Erhöht die Europäische Zentralbank (EZB) die Leitzinsen zum zehnten Mal in Folge - oder legen die Währungshüter des Euroraums wegen der schwächelnden Konjunktur eine Pause ein? Selten wurde vor einer Sitzung des EZB-Rates so sehr über den weiteren Kurs gerätselt wie dieses Mal. Wie sich die Notenbanker entschieden haben, wird an diesem Donnerstagnachmittag (14.15 Uhr) in Frankfurt verkündet.
«Angesichts von immer noch über fünf Prozent Inflation im Euroraum und sogar über sechs Prozent in Deutschland dürfte die EZB noch einmal ihre Leitzinsen um 25 Basispunkte anheben», meint der Chefstratege der Privatbank Merck Finck, Robert Greil. Sollte die EZB an diesem Donnerstag jedoch keine Zinsanhebung mehr beschliessen, dürfte nach Greils Einschätzung «in diesem Zinszyklus auch keine weitere mehr kommen» - denn die Teuerung wird nach Einschätzung von Volkswirten von September an spürbar geringer ausfallen.
Neun Erhöhungen in Folge
Die beispiellose Serie von Zinserhöhungen seit Juli 2022 ist eine Antwort der EZB auf die zeitweise extrem hohe Inflation. Neun Mal in Folge hob die Zentralbank seither die Leitzinsen im Euroraum an. Der Zins, zu dem sich Geschäftsbanken frisches EZB-Geld besorgen können, beträgt mittlerweile 4,25 Prozent und ist damit so hoch wie zuletzt zu Beginn der weltweiten Finanzkrise Anfang Oktober 2008. Parken Banken Geld bei der EZB, erhalten sie derzeit 3,75 Prozent Zinsen.
Die höheren Zinsen sind für Sparerinnen und Sparer gut: Festgeld und Tagesgeld lohnen sich wieder - auch wenn einer aktuellen Übersicht des Vergleichsportals Verivox zufolge immer noch ein Drittel von etwa ausgewerteten 800 Banken und Sparkassen in Deutschland keine Zinsen zahlen oder allenfalls Niedrigzinsen in Höhe von maximal einem Viertelprozent (Stand: 8.9.2023).
Teurere Kredite
Höhere Leitzinsen verteuern tendenziell aber auch Kredite. Das kann die Nachfrage bremsen und hohen Teuerungsraten entgegenwirken. Weil teurere Kredite zugleich eine Last für die Wirtschaft sind, waren zuletzt Forderungen nach einer Zinspause lauter geworden. Die EZB sollte, «so begrüssenswert ihr Kampf gegen die Inflation auch ist, die Konjunktursorgen vorerst nicht verstärken», mahnten jüngst die Volkswirte der Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba).
Commerzbank-Analyst Marco Wagner rechnet mit keiner weiteren Zinserhöhung der EZB. Die Wirtschaftsaussichten hätten sich zuletzt deutlich verschlechtert, die Industrieproduktion sei «bereits im März regelrecht abgestürzt und hat sich seitdem nicht massgeblich erholt», begründete Wagner.
Hartnäckige Inflation
Die EU-Kommission hat gerade erst ihre Konjunkturprognosen für die Europäische Union nach unten geschraubt. Die Behörde rechnet für die EU und für die Eurozone im laufenden Jahr nur noch mit 0,8 Prozent Wirtschaftswachstum. Die EZB legt an diesem Donnerstag ihre aktuellen Prognosen vor.
Von ihrem Ziel stabiler Preise bei einer mittelfristigen Teuerungsrate von zwei Prozent im Euroraum ist die EZB nach wie vor weit entfernt. Im August schwächte sich der Anstieg der Verbraucherpreise im Währungsraum der 20 Länder nicht weiter ab. Die jährliche Inflationsrate verharrte einer erste Schätzung des Statistikamtes Eurostat zufolge bei 5,3 Prozent.
Die jüngsten Daten zeigten, «wie hartnäckig das Biest Inflation» sei, sagte der deutsche Bundesbank-Präsident Joachim Nagel kürzlich dem «Handelsblatt». «Wir sind zwar ein gutes Stück bei der Inflationsbekämpfung vorangekommen. Unseren Zielwert für die Inflation haben wir aber längst noch nicht erreicht.»