Neben dem deutschen Chemnitz trägt im Jahr 2025 das Städtepaar Nova Gorica (Slowenien) und Gorizia (Italien) den Titel einer Europäischen Kulturhauptstadt. Unter dem Motto «Go! Borderless» ist es das erste Mal, dass sich ein urbaner Siedlungsraum, der sich über zwei verschiedene Länder erstreckt, als Kulturhauptstadt Europas präsentiert.

Rund 400 Veranstaltungen zu den Themen Krieg und Frieden, Wiederaufbau, Ökonomie des Schmuggels und grüne Nachhaltigkeit sind nach der feierlichen Eröffnung am 8. Februar geplant. Was sollte man wissen über das slowenisch-italienische Projekt, das Grenzenlosigkeit verspricht?

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Grenze zwischen EU-Staaten - Gibt's das noch?

Italien ist Gründungsmitglied der EU. Slowenien - es gehörte früher zu Jugoslawien - trat 2004 der EU bei. Mit dem Schengen-Beitritt Sloweniens 2007 wurde das Land Teil jener Zone in der EU, innerhalb derer es keine Kontrollen an den Binnengrenzen gibt. Damit verschwanden auch zwischen Nova Gorica und Gorizia die sichtbaren Merkmale einer kontrollierten Staatsgrenze. Seit den grossen Flüchtlingsbewegungen 2015 behält es sich Italien allerdings vor, am Strassengrenzübergang zwischen den beiden Städten Kontrollen vorzunehmen.

Am Anfang war Görz - Eine österreichische Grafschaft

Die Grafschaft Görz gehörte ab dem 16. Jahrhundert zum Habsburgerreich. Nach dem Ersten Weltkrieg (1914-1918) wurde das Gebiet Italien zuerkannt. Aus dem Barockstädtchen Görz wurde das italienische Gorizia, das nun zur Region Julisch Venetien (Venezia Giulia) mit der Hauptstadt Triest gehörte. Rund 60 Prozent der Bevölkerung der Görzer Region waren Slowenen, die vor allem auf dem Land und in den Dörfern lebten.

In der Stadt Gorizia herrschte das italienische Element vor, dem mit einer Kampagne der «Italianisierung» zur ausschliesslichen Dominanz verholfen wurde. Die Slowenen in Julisch Venetien blickten wehmütig auf das nach dem Weltkrieg neu entstandene Jugoslawien, das am Anfang sogar Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen hiess.

Wie Nova Gorica als sozialistische Utopie entstand

Nach dem Zweiten Weltkrieg (1939-1945) kam es zu einer neuen Grenzziehung in der Region. Das nunmehr kommunistische Jugoslawien erhielt grosse Teile des Umlands von Gorizia zugesprochen, die Stadt selbst blieb, entgegen jugoslawischen Forderungen, bei Italien.

Die kommunistische Regierung Jugoslawiens entschied 1947, eine eigene Stadt aus dem Boden zu stampfen. Nova Gorica (Neu-Görz) - so ihr Name - sollte als Schaufenster gegenüber dem Westen fungieren, mit dem man ideologisch verfeindet war. Chef-Architekt Edvard Ravnikar, ein Schüler Le Corbusiers, schuf eine im damaligen Sinn moderne Stadt. Die Wohnblöcke gerieten dabei nicht überdimensioniert, etliche eingestreute Grünflächen lockern sie auf.

System-Grenze schnitt durch Bahnhofsvorplatz

Die Grenze zwischen dem westlich-kapitalistischen Italien und dem kommunistischen Jugoslawien verlief ab 1947 mitten durch den Platz vor dem Bahnhof, der zu Jugoslawien gehörte. Bilder aus der Zeit zeigen einen Drahtzaun, der die Grenze markierte. Jugoslawiens Präsident Josip Broz Tito brach jedoch 1948 mit dem sowjetischen Diktator Stalin und leitete eine Entspannung mit dem Westen ein. Die Grenze zwischen Gorizia und Nova Gorica wurde immer durchlässiger.

