Kürzlich hatte Alexander Ospelt ein delikates Problem. Er wollte seinen neuen Salamisnack – pralinengrosse Stücke, verpackt in einen wieder verschliessbaren Plastikbecher – Liechtensteinerli taufen. Aber durfte er das? Er bat um Audienz beim Erbprinzen Alois von Liechtenstein, erhielt einen Termin, machte sich auf ins Schloss Vaduz und präsentierte Durchlaucht die Idee. Der Regent war einverstanden. Schon zum zweiten Mal. Auch den Fürstenschinken hat Ospelt als solchen erst vom Schlossherrn absegnen lassen, bevor er ihn an den Handel auslieferte.
Ospelt tut das selbstverständlich, nennt es «eine Frage des Respekts».
Und der ist gegenseitig: Die Unternehmerfamilie Ospelt selbst gehört im Ländle zur Haute Volée, und ihr Unternehmen spielt fürs Fürstentum eine wichtige Rolle: Ospelt ist einer der grössten unabhängigen Fleischverarbeiter auf dem Schweizer Markt und der drittgrösste Arbeitgeber Liechtensteins.
Mit Malbuner besitzt Ospelt eine der bekanntesten Marken der Schweiz, und sie ist für ihn persönlich der Star in seinem Portefeuille. Im Geschäft als Ganzes spielt sie aber nur eine Nebenrolle: Die Ospelt Gruppe ist den Fleisch- und Wurstwaren nämlich längst entwachsen. Malbuner ist mit einem Beitrag zum Umsatz von gerade mal 20 Prozent nicht viel mehr als die Spitze eines Eisbergs. Den grossen Rest des Jahresumsatzes, den Alexander Ospelt mit 600 bis 700 Millionen Franken beziffert, erntet er in anderen, vollkommen unprominenten Geschäftsfeldern.
Schöne Aussicht
Heute hat er eingeladen, um erstmals vertieft Einblicke zu geben in Zahlen, Fakten und Konstrukt des Familienbetriebs – einst eine Metzgerei, heute eine international aufgestellte Gruppe mit fünf Produktionsstandorten in Liechtenstein, Deutschland und der Schweiz.
Alexander Ospelt, CEO und Präsident, ist den Umgang mit Medien nicht gewohnt und wirkt angespannt, als er – dunkler Anzug, weisses Hemd, edle Schuhe – mit einem lauten «Willkommen» und ausgestreckten Armen in die enge Lobby am Hauptsitz in Bendern tritt. Mit einem «Kommen Sie» steuert er zum Lift, der ganz aus Glas ist, «geniessen Sie die Aussicht». Die hat an diesem Morgen Postkartenqualität: schneebedeckte Berge, blauer Himmel, Sonnenschein.
Ospelt führt nicht in sein Büro und nicht in ein Sitzungszimmer, sondern in ein Séparée, «lassen Sie uns zuerst etwas zusammen essen». Im grossen Raum, angrenzend an die Firmenkantine, ist der Tisch gedeckt und steht ein Buffet mit Spezialitäten des Hauses, darunter Rahmbratwürste, Pastete, Landrauchschinken, Speck. Und Minifleischkäse. «Dies ist unser neustes Produkt», sagt Ospelt mit einem Ausrufezeichen in der Stimme.
Die Idee für die Ein-Happen-Fleischkäse, hergerichtet wie kleine Muffins, war seine. Darauf gekommen sei er wegen Backwaren, die seine Frau kürzlich eingekauft habe. «Ich dachte, schöne Verpackung», sprudelt er, «und fragte mich, wie ich das für uns umsetzen könnte.» Mit Schere, Papier und Leim habe er daheim am Küchentisch einen Prototyp gebastelt und seinen Leuten am Montagmorgen gezeigt, «so hole ich sie ab».
Aufgehübscht und neu verpackt, erlebt Malbuner-Fleischkäse gemäss dem Unternehmer nun ein Revival. Für ihn eine Bestätigung für das, woran er glaubt: «Wer nicht wagt, hat schon verloren», sagt Ospelt.
Mit dem Credo sind er und das Unternehmen gross geworden. Gegründet hat es der Vater, Herbert Ospelt, im Ländle als Original bekannt und allen als «Onkel Herbert» ein Begriff. Den Nicknamen hat der Senior sich vor Jahrzehnten selbst gegeben, «weil er findet, ein Onkel ist nie alt», lacht der Junior, nun ganz entspannt.
