuchten er und seine Partei das Paket als Erfolg. Umfragen zufolge könnten die Demokraten dann ihre Mehrheit in beiden Parlamentskammern verlieren - was der Anfang vom Ende von Bidens Präsidentschaft wäre.
Nach langen Verhandlungen liess Senator Manchin das Vorhaben für den Klimaschutz und Soziales am Sonntag platzen. Er sagte dem Sender Fox News, er habe seit jeher Vorbehalte und könne nicht für das Vorhaben stimmen. «Ich kann es einfach nicht. Ich habe alles Menschenmögliche versucht.» Auf Nachfrage, ob sein Nein definitiv sei, antwortete der Senator: «Dies ist ein Nein zu dieser Gesetzgebung. Ich habe alles versucht, was ich kann.» Es gebe dringlichere Probleme wie Corona, die hohe Inflationsrate und die steigenden Staatsschulden.
Der 74 Jahre alte Demokrat ist so konservativ, dass er oft wie ein Republikaner wirkt. Im Senat sind die Machtverhältnisse seit einem Jahr so knapp, dass Bidens 50 Demokraten geschlossen abstimmen müssen, um ein Vorhaben durchsetzen zu können. Seither macht Manchin seinen Parteifreunden immer wieder einen Strich durch die Rechnung. Viele demokratische Kritiker sehen Manchin – in dessen Bundesstaat West Virginia nur etwa 0,5 Prozent der US-Bevölkerung lebt – inzwischen als Querulanten, der Bidens Präsidentschaft torpediert. Seine Rolle als Zünglein an der Waage macht den Senator derzeit jedenfalls zu einem der mächtigsten Politiker in Washington.
Besonders pikant ist dabei Manchins ablehnende Haltung zu Klimaschutzmassnahmen wie der Reduzierung fossiler Brennstoffe im Energiemix der USA. Manchin gilt als Befürworter des Kohlebergbaus, denn sein Staat West Virginia ist der zweitgrösste Produzent der USA. Für Manchin ist es zudem ein handfester Interessenkonflikt, denn es geht für ihn dabei womöglich auch ums Geld: Er verdiente im vergangenen Jahr mehr durch Dividenden aus einer Beteiligung an einem Kohleunternehmen als durch sein Gehalt als US-Senator. Vor diesem Hintergrund warf die linke demokratische Abgeordnete Ilhan Omar dem Parteikollegen Manchin am Sonntag vor, dessen Haltung zeige "«die Korruption und das Eigeninteresse eines Kohlebarons».
Biden mit viel Überzeugungsarbeit
Biden hatte in mehreren persönlichen Verhandlungsrunden mit Manchin versucht, ihn von dem Paket zu überzeugen. Dafür strich er den Umfang auch von ursprünglich erhofften rund 3,5 Billionen auf 1,75 Billionen Dollar um die Hälfte zusammen. Doch Manchin blieb skeptisch.
Die Sprecherin des Weissen Hauses, Jen Psaki, reagierte am Sonntag empört auf Manchins Nein: Dieser habe versprochen, nach einem Kompromiss zu suchen. Das Weisse Haus werde weiter auf ihn einwirken, um zu sehen, «ob er seine Position noch einmal ändert, um seine früheren Zusagen einzuhalten und zu seinem Wort zu stehen». Das Paket sei zu wichtig. Man werde «einen Weg finden, nächstes Jahr weiterzumachen». Wie, blieb offen.
Manchins Ankündigung verschärft nun interne Flügelkämpfe und eine Vertrauenskrise innerhalb der Demokratischen Partei. Linke Demokraten hatten das Infrastrukturpaket nur unter der Prämisse mitgetragen, dass gemässigte Demokraten auch dem Sozial- und Klimaschutzpaket zustimmen. Nun sind sie wütend.
Die lachenden Dritten dürften die Republikaner sein: Wenn sich die Demokraten selbst zerfleischen, müssen sie sich vor der Wahl des Repräsentantenhauses und einem Teil des Senats im November weniger anstrengen. Auch Ex-Präsident Donald Trump, der weiter mit einer erneuten Kandidatur 2024 liebäugelt, dürfte sich freuen.
SDA/sas