Wegmarken Alfred N. Schindler wurde am 21. März 1949 geboren. Er ist Mehrheitsaktionär, Präsident des Verwaltungsrates und CEO des Schindler-Konzerns in Ebikon. Die Mittelschule besuchte er im Kollegium St. Maurice im Wallis, anschliessend absolvierte er ein Jus-Studium in Basel. Als Revisor bei der ehemaligen Neutra begann er seine berufliche Tätigkeit. Seinen MBA erwarb er an der in den USA zur Zeit wohl renommiertesten Wharton School of Finance.

Wo Liftmonteure von Schindler im Einsatz sind, da zieht es, ist staubig oder feucht, meistens auch lärmig. Und da der Lift noch nicht fährt, müssen die Bestandteile an ihren Bestimmungsort getragen werden. Die schwersten, Motorkomponenten und Seilwinde, gemeinerweise nach ganz oben - und das kann, wie im Rohbau beim Bahnhof Dietikon, der achte Stock sein. Kein Stück darf mehr wiegen, als ein topfitter Mann schleppen kann. Und bei der Montage wird der Monteur zum Akrobat - er muss schnell sein und präzis. Wehe, wenn später die Türen, die störungsanfälligsten Teile der Liftanlage, nicht genau schliessen!

Schon vorher freilich können Fehler passieren, die kumuliert ins grosse Geld gehen: verspätete und unvollständige - oder zu frühe Lieferung, denn dann steht das Material im Regen und rostet vor sich hin. Fehler dieser Art summieren sich schnell auf viele Millionen, und das kann sich das Unternehmen im gnadenlosen Preis- und Verdrängungskampf längst nicht mehr leisten.

Die Monteure, diese Einzelkämpfer an der Kundenfront, trifft dabei keine Schuld. Sie bilden eine intakte Elite- und - im Servicefall - Eingreiftruppe des Konzerns. Das weiss auch der eher verdeckt operierende oberste Schlachtenlenker Alfred "Niki" Schindler zu würdigen. Ihn plagen andere Sorgen: "Der Wettbewerb beschleunigt sich dermassen, als ob man nur noch alle fünf Jahre Geburtstag hätte."

Längst hat Schindler erkannt, dass in reifen Märkten Schritt halten kann, wer über die effizientesten Prozesse verfügt. "Der Erfolg ist nicht eine Funktion von Geld oder Technologie. Entscheidend ist, wie man etwas macht", doziert er. Nur so lassen sich Quantensprünge bei den Durchlaufzeiten und beim Einsatz von Ressourcen erzielen, die vor kurzem noch in den Bereich der Phantasie gehörten - ohne die es heute aber nicht mehr geht.

Doch Schindler ist Spitze - bis dato zumindest mit einer Fabrik, dem Rolltreppenwerk im amerikanischen Clinton in North Carolina, das vor fünf Jahren in einer Gegend hochgezogen wurde, wo früher Schweine gezüchtet wurden. Soeben vom renommierten Fachblatt "Industry Week" als eine der zehn besten Fabriken 1996 in den USA ausgezeichnet, erreicht diese Anlage inzwischen absolute Traumresultate. Der Output liegt doppelt so hoch wie ursprünglich geplant. Kein Wunder, steht das amerikanische Clinton als Kostenführer da und hat den Schweizern ermöglicht, im US-Rolltreppengeschäft Branchenleader zu werden.

Dieser Glanzpunkt versetzt Alfred Schindler in Begeisterung. Vielen seiner Manager macht er dagegen angst: Für sie ist dieses Clinton jetzt die Messlatte. Und ausserdem ist da auch noch dieses ambitiöse Offensivprogramm, das auch in Europa den Anschluss an die Besten bringen soll (siehe Kasten "Sprint", Seite 25). Betroffen davon sind 20 000 Mitarbeiter. Nicht weniger als die Halbierung der Durchlaufzeiten ist das Ziel - Revolution und Kulturschock zugleich. Denn wie hat der neue Personalverantwortliche, Rudolf W. Fischer, laut Interview in der Hauspost, seine Firma bei Stellenantritt erlebt? "Als menschlich warmes, aber vielerorts noch eher bedächtiges Unternehmen."