In dem Moment kommt der 89-Jährige zur Tür herein, schüttelt Hände, «grüss Gott, i bin der Onkel Herbert», kramt dann in seiner Jacketttasche und legt jedem ein Papierschnitzel von der Grösse einer halben Briefmarke in die Hand. «Meine Visitenkarte.» Vorne prangt das Malbuner-Logo, auf der Rückseite steht: «If you provide me with bigger business, I can afford a bigger card.» Sichtlich erfreut über das Gelächter, das er ausgelöst hat, dreht er sich um, winkt zum Abschied, sagt: «Alex macht das toll», und überlässt die Bühne wieder seinem Filius.
Die Meilensteine
«Ich sage nicht, wir seien ein Fleischproduzent, sondern wir sind ein Lebensmittelhersteller», leitet Ospelt die Präsentation ein, die er vorbereitet hat. So quirlig er am Esstisch schwärmte von Minifleischkäse und Ideen, die er «überall gratis und franko» findet, weil er mit offenen Augen durchs Leben gehe, so gesammelt wirkt er nun, da der Beamer die erste Folie auf die Leinwand projiziert. Die Meilensteine.
Den Grundstein für das Wachstum von der Metzgerei zum Unternehmen mit 1800 Mitarbeitern hat Herbert Ospelt 1967 in Bendern mit dem Bau einer Fleisch- und Wurstwarenfabrik gelegt. Wenig später eröffnete das Ländle direkt neben ihm den Landesschlachthof. Der wurde damals aber nur gerade an einem Tag genutzt, «das hat fürs Fürstentum gereicht», sagt Ospelt, «war defizitär». 1969 kaufte der Senior dem Land die Institution ab und führte sie nicht einfach nur weiter, sondern startete ein neues Geschäft: Tierfutter. Statt Schlachtabfälle gegen Entgelt zu entsorgen, was zu der Zeit aufkam, weil Konsumenten der Appetit auf Nieren, Hirn und Co. vergangen war, vermanschte Ospelt die Überbleibsel fortan zu Geld. Anfang der achtziger Jahre gab das Unternehmen das Schlachten auf, fokussierte ganz auf Tierfutter, baute aus, modernisierte und innovierte.
Tiernahrung steuert ein Drittel zum Umsatz bei. Das Geschäft gilt gemeinhin als krisenresistent und mit Margen um die 20 Prozent als überaus lukrativ. Weltweit wurden letztes Jahr für Tierfutter 75 Milliarden Dollar ausgegeben, 2011 waren es noch 62 Milliarden Dollar. Dominiert wird der Markt von Mars und Nestlé, die es zusammen auf einen Anteil von 50 Prozent bringen. Die Aussichten sind intakt: Laut Nestlé-Chef Mark Schneider geben Menschen «nicht nur für sich mehr Geld für gute Ernährung aus, sondern auch für ihre Haustiere». Food-Trends, ganz gleich, ob in Sachen Verpackung oder Ingredienzien, würden früher oder später auch zu Petfood-Trends, bestätigt Alexander Ospelt und zählt auf Day-and-Night-Futter, Dutzende Snacks für Hund und Katz als Belohnungshäppchen, Mundgeruchtilger, Vitaminbomben.
Spätzli und Chicken Nuggets
Das zweite Standbein des Unternehmens heisst neudeutsch offiziell Food, auch Malbuner gehört dazu. Bahnbrechend für die Entwicklung war die Akquisition eines Verteillagers in Sargans SG und dessen Umfunktionierung für die Produktion von Teigwaren und Fertiggerichten 1982. «Mein Vater hat als Erster Frischeierspätzli industriell hergestellt», sagt Ospelt. Heute produziert die Fabrik von Tortellini bis zu Schweinsfilet im Teig ein breites Angebot an Bequemessen und steuert 30 Prozent zum Umsatz bei. Zum Kerngeschäft gehören auch Chicken Nuggets, unter anderem für McDonald’s. «Wir sind der grösste Lieferant in der Schweiz», sagt Ospelt. Es ist einer von zwei Superlativen, die er für sich reklamiert. Der zweite bezieht sich auf Rauchlachs, «auch da sind wir die Grössten der Schweiz».
Die Fischräucherei Heuwiese in Weite SG, seit 1990 im Portefeuille, verarbeitet die Wanderfische sowohl für Premiumanbieter als auch für Discounter zur Delikatesse. Wen Ospelt konkret beliefert, sagt er nicht. Malbuner jedenfalls führen sowohl Migros und Coop als auch Lidl und Aldi. Migros verkauft gemäss eigenen Angaben zudem noch weitere Fleisch-, Wurst- und Convenience-Produkte von Ospelt; seitens Coop heisst es, eine Zusammenarbeit bestehe sonst nur noch bei Rauchlachs. Lidl bezeichnet Ospelt als «wichtigen Lieferanten» für Pizzas, Fertiggerichte, Tiernahrung und Malbuner.
