Alexander Pereira. 1947 in Wien als Sohn eines österreichischen Diplomaten geboren. Matur und dann Gesangsstudium (Bass), teilweise neben kaufmännischer Tätigkeit. Verkaufsleiter bei Olivetti Deutschland. 1979 bis 1983 Bachgesellschaft Frankfurt; 1984 bis 1991 Generalsekretär Konzerthaus Wien. Pereira war als Direktor der Wiener Staatsoper und künstlerischer Leiter der Salzburger Festspiele im Gespräch, bevor er 1991 das Zürcher Opernhaus übernahm.

Die Schweiz im allgemeinen und ganz besonders das zwinglianisch geprägte Zürich sind ein steiniger Boden für kulturelle Höhenflüge. Die Künste sind für die rationalen Rechner von Bahnhofstrasse und Paradeplatz reichlich frivol: Da streben einzelne Menschen mit leidenschaftlichem Eifer nach Höchstleistungen, ohne sich gross Gedanken darüber zu machen, ob das auch etwas einbringt; da tummeln sich auf den Bühnen und in den Foyers eitle Selbstdarsteller; und dann gibt es doch tatsächlich einige wenige Stars, die mit Singen - man denke nur! - mehr verdienen als mancher Bankier, die also zeigen, dass sich die ganze Übung für ein paar Glückliche durchaus rechnen kann. Aber nicht berechnen lässt. Und deshalb ist die Kunst im allgemeinen, die Bühnenkunst im besonderen und die Oper im speziellen zutiefst unschweizerisch und unzürcherisch. Eine Veranstaltung, in die man tunlichst kein Geld investieren sollte.

Und dann kommt da so ein Wahnsinniger aus Wien und behauptet, Zürich biete schon beinahe ideale Voraussetzungen, um zu einer grossen Opernstadt zu werden. Mehr noch: Er findet Mentoren in dieser Stadt, die ihn zum Intendanten des Opernhauses machen. Mehr noch: Er schafft es, dass die Subventionen nicht gekürzt werden. Mehr noch: Er gestaltet die Eintrittspreise so, dass die Einnahmen steigen und dennoch immer mehr Leute in sein Opernhaus kommen. Mehr noch: Er findet eine stetig wachsende Gruppe von Zürcher «Pfeffersäcken» (so bezeichnete einst der Basler Dirigent Paul Sacher seine reichen Mitbürger, ehe er selber zum sehr generösen Pfeffersack wurde), die bereit sind, das Opernhaus mit Millionen zu fördern. Und jetzt ist dieser Wahnsinnige hingegangen und hat die Zürcher Festspiele organisiert - ein Kulturspektakel in der «toten» Ferienzeit.

Alexander Pereira, so heisst der Wahnsinnige, ist eine unglaubliche und äusserst rare Mischung aus kühler Berechnung und leidenschaftlichem Engagement. Und dabei wirkt er, von aussen betrachtet, eher gelassen. Wenn man ihm auf dem Korridor vor seinem Büro im Opernhaus zu erstenmal begegnet, hat man sofort das Gefühl, einen lieben alten Bekannten zu treffen. Da ist er der überaus freundliche Gastgeber, der auf nichts dringender gewartet hat als auf den Besuch von zwei Journalisten. Dabei müsste er eigentlich aufgeregt sein, ausser sich vor Ärger - denn soeben hat er einen Fax erhalten, mit dem der Startenor José Carreras sich für indisponiert erklärt, sein bevorstehendes und fest eingeplantes Gastspielengagement wahrzunehmen. Nun hat Pereira ein zu erhöhten Preisen ausverkauftes Haus und keine Hauptattraktion mehr. Und setzt sich in seinem Büro auf sein Sofa (lang genug, um darauf seine 1,87 Meter zum kurzen Nickerchen zu drapieren) und referiert in aller Ruhe über sich und seine Arbeit.

Regieanweisung für die Wirtschaft: Gelassenheit auch unter höchstem Druck ist eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg. Wer nicht gelassen bleibt, verliert die Übersicht - und damit den Blick für intelligente Lösungen.