Das bestätigen auch die Zahlen. Stellt man auf eine Studie von Lombard Odier ab, so beträgt die Marge aus dem operativen Geschäft magere 2,4 Prozent. Der deutlich grössere Branchenprimus Otis - ein "Rennwagen mit einer ständig neuen und ständig besseren Feinabstimmung", wie ein Analyst schreibt - schafft dagegen fast zehn Prozent. Für Alfred N. Schindler, ein Liebhaber schneller Wagen, ist das die totale Herausforderung. Und für alle Schindler-Leute sind die quicken Amis, was die Zürcher für die Basler sind: übermächtige Rivalen, mit denen man sich nur in Siegen und Niederlagen misst.

Während sich Otis-Chef Jean-Pierre van Roy in seinen Erfolgen sonnt ("You see the most happy man on earth"), ist sein Innerschweizer Herausforderer ein Getriebener. Getrieben wird er von der Vision und vom Willen, die Firma Schindler, den weltweit zweitgrössten Lift- und grössten Rolltreppenhersteller mit über 40 000 Mitarbeitern, so unabhängig zu halten, dass er ihn glanzvoll und mächtig an die nächste Generation weitergeben kann. So ernsthaft spricht er von diesen kommenden Generationen, die das Unternehmen im gleichen Geist werden weiterentwickeln müssen, dass sich der Schluss aufdrängt: Alfred Schindler arbeitet für die Ewigkeit.

Kurzfristiger Shareholder value ist ihm ein Greuel. Grössere strategische Veränderungen seien in seiner Branche ohnehin nicht unter zehn Jahren zu erreichen. "Für mich zählt nur der Terminal value", meint er. Das ist der Unternehmenswert am Ende seines Wirkens, der es seinen Nachfolgern ermöglichen wird, das Unternehmen überlebensfähig zu halten. "Das ist Berufung und kein Spiel."

Wie schon sein Vater Alfred F. Schindler, einer der legendären Schweizer Nachkriegsindustriellen, der das Werk mit Entschlossenheit aufbaute, kämpft Alfred N. für seine Ziele. Jeder Versuch, ihm den Weg zu verbauen, setzt einen neuen Energieschub frei. "Niki hat das mit dem Faktor zwei potenzierte Temperament seiner Eltern, die weiss Gott schon temperamentvoll waren", sagt einer, der sich im Schindler-Clan bestens auskennt. Schindlers Mutter ist übrigens Ärztin und gebürtige Polin.

Auf den ersten Blick dominiert bei Alfred N. Schindler die elegante Erscheinung, die durch seine meist dunklen Anzüge aus gutem Tuch unterstrichen wird. Auf den zweiten Blick gewinnt er die Statur eines Schwingers, der nicht nachlässt, bis er seine Gegner im Sägemehl hat. Seine eher sanfte Stimme signalisiert aber dann wieder, dass er ein richtig "Böser" wohl doch nicht sein kann.

Und noch ein Gegensatz, der diesen Manager prägt: Einerseits ist Schindlers Zuhause die ganze Welt. In dieser Dimension denkt, arbeitet und entscheidet er. Unablässig spricht er von "the end of geography", wie er die grenzenlos gewordene Erdkugel bezeichnet. Er drückt sich häufig in Englisch aus, nicht nur, weil das schon längst die Konzernsprache ist. Ihm liegt Amerika in mancher Hinsicht näher als die Schweiz (er hat in Wharton, der heutigen Business-School Nummer eins, seinen MBA gemacht), weil man da ganz einfach besser Unternehmer sein kann, und eine Pleite noch kein Stigma fürs ganze Leben ist. Dort fühlt er sich geliebt, dort ist ihm wohl.

Anderseits ist und bleibt seine Heimat die Innerschweiz, die Region am Vierwaldstättersee. Wo die Berge den Blick rundum begrenzen, da ist er aufgewachsen, da wohnt er, im schönen Gästehaus des seenahen Familiensitzes, und von da aus erreicht er im Porsche in kurzer Zeit seine operative Basis in Ebikon, wo die Schindler Management AG lokalisiert ist. Dort stand er einst auf einer grossen Wiese noch scheu und in kurzen Hosen neben seinem dominanten Vater und erlebte, wie dieser den früheren Luzerner Betrieb auf jenem Terrain neu ansiedelte -- gegen massiven Widerstand der Bauern.

