Vor dem EU-Gipfel in Prag hat der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki die deutsche Energiepolitik scharf kritisiert. «Es ist klar, dass es nicht sein darf, dass die Energiepolitik der Europäischen Union unter dem Diktat Deutschlands umgesetzt wird», sagte Morawiecki am Donnerstag. Deutschland habe schon in der Corona- und in der Finanzkrise "andere belehrt und sich sehr arrogant" verhalten. «Heute will derselbe Staat, indem er die gewaltige Kraft seiner Wirtschaft und seines Kapitals nutzt, enorme Mittel bereitstellen, nämlich 200 Milliarden Euro, um allein seiner Industrie zu helfen.»
Auch andere Regierungschefs kritisierten den deutschen Plan, mit 200 Milliarden Euro bis 2024 die hohen Energiepreise abzufedern. Am Freitag beraten die 27 Staats- und Regierungschefs über ein gemeinsames Vorgehen in der Energiekrise.
Nicht alle Länder haben die Mittel Deutschlands
Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verteidigte den Abwehrplan seiner Regierung gegen hohe Strom- und Gaspreise am Donnerstag. Er betonte, dass Deutschland damit nicht alleine dastehe. «Viele andere machen etwas Ähnliches jetzt und in den nächsten Jahren.»
Scholz hat die geplanten Massnahmen als «Doppelwumms» bezeichnet. Viele EU-Länder kritisieren, dass nicht alle Staaten die finanziellen Mittel hätten, um ein solches Vorgehen zu finanzieren und daher der Binnenmarkt verzerrt werden könnte. «Es darf nicht sein, dass es der polnischen Industrie schlechter geht als der Industrie in Deutschland, Österreich oder anderen Ländern der Europäischen Union», betonte Morawiecki.
Angst vor Verzerrung des EU-Binnenmarkts
Der lettische Premierminister Krisjanis Karins sagte, der Unterschied der deutschen Massnahmen zu denen anderer Länder liege in der Grössenordnung des deutschen Pakets. «Die deutsche Wirtschaft ist so gross, dass die Unterstützung, die die deutsche Regierung ihren Unternehmen gibt, den EU-Binnenmarkt verzerren könnte.»
Der portugiesische Premierminister Antonia Costa bemerkte ebenfalls, dass jedes Land je nach Finanzmöglichkeiten Pakete verabschiedet habe. «Das zeigt, dass es fundamental ist, dass wir zusätzlich zu den eigenen Kapazitäten der einzelnen Länder einen europäischen Mechanismus als gemeinsame Antwort der EU haben.» Die Aufnahme gemeinsamer Schulden in der Corona-Pandemie habe sich schon einmal als gute Lösung bewiesen, sagte Costa.
Österreich und Holland schlagen sich auf Deutschlands Seite
Auch der französische Präsident Emmanuel Macron forderte zusätzliche europäische Lösungen. «Wir haben heute zunächst eine europäische Strategie, die es zu stärken gilt», sagte Macron. Er stellte sich hinter die Vorschläge der EU-Kommission, um den Preis von Gas in der EU zu deckeln.
Der niederländische Premierminister Mark Rutte stellte sich hingegen hinter die Bundesregierung. Es sei «völlig legitim», was Deutschland mache. Es habe die Souveränität, solche Entscheidungen zu treffen. Österreichs Kanzler Karl Nehammer äusserte Verständnis für das deutsche Vorgehen: «Wenn es die Europäische Kommission nicht macht, wenn es die Europäische Union nicht tut, dann müssen wir es machen», sagte der konservative Politiker. Dabei machte er deutlich, dass ihm ein gemeinsames Handeln auf EU-Ebene jedoch lieber wäre.
(awp/gku)