Dass Zürich Brachland für kulturelle Höchstleistungen sein soll, vermag Alexander Pereira nicht einzusehen. Ein bisschen schwieriger als etwa in Wien ist es schon. Aber: Zürich hat es immer mal wieder geschafft, kulturelles Zentrum zu sein. Unvergessen ist die Blütezeit des Schauspielhauses, als die Flüchtlinge vor der Nazibarbarei die Pfauenbühne zum Theaternabel der deutschsprachigen Welt machten - und das bis weit in die sechziger Jahre hinein, als Leonhard Steckel im «Meteor» und Therese Giehse in «Die Physiker» brillierten. Dann war es die Tonhalle, die in der Musik Massstäbe setzte.

«Zum Kulturleben einer Stadt», sagt Alexander Pereira, «gehören auch die Passiven, das Publikum.» Dass die Schweizer an Kultur interessiert sind, zeigt sich an der Präsenz von Schweizern an ausländischen Veranstaltungen - von Verona über die Mailänder Scala bis zu den Salzburger Festspielen. «Das ist mit Reisen verbunden, und das ist eine Verschwendung von Lebensqualität», sagt Pereira. «Wir müssen dafür sorgen, dass die Leute sich hier wohl fühlen und hier in die Oper gehen. In Zürich sind die Fähigkeiten vorhanden und das Potential auch.»

Regieanweisung für die Wirtschaft: Zur Wirtschaft gehören auch die Kunden. Man muss dafür sorgen, dass sie sich bei uns wohl fühlen. Sonst kaufen sie bei der Konkurrenz ein.

Als Alexander Pereira vor rund fünf Jahren sein Amt als Opernhausintendant antrat, war Zürich nicht gerade der Nabel der Opernwelt. Das Opernhaus steckte in einer Krise; die Stadt Zürich war finanziell überfordert, das Repertoire war nicht dazu angetan, den Glanz Zürichs weit über die Stadtgrenzen hinaus leuchten zu lassen. Wer grosse Oper erleben wollte, musste nach Mailand oder Wien reisen. Anderseits, und das lohnt sich schon festzuhalten, war Zürich auch damals keineswegs operntechnisches Brachland - das wäre den Vorgängern Pereiras gegenüber denn doch allzu ungerecht. Der Wiener Wirbelwind konnte ein Erbe antreten, oder, wie er selber sagt, «der Humus war da.»

Was er auf diesem Humus zum Blühen gebracht hat, kann sich sehen lassen. In der Saison 1995/96, der letzten mit abgeschlossener Rechnung, setzte das Opernhaus nahezu 90 Millionen Franken um und erzielte einen Reingewinn von 312 000 Franken. 60 Prozent der Einnahmen bestehen aus Beiträgen der öffentlichen Hand, 30 Prozent steuern die zahlenden Zuschauer bei, 5 Prozent werden mit Nebengeschäften erwirtschaftet, und 5 Prozent oder 4,5 Millionen Franken zahlten die Sponsoren des Opernhauses.

Wichtiger noch als die ausgeglichene Rechnung ist freilich die regionale, nationale und internationale Ausstrahlung, die das Zürcher Opernhaus in der bisherigen Amtszeit Alexander Pereiras gewonnen hat. Die internationale Opernwelt achtet darauf, was «Zürich» macht; zu den Premieren reisen Legionen von Fachjournalisten an - so viele, dass Pereira Mühe hat, seine Premierenabonnenten noch unterzubringen; die Weltstars, und das sind nicht nur die drei notorischen Tenöre, beehren Zürich mit Gastspielen; der Abonnentenstamm des Zürcher Opernhauses ist international: Sogar aus Mailand und New York, wo die Scala und die Met Weltklasseoper bieten, gibt es regelmässige Zürich-Besucher. Die Eingeborenen wissen es zu würdigen; Bruno Franzen, der ehemalige Interhome-Besitzer, kann sich vor Begeisterung kaum halten: «Pereiras Einsatz ist unermesslich - er ist ein massloser Mensch. Er hat die Kulturszene Zürich bewegt und dem Opernhaus eine Ausstrahlung verschafft, die jener gleichkommt, die das Schauspielhaus in der Nachkriegszeit hatte.»

Regieanweisung für die Wirtschaft: International erfolgreich kann nur sein, wer masslos ist, wer die Grenzen des Denk- baren ausmisst und sie überschreitet.