Das Stammhaus ist ein Betrieb unter vielen im Konzern geworden. Dennoch darf man Schindler glauben, dass er alles daran setzt, um zu verhindern, dass die industrielle Basis noch weiter erodiert. Nicht nur aus sentimentalen Gründen. Gerade jetzt hat sich diese Haltung bestätigt, als die Schweizer Umsätze infolge der Baukrise zusammenzubrechen drohten. Statt sofort massiv Personal abzubauen, wie das andere tun, haben die Liftbauer offensiv gehandelt und den Asien-Export in einem Kraftakt um 82 Prozent auf 240 Millionen Franken gesteigert.

Dank erwartet Schindler dafür nicht. Das wirtschaftliche Klima bezeichnet er als derart vergiftet, wie es jüngst eine Umfrage der "Weltwoche" bestätigt hat, dass fast jede unternehmerische Handlung als Ausbeutungsmanöver verstanden wird. "Was nützt es, wenn wir uns hier mit Cycletime abmühen und gleichzeitig tiefes Misstrauen herrscht? Das ist doch selbstzerstörerisch", meint er konsterniert, und verweist auf das gestörte Verhältnis zwischen Wirtschaft, Politik und Medien. Selbstkritisch fügt er an: "Das hat die Wirtschaft aber mitverschuldet." Sich persönlich braucht er das allerdings nicht besonders vorzuwerfen. Er müht sich in Dutzenden von Auftritten vor Behörden und Parlamentariern ab, um Wirtschaftsanliegen zu vertreten.

Die Dominanz, mit der Alfred Schindler heute auftreten kann, war vor gut einer Dekade noch nicht erkennbar, zumindest nicht für die Öffentlichkeit. Er trat zwar schon als knapp Dreissigjähriger in den Betrieb ein; doch mit seinem Onkel Zeno Schindler, der das Unternehmen nach dem frühen Tod seines Vaters leitete, war er sich in der strategischen Ausrichtung nicht einig, worauf er einen Abstecher zur Brügger Stahlbaufirma Notz machte. Im zweiten Anlauf hingegen sorgte er schon bald für klare Verhältnisse. Zusammen mit seinen Hergiswiler Jugendfreunden Uli Sigg und Luc Bonnard, deren Väter (und bei Sigg auch Vorväter) das Unternehmen ebenfalls bereits mitgeprägt hatten, putschte er erfolgreich gegen den Onkel. Dieser hatte - in der Meinung, die Jungen bräuchten noch etwas mehr Erfahrung, mit Peter Weichhardt einen familienfremden Konzernchef installiert. Diese Lösung akzeptierten Schindler, Bonnard und Sigg nicht. Die Alten mussten Weichhardt wegschicken und die vierte Generation an die Macht lassen.

Ein "zugkräftiges Trio", schrieb damals die "Bilanz", obwohl sich intern schnell zeigte, dass Alfred Schindler die erste Geige spielt, die Strategie bestimmt und tatkräftig umsetzt. Luc Bonnard, der Ingenieur, machte ihm diese Rolle nie streitig; er richtete sich als Nummer zwei ein. Uli Sigg war da schon ehrgeiziger. Als Stratege und kreativer Denker versuchte er wohl, dem Namensträger des Konzerns etwas entgegenzusetzen. Er punktete zwar mit seiner frühen China-Strategie, was ihn zum Aushängeschild in den Medien machte - doch näher ans Kommandopult kam er dadurch nicht. Als ihm dann mit dem Computerhändler Also ein Flop unterlief, der sich allerdings inzwischen ins Gegenteil gekehrt hat, war die Zeit des Abschieds gekommen.

Wirkliche Hoffnung auf die Macht, wenn er diese überhaupt je hegte, hätte sich der heutige Schweizer Botschafter in China nur im Falle eines Scheiterns seines Jugendfreundes machen können. Die Besitzverhältnisse sprachen nämlich zu jeder Zeit klar für "Niki". Die Schindlers hatten, was man bis anhin nicht wusste, schon damals eine deutliche Mehrheit über die Siggs und auch die Bonnards. Frank und frei erkärt Alfred Schindler: "Ich bin Mehrheitsaktionär." Diese Tatsache wird man spätestens im neuesten Geschäftsbericht nachlesen können, der erstmals nach FER-Standards erstellt wird.

