Um zu beurteilen wie "grün" eine Chemikalie ist, beruft sich die heute übliche Praxis auf den CO2-Fussabdruck - also die Verrechnung der Treibhausgasemissionen, die vom Rohstoff über die Produktion bis hin zur Entsorgung verursacht werden. Aber: Dieser Wert gibt nur begrenzt wieder, inwieweit die chemischen Produkte tatsächlich das Ökosystem Erde belasten. Zu diesem Schluss kommen Forscher der ETH Zürich in einer im Fachmagazin "Green Chemistry" veröffentlichten Studie.
"Der Klimawandel ist nicht das einzige Problem", sagte denn auch Javier Pérez-Ramírez, ETH-Professor für Katalyse-Engineering, gemäss einer Mitteilung seiner Hochschule. "Wenn wir uns nur auf Lösungen konzentrieren, die den CO2-Ausstoss senken, verlagern wir die Probleme womöglich in einen anderen Bereich und verschlimmbessern die Umweltsituation sogar."
492 Produkte neu bewertet
Gemeinsam mit seinen Kollegen hat Pérez-Ramírez deshalb die Umweltverträglichkeitsprüfung erweitert: Sie erstellten eine umfassende Ökobilanz für 492 Chemikalien durch die Brille von sieben planetarischen Grenzen, die niemals überschritten werden sollten. Dazu gehören neben Werten für den Klimawandel unter anderem der Abbau der Ozonschicht, die Versauerung der Ozeane oder die atmosphärische Aerosolbelastung.
In ihrer Studie kommen die Forscher zum Schluss: Die überwältigende Mehrheit der Produkte, nämlich 99,4 Prozent, sprengen mindestens eine der planetaren Grenzen. In einigen Fällen sogar um mehr als das 200-fache. Nur drei Chemikalien dürften als vollkommen "grün" bezeichnet werden.
Wegkommen von Fossilen nötig
Aus den Resultaten schliessen die Forscher, das der Kohlenstoff-Fussabdruck nicht die einzige Kennzahl sein sollte, um den Grad an Umweltschädlichkeit eines Produkts zu bewerten. Dies, obwohl fossile Chemikalien die planetaren Belastungsgrenzen Klimawandel, Ozeanversauerung und Unversehrtheit der Biosphäre am deutlichsten überschreiten.
Noch werde das Kohlenstoff-Grundgerüst, aus dem die meisten Chemikalien bestehen, zu über 85 Prozent aus fossilen Rohstoffen gewonnen, schrieb die ETH. Die Studie quantifizierte nun erstmals auf globaler Ebene, wie wichtig es sei, dass die chemische Industrie von den Fossilen wegkomme.
Die Forscher betonen zudem, dass die Bewertungen zur Nachhaltigkeit idealerweise auch die wirtschaftliche und soziale Dimension abdecken sollten. Dazu müssten die planetaren Grenze um zusätzliche Variablen ergänzt werden und bestenfalls im Einklang mit den Uno-Zielen für eine nachhaltige Entwicklung (SDG) stehen.
https://doi.org/10.1039/D1GC02623B