Bruno Franzen muss es wissen: Er ist nicht nur seit seinem 15. Lebensjahr vom Opernvirus befallen - die Freiheit, die er sich mit dem Verkauf der Interhome erworben hat, füllt er nun wenigstens teilweise mit rastloser Aktivität für die Oper aus. So erscheint demnächst «Operissimo», ein Nachschlagewerk der Opernwelt, in dem 2600 Werke von 800 Komponisten detailliert aufgeführt sind; 17 000 Rollen werden da zur passenden Besetzung präsentiert. Überdies funktioniert Franzen als Manager für zwei potentielle Operndiven. In seinem Zürcher Büro ertönt aus der Musikanlage den lieben langen Tag Opernmusik. Und selbstverständlich lässt sich Bruno Franzen keine nennenswerte Operninszenierung entgehen; in Mailand wohnt er sozusagen neben der Scala.

Natürlich gehört Bruno Franzen auch zu den Sponsoren des Opernhauses, zusammen mit mehr als 50 Privatpersonen, Fördervereinen und Firmen von Adia Interim bis Zürich Versicherungen. Und auch die sind von Alexander Pereiras Peformance beeindruckt. Lukas Mühlemann, sowohl in seiner früheren Funktion bei der Schweizer Rück als auch in seiner jetzigen bei der Crédit Suisse einer der wichtigen Wohltäter der Oper und überdies Arbeitgeber von Pereiras Tochter Stéphanie, bekundet: «Der hat einen Superjob gemacht, und dass das Opernhaus derart wichtig geworden ist, ist auch gut für den Wirtschaftsstandort Zürich.» Einen Stachel freilich hat das Lob. «Ich möchte gerne so charmant sein wie der Pereira», sagt Mühlemann, der ja nun auch nicht gerade als der uncharmanteste Wirtschaftsführer der Schweiz gilt.

Den Charme Pereiras bestätigt Ex-Nationalbanker Markus Lusser. Überdies attestiert er dem Opernhausintendanten eine «enorme Begeisterungsfähigkeit». Lusser findet es fantastisch, dass es Pereira geschafft hat, im zwinglianischen Zürich ausgerechnet die Oper, ein Kind des katholischen Barocks, hoffähig zu machen. «Künstlerisch hat er Zürich an die Weltspitze herangeführt, auch was die Leistungen des Orchesters angeht.» Lusser hat viele Vergleichsmöglichkeiten. Seine Reisen als Nationalbank-Direktionspräsident gingen selten ohne einen Opernbesuch vorüber. Er kennt die meisten renommierten Häuser der Welt von innen. Und auch Joe Ackermann, ehemals SKA-Chef und heute Deutschbanker, gerät ins Schwärmen: «Pereiras Enthusiasmus steckt an. Man hebt mit ihm ab und beginnt mit ihm zu träumen. Und die Träume setzt er dann um.»

Die Bewunderung - bei weniger nüchternen Menschen als unseren Wirtschaftsführern würde man sagen: Liebe -, die Alexander Pereira in Zürich entgegengebracht wird, ist wohl die Quittung für Pereiras eigene Art, auf Menschen zuzugehen. «Auf Kredit zuhören», nennt er seinen spontanen Zugang zu anderen Menschen. Was er damit meint: An das Gute im anderen glauben, jedenfalls bis zum absoluten Beweis des Gegenteils. «Wir alle haben hässliche Seiten in uns», sagt er, «um aber Kreativität freizusetzen, Höchstleistungen zu ermöglichen, muss ich das Gute ansprechen.» Alexander Pereira liebt seine Künstler, auch die, die er eigentlich nicht so sehr mag, denn er schätzt Professionalität über alles. «Ich bewundere Leute, die auch in schlechten Phasen professionell arbeiten. Natürlich fährt man manchmal in den Keller - aber man kommt auch wieder heraus. Stehaufmännchen sind etwas Wunderbares.»

Regieanweisung für die Wirtschaft: Ein Chef muss daran glauben, dass seine Mitarbeiter das Beste für das Unternehmen wollen. Wer überall nur Saboteure vermutet, wird niemals Höchstleistungen erzielen. Und selbst wenn jemand einmal scheitert, hilft der Glaube an seine Fähigkeiten weiter: Er hat dann etwas gelernt.