Den Beitritt zur EU feierte Slowenien mit dem damaligen EU-Kommissionschef Romano Prodi auf dem Platz vor dem Bahnhof von Nova Gorica. Doch die Grenze prägt Menschen und Stadtbild bis heute. «In Gorizia ist man mit einem Schlag in Italien», meint der slowenische Journalist Ervin Hladnik, der selbst aus Nova Gorica stammt. «Gebäude, Geschäfte, alles sieht anders aus. Selbst die Katzen sind anders. Nova Gorica ist geprägt durch Sachlichkeit, Funktionalismus, es war der letzte Aussenposten gegenüber dem Westen.»

Was das Städtepaar den Europäern zeigen will

Mit dem Motto «Borderless» steht die Grenze mit ihren Wandlungen im Mittelpunkt. «Hier war nie eine Berliner Mauer», sagt Programmdirektor Stojan Pelko der Deutschen Presse-Agentur. «Die Menschen hatten eine komplexe Beziehung zur Grenze. Wir wollen diese Komplexität zeigen.» Im sozialistischen Jugoslawien war es auch eine Schmuggel-Grenze: Die Bürger importierten in den Kofferräumen ihrer Autos Konsumgüter aus Italien, die im eigenen Land nicht erhältlich waren. Italiener kamen wiederum gerne nach Nova Gorica, wo man gut und preiswert in Restaurants ass und sich in Spielkasinos vergnügte.

Belastete Vergangenheit

Das Tal des Isonzo (slowenisch: Soca) war einer der brutalsten Schauplätze des Ersten Weltkriegs. In den insgesamt zwölf Isonzoschlachten bekämpften einander zum Teil auf eingeschneiten Bergeshöhen die Armeen Österreich-Ungarns und Italiens. Danach beklagten die Slowenen Verfolgung und Repression durch die forcierte «Italianisierung» in Gorizia, die Italiener, die in Jugoslawien verblieben, Verfolgung und Repression durch die kommunistischen Behörden.

Die Kriege und die belastete Vergangenheit bilden im Kulturhauptstadtjahr einen wichtigen Schwerpunkt. In einem ehemaligen Lagerhaus des Bahnhofs entsteht die neue Europäische Plattform für die Interpretation des 20. Jahrhunderts (Epic). «Es ist ein gemeinsamer Vorschlag dafür, wie man offen bleibt für die Interpretation des Anderen», sagt Kaja Sirok, die designierte Leiterin von Epic, der dpa.

Was Besucher erwartet

Die Eröffnung am 8. Februar 2025 beginnt mit einem bunten Umzug vom Bahnhof in Gorizia zu dem in Nova Gorica. Sie setzt sich mit einem künstlerischen Programm vor dem Bürgermeisteramt in Nova Gorica fort. Zum Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs ist ein «Friedensmarsch» im Isonzotal geplant. Ein weiteres Highlight ist das Konzert von Sting am 9. Juli in der Villa Manin im italienischen Passariano.

Chancen und Perspektiven

«Die grenzübergreifende Europäische Kulturhauptstadt ist nicht einfach eine Event-Reihe», meint Marco Marinuzzi, der Projekt-Manager der italienischen Kulturhauptstadt-Programme. «Sie ist einzigartig. Sie könnte für die Zukunft zu einem Modell werden, das sich an anderen, schwierigen Grenzen – in Europa und auch weltweit – anwenden liesse.»

Der slowenische Programm-Macher Pelko, ein Filmästhet und Schüler des Philosophen Slavoj Zizek, betont den transformativen Charakter des Kulturhauptstadt-Projekts. Er verweist auf den Umbau des Bahnhofs: «Überflüssige Gleise werden entfernt. An ihrer Stelle entsteht ein Campus für die Universität von Nova Gorica. Lagerhallen werden zu Gemeinschafts- und Ausstellungsräumen. Infrastruktur des industriellen Zeitalters, die nicht mehr gebraucht wird, macht Platz für eine Infrastruktur für das digitale Zeitalter.» Europäische Kulturhauptstadt: das sei «immer auch die Wiederaneignung von leeren Räumen, das Befüllen leerer Räume mit neuen Inhalten»