So zurückhaltend der CEO in Bezug auf Kunden ist, so vage äussert er sich auch zum Zahlenwerk der Gruppe. Den Jahresumsatz verortet er in einer Grössenordnung von 600 bis 700 Millionen Franken. Die Frage nach der Umsatzrendite wischt er mit «Unterschiedlich je nach Produkt und Markt» vom Tisch. Immerhin, die Schätzung eines Branchenkenners, dass er über alles gesehen zehn Prozent einstreiche, lässt er im Raum stehen.
Partner und Konkurrenten
Coop und Migros sind nicht nur ospeltsche Partner, sondern auch seine Mitbewerber im Bereich Convenience Food – Migros mit dem Lebensmittelhersteller Bischofszell Nahrungsmittel (Umsatz 2016: 675 Millionen Franken) und Coop mit Hilcona aus Schaan FL: Der Convenience-Food-Fabrikant gehört seit 2017 Bell, dem grössten Fleischer der Schweiz mit einem Umsatz von 3,4 Milliarden Franken im Jahr 2016. Bell wiederum wird zu zwei Dritteln von Coop kontrolliert.
Offen kommuniziert werden die Abnehmer von Panetta, der Sandwichfabrik in Geroldswil AG. Sie sind auf der Homepage aufgelistet: Migros, Migrolino, Shell, Lidl, Autogrill und SV Service. Die Firma habe er 2004 akquiriert – «da kein anderer sie wollte und weil sich für uns sehr schöne Synergien ergeben». Der Output: 2200 Tonnen respektive 13 Millionen Eingeklemmte und Wraps pro Jahr.
Ospelt trinkt einen Schluck Passugger aus dem Glas, das er vor sich stehen hat, und will in seiner Präsentation weiterzappen, ohne 1993 auch nur zu erwähnen. Dabei: In diesem Jahr hat er die Geschäftsleitung übernommen. Nein, er sei nicht dafür bestimmt gewesen, beantwortet er die Frage, «das hat sich ergeben».
Er und sein älterer Bruder hatten auf «ausdrücklichen Wunsch vom Vater» eine Metzgerlehre gemacht und wurden dann seine Angestellten. Auch die beiden Schwestern hätten grundsätzlich die Chance auf die Nachfolge gehabt, sagt Alexander Ospelt, «es gab eine Zeit, da arbeiteten wir alle vier im Betrieb». Sie alle hätten gewusst, dass jemand die Nachfolge antreten werde, aber eben nur jemand. «Der Vater sagte immer, es kann nur einer entscheiden.» Der Bruder arbeitet nach wie vor im Betrieb, die Schwestern sind nicht mehr aktiv. Vom Gewinn, der nach 35 Millionen Franken Reinvestitionen übrig bleibt, haben aber alle vier Geschwister etwas.
350 Millionen Pizzas
Ospelt junior führt das Unternehmen im Geist des Vaters, den er als offen und visionär verehrt. Er selbst wird in die Firmenchronik eingehen als der, der das Tor zur Welt aufgestossen hat. Und zwar mit der Akquisition der Pizzafabrik Papalina in Apolda, einer Kleinstadt im deutschen Thüringen. Dazu gekommen ist er wie die Jungfrau zum Kind: Einer seiner Verkaufsleiter habe ihn in die 600 Kilometer entfernte Fabrik gelockt mit dem Argument, es werde ein Prosciutto-Lieferant gesucht. Mehr, um dem Kollegen einen Gefallen zu tun, als mit der Vorstellung, seinen vergleichsweise teuren Schinken nach Deutschland zu verkaufen, sei er hingefahren, erinnert sich Ospelt und lacht: Tatsache war, dass die Fabrik mit 110
Mitarbeitern vor dem Konkurs respektive zum Verkauf stand.
Nach einem Rundgang durch die Produktion sei für ihn klar gewesen, wie es zur Misere gekommen war, sagt Ospelt: «Pizzas, die vom Band fallen, Übergänge, die nicht funktionieren, und Ausschuss; so kann ein reines Massengeschäft nicht funktionieren.» Er verabschiedete sich mit: «Nein, kommt nicht in Frage.» Wieder zu Hause, war daraus ein «Why not» geworden, wenig später ein Deal. «Wir sind eine Unternehmerfamilie, und wenn wir etwas können, dann solche Betriebe zum Erfolg führen.»
150 Millionen Franken hat er seither in den Standort investiert, stellt dort mit 450 Mitarbeitern 350 Millionen Tiefkühlpizzas pro Jahr her und beliefert Detailhändler und Discounter in 27 europäischen Ländern sowie Lidl Schweiz. Zum Vergleich: Beim Branchenprimus Oetker laufen im Jahr 620 Millionen Pizzas vom Band, bei der Nummer zwei, Nestlé Wagner, 400 Millionen.
