Nach einem militärischen Zwischenfall zwischen den USA und Russland über dem Schwarzen Meer warnt die US-Regierung Moskau vor einer Eskalation. Der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates der USA, John Kirby, wies die Darstellung aus Moskau zu dem Vorfall zurück und sagte, die US-Regierung erwäge, Bildmaterial von dem Aufeinandertreffen einer US-Drohne mit zwei russischen Kampfjets zu veröffentlichen, um für Aufklärung zu sorgen.
Kirby mahnte, ein derart unangemessenes Vorgehen russischer Piloten könnte zu «Fehleinschätzungen» zwischen den Streitkräften beider Länder führen. Mit Blick auf Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine sagte er: «Wir wollen nicht, dass dieser Krieg über das hinaus eskaliert, was er dem ukrainischen Volk bereits angetan hat.»
Aussage gegen Aussage
Nach Angaben des US-Militärs war eine unbemannte amerikanische Militärdrohne am Dienstag in internationalem Luftraum über dem Schwarzen Meer mit einem russischen Kampfjet zusammengestossen. US-Kräfte hätten die Drohne nach der Kollision zum Absturz bringen müssen, erklärte das US-Verteidigungsministerium.
Die Amerikaner gaben Russland die Schuld für den Zusammenstoss und beklagten ein «unsicheres und unprofessionelles» Handeln der russischen Seite. Das US-Aussenministerium bestellte wegen des Vorfalles den russischen Botschafter ein. Moskau wies die Vorwürfe zurück und erklärte, die Drohne sei nach einem scharfen Ausweichmanöver abgestürzt.
Kirby sagte dazu am Dienstagabend (Ortszeit) dem Sender CNN: «Wir weisen das Dementi der Russen selbstverständlich zurück.» Er mahnte, nach einem Jahr des russischen Krieges gegen die Ukraine sollte jeder alles, was die Russen über Aktivitäten in und um die Ukraine sagten, mit grösster Vorsicht geniessen. Das Schwarze Meer grenzt sowohl an Russland als auch an die Ukraine. Auf die Frage, ob die USA Beweise für ihre Darstellung vorlegen könnten, sagte Kirby: "Wir schauen uns einige Bilder an, um zu sehen, ob sie geeignet sind, veröffentlicht zu werden. Aber wir haben noch keine Entscheidung dazu getroffen.
Was die Amerikaner genau sagen
Vom US-Militär hiess es zum Ablauf des Vorfalls, zwei russische Kampfjets hätten ein Abfangmanöver mit der amerikanischen Drohne vom Typ MQ-9 betrieben, die im internationalen Luftraum über dem Schwarzen Meer geflogen sei. Einer der Kampfjets habe dabei den Propeller der US-Drohne getroffen und sei im Grunde in die Drohne reingeflogen. Diese sei danach nicht mehr manövrierfähig gewesen, US-Kräfte hätten sie deshalb vom Himmel holen und ins Meer stürzen lassen müssen. Durch den Crash habe man die Drohne komplett verloren.
Zu einer möglichen Bergung des Fluggeräts äusserte sich das Pentagon zunächst nicht. Kirby sagte lediglich, die USA hätten Vorkehrungen getroffen, damit die Drohne nicht in fremde Hände gerate.
Pentagon-Sprecher Pat Ryder erklärte, der Vorfall habe vermutlich auch an dem russischen Kampfjet einen Schaden verursacht. Die beiden russischen Jets hätten sich etwa 30 bis 40 Minuten in der Nähe der US-Drohne aufgehalten, bevor es zur Kollision gekommen sei.
Das US-Militär gab an, vor dem Zusammenstoss hätten die russischen Flieger Treibstoff über der US-Drohne abgelassen und seien mehrfach vor dieser hergeflogen - in rücksichtsloser, umweltschädlicher und unprofessioneller Weise. Dies zeuge von einem «Mangel an Kompetenz».
Wie die Russen den Vorfall darstellen
Russlands Verteidigungsministerium wies jede Verantwortung für den Absturz von sich. Die Drohne sei weder beschossen noch auf andere Weise angegriffen worden, hiess es in einer von der Staatsagentur Tass verbreiteten Mitteilung. Jets der Luftwaffe seien aufgestiegen, um einen unbekannten Eindringling über dem Schwarzen Meer zu identifizieren.
Bei einem scharfen Ausweichmanöver habe die Drohne rapide an Höhe verloren und sei abgestürzt, lautete die Darstellung aus Moskau. «Die russischen Kampfflugzeuge haben keine Bordwaffen eingesetzt, sind nicht in Kontakt mit dem unbemannten Flugapparat geraten und kehrten sicher zu ihrem Heimatflughafen zurück.»
Aufklärungsdaten für die Ukraine?
Moskaus Botschafter in Washington warf den USA vor, mit ihren Drohnen Aufklärungsdaten für die Ukraine zu sammeln. «Was machen sie Tausende Meilen entfernt von den Vereinigten Staaten? Die Antwort ist offensichtlich - sie sammeln Geheimdienstinformationen, die später vom Kiewer Regime genutzt werden, um unsere Streitkräfte und unser Territorium anzugreifen», teilte der russische Botschafter Anatoli Antonow in Washington mit, wie die russische Staatsagentur Tass am Mittwoch (Ortszeit) berichtete.
Russland gehe davon aus, dass die USA von weiteren Spekulationen in den Medien absähen «und ihre Einsätze in der Nähe der russischen Grenzen einstellen». Die «inakzeptablen Aktionen des US-Militärs in unmittelbarer Nähe zu unseren Grenzen» gäben Anlass zur Sorge. «Wir wissen sehr wohl, für welche Aufgaben solche Aufklärungs- und Kampfdrohnen eingesetzt werden.»
Von Drohnen und Abfangmanövern
Die MQ-9-Drohne wird in erster Linie zur Aufklärung genutzt, kann aber auch Präzisionsangriffe durchführen. Sie wird aus der Ferne gesteuert. Das Pentagon wollte keine genaueren Angaben dazu machen, was genau die Mission der Drohne in diesem Fall gewesen sei und ob sie bewaffnet war oder nicht.
Abfangmanöver haben nicht unbedingt zum Ziel, ein Flugzeug abzudrängen oder zur Landung zu zwingen, sondern dienen oft dazu, um etwa durch Sichtkontakt festzustellen, ob von einem verdächtigen Fluggerät eine Gefahr ausgeht. Kirby betonte, solche Abfangmanöver seien nicht ungewöhnlich. Dieser Fall steche allerdings heraus durch das unsichere und unprofessionelle Vorgehen der russischen Seite.
Das US-Militär kritisierte, der Vorfall reihe sich ein in eine Serie gefährlicher Aktionen von russischen Piloten gegenüber Flugzeugen der USA und der Alliierten im internationalen Luftraum, auch über dem Schwarzen Meer. Diese «aggressiven Handlungen» der Russen seien gefährlich und könnten zu «unbeabsichtigten Eskalationen» führen.
Angesichts des Ukraine-Krieges ist die Lage besonders angespannt und die Angst vor einer möglichen direkten militärischen Konfrontation zwischen den USA und Russland gross.
(awp/gku)