Das heisst keineswegs, dass Pereira seinen geliebten Künstlern alles durchgehen lässt. Man hält es kaum für möglich, aber er kann auch laut werden, zum Beispiel, wenn jemand in der Probe nicht mit vollem Einsatz bei der Sache ist, wenn jemand aus seinem Potential nicht das Bestmögliche macht. Denn das findet er grauenhaft: Ein Talent zu haben und nichts daraus zu machen. «Wenn man ein Talent hat, dann muss man es entwickeln und der Gesellschaft zurückgeben. Man darf sich niemals auf seinen Lorbeeren ausruhen.»

Alexander Pereira führt diese Grundhaltung auf seine Familientradition zurück. Denn die Pereiras sind in historischer Betrachtung eine Aufsteigerfamilie, die der damals herrschenden Gesellschaft viel zu verdanken hat und sich immer verpflichtet fühlte, nun auch ihren Teil zu leisten - eine Art Sozialethos, das der wahren Aristokratie eigen ist. Die Pereiras waren bis ins 15. Jahrhundert eine jüdische Familie in Spanien. Mit dem Abschluss der Reconquista, der einsetzenden Inquisition, der Zwangsbekehrung und Verfolgung auch der bekehrten Juden setzte eine Auswanderungswelle ein, welche die Pereiras nach Wien verschlug. Dort stieg die Familie in die besseren Kreise auf, wurde von den regierenden Habsburgern als erste jüdische Familie geadelt - was die Pereiras berechtigte, den Titel Baron zu führen.

Alexander Pereira ist von historischen musikalischen Fingerzeigen umstellt: Sein Geburtstag, der 11. Oktober (1947), stimmt mit jenem Guiseppe Verdis auf einen Tag genau überein, wobei bei diesem umstritten ist, ob er am 10. oder am 11. Oktober (1813) zur Welt kam; Felix Mendelssohn war sein Ururgrossonkel; im Hause seines Ururgrossvaters komponierte Wolfgang Amadeus Mozart «Die Entführung aus dem Serail». Kein Wunder, fühlte sich Pereira schon aus Familientradition zur Musik hingezogen und absolvierte ein zehnjähriges Gesangsstudium. Er musste freilich zu Einsicht kommen, dass es für eine Karriere nicht reicht, und heuerte bei Olivetti an, wo er es bis zum Verkaufsleiter Deutschland brachte. In dieser Zeit in Frankfurt entdeckte er auch sein Talent als Kulturmanager und baute die Frankfurter Bachgesellschaft auf. So war er 1984 vorbereitet, um sich als Generalsekretär des Wiener Konzerthauses zu bewerben.

Auch in diesem Job erwies er sich als Wirbelwind: Er setzte auf zeitgenössische österreichische Komponisten, grub bis dahin unterschätzte Künstler aus, initiierte das Festival «Wien Modern», rief zahlreiche Sonderkonzertreihen ins Leben und umgab sich mit Weltklassekünstlern wie Friedrich Gulda, Claudio Abbado oder dem Komponisten György Ligeti. Für derlei Projekte machte er auch immer wieder neue Subventionen locker. Die Wiener dankten es ihm, indem sie die Veranstaltungen des Konzerthauses immer zahlreicher besuchten und ihn gleichzeitig des «rasenden Ehrgeizes» bezichtigten. Das freilich ficht Alexander Pereira nicht im geringsten an. Natürlich ist er ehrgeizig. Wäre ja noch schöner, wenn die Kunst nicht immer nach Höchstleistungen strebte und sich mit dem Mittelmass zufrieden gäbe. Massstäbe zu setzen, Höchstleistungen zu präsentieren, das ist für Pereira die eigentliche Daseinsberechtigung der Kunst.

Regieanweisung für die Wirtschaft: Ehrgeiz ist eine Tugend. Nicht der Ehr- geiz, der auf höhere Positionen zielt, sondern jener, der in jedem Bereich und immer die Höchstleistung anstrebt.