Damit wird definitiv klar, warum Alfred N. Schindler bereits als 35jähriger mit dem Marschall-Stab antreten und im Konzern eine Zäsur schaffen konnte. Bereits damals hat er gespürt, dass sein Haus der Marginalisierung nur entgehen kann, wenn es ihm gelingt, aus dem stammhauslastigen und entsprechend exportabhängigen Unternehmen einen weltweit verankerten Industriemulti mit "echter lokaler Schlagkraft" zu schaffen, wie das Otis schon viel früher bewerkstelligt hat. Im Rucksack brachte er neben einem Juristendiplom und dem MBA von Wharton immerhin bereits prägende Beratererfahrung aus Einsätzen in der Uhrenindustrie mit, die damals vor dem Exit stand.

Wie nur ganz wenige in der Schweiz - und seiner Meinung nach auch in Europa - hat er den Globalisierungsanspruch inzwischen eingelöst. Keinen Moment zu früh, denn längst gibt es nur noch einen Markt. Wer das nicht rechtzeitig ins Kalkül gezogen hat, wie so manches Schweizer Unternehmen, ist weg vom Fenster. Schindler jedoch wird seinem erklärten Ziel, je ein Drittel des Umsatzes in Europa, Amerika und Asien zu erzielen, schon bald sehr nahekommen. Besonders, wenn man berücksichtigt, was alles in den nächsten zwölf Monaten die vier Fabriken in China verlassen wird.

Für dieses Ziel hat Schindler kühn in die Taschen gegriffen. Über eine Milliarde sind nach Nord- und Südamerika geflossen, wovon gut die Hälfte in die Akquisition des Aufzugwerkes von Westinghouse. In Asien sind schon 200 der vorgesehenen 500 Millionen ausgegeben. Insgesamt reichlich viel für einen Konzern, der in den letzten Jahren im Durchschnitt kaum mehr als 110 Millionen Franken investiert hat. Aber eben, die Post geht in Fernost und Amerika ab und nicht in Europa.

Unbeirrt und hartnäckig, präzise seiner Vision folgend, hat Schindler expandiert, ohne jedoch einen Husarenritt zu riskieren, wie seine Bilanz belegt. Seit dem Beginn seiner Regierungszeit - mit 14 Jahren übrigens exakt gleich lang wie jene des deutschen Kanzlers Kohl, wie er verschmitzt anmerkt - ist nicht nur die Betriebsleistung von zwei Milliarden Franken auf gegen fünf gestiegen; auch das Familiensilber hat sich sprunghaft vermehrt. Mit 1,3 Milliarden kann "Niki" Schindler in der Holding inzwischen sechs- bis siebenmal mehr Eigenkapital ausweisen als sein Vorgänger Onkel Zeno. Und was ihn ebensosehr freuen dürfte: In Dollar gerechnet, hat Schindler nach eigenen Angaben die Betriebsleistung von 50 Prozent auf 73 Prozent derjenigen von Otis angenähert.

Fremdes Geld, und das heisst bei Schindler Geld von den übrigen Aktionären, hat er dazu nicht gebraucht - zum Ärger all jener, denen die "closly held company" ein Dorn im Auge ist. Im Gegenteil, sich selbst und alle anderen hat er mit substantiell höheren Dividenden beglückt. Bei dieser Wertvermehrung ist es kein Wunder, dass auch die Kurse so steil anzogen, dass von den Industrieaktien einzig Roche mithalten konnte.

