Die 100 grössten Rüstungskonzerne der Erde haben im Jahr vor dem Ukraine-Krieg schwere Waffen und Militärdienstleistungen im Wert von fast 600 Milliarden Dollar verkauft. Trotz pandemiebedingter Störungen der Lieferketten mit Verzögerungen und Engpässen stiegen die weltweiten Rüstungsverkäufe im Jahr 2021 um währungsbereinigte 1,9 Prozent auf 592 Milliarden Dollar (rund 570 Mrd. Euro), wie das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri in einem am Montag veröffentlichten Bericht mitteilte. Die erneute Zunahme war damit höher als im Vorjahr, lag allerdings unter dem durchschnittlichen Anstieg der vier Vor-Corona-Jahre.
«Wir hätten für 2021 ohne die anhaltenden Lieferkettenprobleme ein noch grösseres Wachstum der Waffenverkäufe erwartet», bilanzierte die Sipri-Expertin Lucie Béraud-Sudreau. Grössere wie kleinere Unternehmen hätten von Beeinträchtigungen während des Jahres berichtet, manche wie der Flugzeugbauer Airbus auch von Arbeitskräftemangel.
US-Konzerne verkauften etwas weniger
Die weltweiten Rüstungsverkäufe nehmen dem Bericht zufolge seit mindestens 2015 kontinuierlich zu - das ist das Jahr, in dem Sipri erstmals Konzerne aus China in seine jährlich veröffentlichte Auflistung aufnehmen konnte. Zwischen 2015 und 2021 sind die Verkaufszahlen der 100 grössten Rüstungskonzerne währungsbereinigt um insgesamt 19 Prozent angestiegen, der Wert für 2021 ist dabei der höchste, den die Friedensforscher seit dem Aufbau der Datenbank vor rund 20 Jahren verzeichnet haben. Sipri rechnet dabei jeglichen Verkauf von schweren Waffen und militärischen Dienstleistungen an militärische Abnehmer im In- und Ausland ein.
Nach einem Zuwachs um 1,1 Prozent im ersten Corona-Jahr 2020 nahmen die Verkaufszahlen wieder etwas stärker zu. Gegen den Trend erlebten die US-Konzerne einen leichten Rückgang um 0,9 Prozent auf 299 Milliarden Dollar, den Sipri auf die hohe Inflation in den Vereinigten Staaten im abgelaufenen Jahr zurückführte. Die 40 gelisteten US-Unternehmen - darunter die Top fünf - kommen nun insgesamt auf einen Anteil von 51 Prozent aller Verkäufe unter den 100 führenden Konzernen. Auf Platz zwei folgt China mit einem kräftig auf 18 Prozent angestiegenen Anteil, mit weitem Abstand dahinter dann Grossbritannien (6,8 Prozent) und Frankreich (4,9 Prozent). Deutschland kommt auf einen Anteil von 1,6 Prozent.
Russische Hersteller kommen kaum an Halbleiter
Mit einem minimalen Zuwachs um 0,4 Prozent lag Russland vor seinem Einmarsch in die Ukraine bei einem Anteil von 3,0 Prozent. Während Berichte darauf hindeuteten, dass russische Rüstungskonzerne die Waffenproduktion aufgrund des Ukraine-Krieges hochfahren, hätten sie Schwierigkeiten dabei gehabt, an Halbleiter zu kommen, schrieb Sipri. Sie seien ausserdem von kriegsbedingten Sanktionen betroffen.
Wie sich der Ukraine-Krieg genau auf die globalen Zahlen auswirken wird, dürfte sich erst im nächsten Jahr zeigen. Doch bereits jetzt schrieben die Friedensforscher: «Russlands Invasion in die Ukraine im Februar 2022 hat die Lieferkettenherausforderungen für Rüstungsunternehmen erhöht, nicht zuletzt, weil Russland ein Grosslieferant von Rohmaterial für die Waffenproduktion ist.» Dazu zählen dem Bericht zufolge etwa Aluminium, Kupfer, Stahl und Titan.
Dies könne letztlich auch die Bemühungen in den USA und in Europa zur Stärkung des Militärs sowie der Auffüllung der Lagerbestände erschweren, nachdem man dort Munition und andere Ausrüstung im Milliardenwert in die Ukraine geschickt habe. «Wenn die Unterbrechungen der Lieferketten anhalten, könnte es für einige der grössten Waffenproduzenten mehrere Jahre dauern, die durch den Ukraine-Krieg geschaffene neue Nachfrage abzudecken», erklärte Sipri-Forscher Diego Lopes da Silva.
Greenpeace: Geld fehlt an anderen Orten
In Europa sieht Sipri zwei Trends: Während die Umsätze bei der militärischen Luftfahrt sanken, stiegen sie beim Schiffsbau. Die europäischen Rüstungsverkäufe nahmen so um 4,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr auf 123 Milliarden Dollar zu, die der vier gelisteten deutschen Konzerne Rheinmetall, ThyssenKrupp, Hensoldt und Diehl insgesamt um 5,6 Prozent auf 9,3 Milliarden Dollar. Airbus, nach einem Rückgang der Rüstungsverkäufe um 15 Prozent die Nummer 15 des Rankings, wird von Sipri als transeuropäischer Konzern betrachtet.
Bei Greenpeace geht man davon aus, dass der Absatz von Rüstungsgütern im Zuge des Ukraine-Kriegs förmlich explodieren wird. Dieses Geld werde Ländern dann etwa bei Sozialem, Klimaschutz und Bildung fehlen, warnte der Greenpeace-Sicherheitsexperte Alexander Lurz. Insbesondere von Deutschland brauche es Initiativen für internationale Rüstungsbegrenzungen. «Die Rüstungskonzerne verdienen prächtig daran, dass Staaten mehr und mehr auf militärische Stärke setzen», erklärte Lurz. «Dabei steigt das Risiko von weiteren Konflikten und Kriegen, denn die Aufrüstung des einen ist die Bedrohung des anderen.»
(sda/gku)