«In jeder Gesellschaft muss es Vorbilder geben für Leistungs- und Qualitätsbewusstsein», sagt er, «sonst gehen diese Tugenden verloren. Jeder muss an seinem Platz und seinen Talenten entsprechend Höchstleistungen erbringen. Nur so können wir herausfinden, wozu die Menschheit fähig ist.» Höchstleistung kostet Geld, und das muss die Gesellschaft aufbringen, wenn sie diese Vorbildfunktion aufrechterhalten will. «Wenn diese Gesellschaft zum Schluss kommt, die Oper sei zu teuer und nicht mehr zu bezahlen, dann heisst das: In dieser Gesellschaft gibt es Verdi, Wagner und Mozart nicht mehr - die schönsten Beispiele für höchste Qualität wären weg.»

Regieanweisung für die Wirtschaft: Was früher war, ist Vergangenheit. Aber nicht alles, was Vergangenheit ist, ist auch vorbei. Grosse Leistungen aus der Vergang- enheit sind Basis und Massstab für Gegenwart und Zukunft. Wer diesen Massstab verliert, wird auch in Zukunft nicht zu Höchstleistungen fähig sein.

Beim Thema Kunst und ihre Bedeutung für die Gesellschaft kann sich Alexander Pereira in Eifer reden. «Kunst ist ein Beitrag zur geistigen Gesundheit einer Gesellschaft.» Da mutet es ihn seltsam an, dass im Zusammenhang mit Kunst soviel von Geld geredet wird - und für die Absurdität dieser Erbsenzählerei hat er ein Beispiel parat: «Die deutsche Gesellschaft gibt Jahr für Jahr 300 Milliarden Mark für die Gesundheit des Körpers aus; für die Gesundheit des Geistes in Gestalt von Kulturförderung nur sieben Milliarden.» Wobei anzumerken wäre, dass die geistige Verkümmerung bei mangelhaften Kulturinjektionen auch bei den Ausgaben für die körperliche Gesundheit eine Rolle spielt.

Nun könnte man sich Musik ja auch in Gestalt von Konserven zuführen. Im Plattenladen sind die Spitzenleistungen der Weltstars zu einem Preis zu haben, der unter dem Eintrittspreis in die Oper liegt. Dem mag Pereira gar nicht zustimmen. Nicht, dass er etwas gegen CDs hätte. Aber: «Auf der Bühne erlebt man die Entstehung von Höchstleistungen live.» Und das ist etwas anderes; es können Fehler passieren; die Darsteller haben Angst vor Fehlern; ihre wichtigste Herausforderung ist es, die Angst zu überwinden, seien sie nun Statisten oder heissen sie José Placido Pavarotti. «Wenn man die Angst nicht überwindet, kommt keine Höchstleistung zustande. Sie zu überwinden ist beglückend - für die Darsteller und für die Zuschauer.»

Und nicht zuletzt für den Intendanten. Anlässlich des letzten Sponsorenempfangs in den Kulissen der «Lustigen Witwe» auf der Opernhausbühne bat Pereira die beiden Hauptdarsteller aus der Lehar-Operette zu einer kleinen Einlage - nach einer anstrengenden Vorstellung, nachdem sie gegessen hatten, ohne Orchesterbegleitung und mit nur zwei Metern Distanz zu den Zuschauern. Noëmi Nadelmann und Rodney Gilfry entledigten sich dieser Zumutung bravourös. Das schönste Schauspiel aber bot Alexander Pereira selber: Nachdem der letzte Ton verklungen war, strahlte er über das ganze Gesicht und riss beide Arme in die Höhe - der Coach, der sich über einen Sieg seines Teams freut.

Aus dieser Begeisterung, die sich auch seinem Publikum mitteilt, schöpft Pereira die Selbstsicherheit, mit der er seinen Sponsoren gegenübertritt. Natürlich ist ein gut Teil Klinkenputzen dabei. «Das habe ich als Olivetti-Verkäufer gelernt: Eine Absage gilt nicht, ich komme einfach wieder. Und beim vierten Mal klappt es dann.» Bei vielen Sponsoren rennt er aber mittlerweile fast offene Türen ein. Denn die sind ihrerseits auf Höchstleistung getrimmt und respektieren den Mann, der sie für sein Anliegen um Geld angeht. «Die staatlichen Gelder, die wir für unser Opernhaus bekommen, entsprechen etwa jenen in Nürnberg oder Karlsruhe. Allein damit könnten wir allenfalls in der Regionalliga der Opernwelt mitspielen. Mit den wachsenden Zuschauereinnahmen und den Sponsorengeldern verschaffen wir uns die Basis, in der Champions League mitzutun.»