Fertigpizza, Würste, Schinken, Chicken Nuggets – mit seinem Sortiment schwingt Ospelt klar nicht mit aktuellen Ernährungstrends wie gesundem Essen, Vegetarismus und Bio mit. Der Patron korrigiert. «Das nehmen wir alles auf», sagt er und erzählt von regionalen Produkten, die er verarbeitet, von vegetarischen Brotaufstrichen, die er seit langem im Angebot hat, sowie Fertigpasta ohne E-Stoffe und aus Bio-Eiern.
Luxusinvestment
Die Ospelt Gruppe ist ein rein privates Familienunternehmen. Die Vorzüge – flache Hierarchien, kurze Entscheidungswege, langfristige Ausrichtung – hebt Ospelt immer wieder hervor. Seine neuste Anschaffung passt in diesen Werte-Katalog: Ospelt hat jüngst eine Maschine für 600 000 Franken gekauft, die mundgerechte Bissen Landjäger und Salamiwurst Stück für Stück separat verpackt, «ich glaube an die Zukunft von kleinen Happen». Ihr Vorteil: «Keine fettigen Finger.»
Nur: Die Maschine steht oft still. Deswegen nehme ihn der Produktionschef ab und zu hoch, sagt Ospelt und flachst: «Diesen Luxus leisten wir uns jetzt einfach.» Klar erwarte auch er grundsätzlich einen Return on Investment, «wir können Geld auch nur einmal ausgeben». Jetzt eilt er aus dem Sitzungszimmer, kehrt mit Minis zurück und demonstriert, wovon er geredet hat: Aufreissen, in den Mund stecken, essen – die sauberen Finger streckt er zum Beweis in die Runde. Kauend sagt er, damit ziele er auf ein jüngeres Publikum, das sich gerne en passant verpflegt, und erzählt, er habe immer von den Dingern mit dabei, im Auto, in der Jackentasche, «da draussen sind ja alles Konsumenten».
Aus dem Grund sind Negativschlagzeilen Gift fürs Geschäft, und Ospelt fürchtet sie mehr als die Konkurrenz. 2015 stand er in der Kritik, weil er die Löhne der Belegschaft in der Tierfutterfabrik in Bendern auf Euro umstellte als Reaktion auf die Aufhebung des Euro-Mindestkurses. Der Tenor war «Ausbeutung». Ospelt konterte effektiv mit «langfristigem Erhalt von Arbeitsplätzen», 800 sind es allein in Bendern.
Benzin im Blut
Wäre Ospelt frei gewesen in der Berufswahl, er wäre nicht Metzger geworden. «Autos und Motoren haben mich immer fasziniert.» Und sie tun es noch heute. Geschäftlich ist er derzeit mit einem Audi A3 unterwegs. Als Privatmann nimmt er regelmässig an Oldtimer-Rallyes teil, hat auch schon das halsbrecherische Strassenrennen Mille Miglia abgerast und ist in der Szene bekannt für seine «Wahnsinns-Oldtimer-Sammlung». Das Zitat stammt von einem Classic-Car-Aficionado.
Er selber ziert sich, als wäre ihm seine private Leidenschaft peinlich. Auf die Frage, was er in seiner Garage stehen habe, sagt er: «Ein tolles Bike.» Und die Behauptung, dass das Benzin in seinen Adern der Grund für das Sponsoring des Sauber-F1-Teams im vergangenen Jahr gewesen sei, weist er weit von sich. Sondern? «Das hier», sagt er, holt aus seiner Anzugtasche eine rot-schwarz verpackte Salamischnitte und winkt in die Runde. «Für mich war es eine Chance, unsere Malbuner und dieses Produkt, damals unser neustes, international auszurollen.» 2016 raste der Power Slice, inzwischen umbenannt in Pocket Sandwich, auf den Seiten der Heckflügel über die Rennstrecken, klebte an Interview- und Boxenstellwänden.
Das Gute an seinem Werdegang sei, dass er wisse, was Sache sei, weil er das Geschäft von der Pike auf kenne, sagt Ospelt selbstbewusst. Angebote, sein Erbe zu verkaufen, gebe es «im normalen Rahmen» immer wieder einmal, «kommt aber nicht in Frage». Die nächste Generation steht schon in den Startlöchern. Einer seiner Söhne absolvierte eine Kochlehre und arbeitet im Werk in Sargans. Der andere studiert BWL in Innsbruck. «Beide sind sehr interessiert», sagt Ospelt. Ob er sich vorstellen könne, die Macht im Haus unter den beiden aufzuteilen? «Nein, mein Vater hat recht, es kann nur einer entscheiden.»