Regieanweisung für die Wirtschaft: Wer Höchstleistungen will, muss dafür den entsprechenden Preis zahlen. Mit Sparen allein ist noch kein Unternehmen gross geworden.

Dabei macht Pereira keinerlei Konzessionen: Auch Sponsoren bezahlen ihre Eintrittskarten. Wenn eine Zürcher Firma Eintrittskarten für ihre Kunden gleich im Dutzend kauft, scheut er sich nicht, das Unternehmen darauf aufmerksam zu machen, dass diese Karten zu 60 Prozent vom Steuerzahler subventioniert sind, und dass es nichts als recht und billig wäre, den Differenzbetrag als Sponsor beizusteuern. Umgekehrt legt er grossen Wert darauf, dass sein Publikum ungefähr die Gesellschaft widerspiegelt, die das Haus subventioniert. «Wer es sich leisten kann, soll Eintrittspreise bezahlen, welche die tatsächlichen Kosten wenigstens annähernd decken (das wären etwas mehr als 300 Franken pro Platz, Red.).» Und wer sich solche Preise nicht leisten kann, soll trotzdem die Chance bekommen, das Opernhaus zu besuchen: 50 Prozent der Plätze kosten weniger als 65 Franken, 30 Prozent weniger als 35 Franken. Die Folge: Das Opernhaus Zürich kann jedermann besuchen, wenn auch nicht auf den besten Plätzen. Und das geschieht auch. Besonders stolz ist Alexander Pereira darauf, dass fast ein Viertel seines Publikums im jugendlichen Alter ist.

Für das viele Geld bietet Pereira seinem Publikum auch viel: ein rundes Dutzend Premieren pro Saison, Starauftritte noch und noch, ein Programm, das die traditionelle grosse Oper ebenso umfasst wie die Werke zeitgenössischer Komponisten oder unbekanntere Werke berühmter Komponisten (Händel, Haydn und Schubert als Opernautoren), dazu Orchestergastspiele - und neuerdings plant er, eine Rock-Gruppe auf die Opernhausbühne zu bringen. Das ganze bewältigt er mit einem Team von rund 600 Personen, die sich 550 Stellen teilen - mit einem Minimum an Administration und einem Maximum an unmittelbar künstlerisch tätigen Mitarbeitern. Alexander Pereira ist ein Anhänger des Repertoire-Theaters und lehnt den Trend in Richtung Stagione-Theater ab. Diese Theaterform, die seit den siebziger Jahren in Mode gekommen ist, kommt ohne feste Ensembles aus. Für jede Inszenierung werden die Künstler für ein paar Monate engagiert. Eine Stagione-Theater bringt drei bis fünf Inszenierungen mit 80 Vorstellungen pro Saison hervor.

Pereiras Repertoire-Theater arbeitet mit einem festen Ensemble, zu dem allenfalls Gastsolisten kommen (wobei auch diese für bis zu 20 Vorstellungen verpflichtet werden). Er produziert pro Saison ein rundes Dutzend (oder auch mal mehr) Neuinszenierungen und bespielt seine Bühne (inklusive Ballett und Gastspielen) mit mehr als 300 Vorstellungen pro Saison. Das senkt die Fixkosten pro Produktion, und es dient der Nachwuchsförderung. «Wenn ein Theater nach dem anderen zum Stagione-Betrieb übergeht, haben junge Künstler kaum mehr Gelegenheit, ihre Stimme und ihr Repertoire kontinuierlich aufzubauen. Es wachsen keine neuen Stimmen nach - und die Spitze wird dünner.» Dann werden die Spitzenstars noch teurer - und die Kosteneinsparungen, die das Stagione-Theater bringen sollte, werden illusorisch. «Ich muss in Zürich beweisen, dass es auch mit dem Repertoire-Theater kostendeckend geht, sonst sterben uns die Sänger aus.»

Der Mann ist ein Missionar der Künste - und ein Wahnsinniger, weil er das ausgerechnet in Zürich sein will. Bruno Franzen, der Opernfreak, der seine Erbsenzähler kennt, hat das Haupthindernis schon geortet: «Pereira hat eigentlich nur einen Feind: die schweigende Mehrheit, die nur darauf wartet, dass er einen Fehler macht.»

 

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