Wie in manchen Märchen, geht der Held nun plötzlich durch Blitz und Donner. Das Gewitter hat Schindler 1995 ereilt, kurz nachdem er, von manchen benieden, zu einem Sabbatical aufgebrochen war. Nach zwei von geplanten zwölf Monaten, in Jeans und Pullover unterwegs, um seine Visionen unerkannt bei Kunden und Konkurrenz einem "reality check" zu unterziehen, musste er nach Ebikon zurückeilen. Völlig unerwartet brach der Gewinn in jenem Jahr auf die Hälfte ein und verharrt seither auf diesem Niveau. "In der Kür ist ein Patzer unterlaufen", meint Alfred Schindler selbstkritisch, fügt jedoch sogleich siegessicher hinzu: "Das bügeln wir aus." Er fühlt sich mit dem Konzern weltweit in einer starken Position, die es jetzt zu rentabilisieren gilt. Das freilich ist schneller gesagt als getan, und das drückt sich auch in den Börsenkursen aus, die noch deutlich von den Höchstwerten entfernt notieren.

Das Umbauprojekt Sprint ist erst in jener Phase, in der die Leute die Vorgaben als verrückt erklären. Die Mehrheitsbeteiligung Also hat durch ihren Vorstoss nach Deutschland mehr Kosten- als Ertragswachstum gebracht, und im Waggonbau zeichnet sich jetzt schon ein beträchtliches Auftragsloch ab. Doch viel entscheidender ist die Stagnation im Kerngeschäft.

Aufzugsbauer haben kaum Einfluss auf die Nachfrage. Diese wird von der traditionell zyklischen Baukonjunktur diktiert, und die liegt insbesondere in Europa seit ein paar Jahren weitgehend am Boden. Vom Malaise am heimischen Markt ganz zu schweigen, wo Schindler noch weit überdurchschnittlich engagiert ist und das Lift- und Rolltreppengeschäft zu mehr als der Hälfte in der Hand hat. Doch der mit dem geschrumpften Markt einhergegangene Preiszerfall lässt hier wie dort kaum mehr kostendeckende Aufträge zu. Erst mit den längerfristigen Serviceverträgen kombiniert, reicht es zu schwarzen Zahlen. Ein Trost: Zum Glück läuft Übersee.

Doch selbst im Servicegeschäft, der grossen Pfründe des Konzerns, ist das Zittern angebrochen, seit Grosskunden nicht mehr automatisch ihre Tausende von Abonnements erneuern, und unverhohlen mit dem Wechsel zur Konkurrenz drohen.

Keine glückliche Hand hat Schindler selbst mit der Produktepolitik bewiesen. Den Lift 300, ein mit Designpreisen überhäuftes Hochpreisprodukt, für das man ehrgeizige Verkaufsziele hegte, kam exakt in dem Moment auf den europäischen Markt, als die Preise zusammenkrachten. Ein tolles Produkt, das niemand zu den offerierten Preisen wollte. Das ist schon anderen passiert: Mercedes mit der S-Klasse, und auch Sulzer mit den Textilmaschinen im obersten Preissegment. Alfred Schindler bucht den 300er-Flop unter "Pech in Europa" ab, obwohl die Liftbauer die Preiselastizität sträflich unterschätzt haben. Etliche Kunden sind umgehend zur Konkurrenz abgewandert, welche die gewünschten Produkte zur richtigen Zeit im Katalog hatte.

Das gilt insbesondere für die von den Luzernern lange verhöhnten, doch um einen Drittel günstigeren Hydrauliklifte, mit denen die härtesten Konkurrenten Otis und insbesondere Kone vorwärtsmarschieren konnten, bis die Schweizer endlich nachzogen. Schindler wurde zum Opfer der eigenen, über Jahrzehnte gepflegten Seilliftideologie, die in den Boomjahren und dank abgeschotteten Märkten fette Margen zuliess. Auch in China lief es nicht ganz rund. Weil man einseitig auf die lokale Eigenfertigung gesetzt hat, war man für die wie Pilze aus dem Boden schiessenden Hochhäuser nicht vorbereitet, welche lange nur mit qualitativ hochstehenden Importanlagen ausgerüstet werden konnten. Wiederum gingen viele Aufträge an die Konkurrenz.

Und die Herausforderungen gehen weiter: Kone bringt an der Swissbau den Monospace-Lift heraus, der ohne Maschinenraum auskommt; Otis experimentiert mit sogenannten seillosen Aufzügen, mit welchen die neue Generation von Wolkenkratzern in Asien, wie es etwa das 452 Meter hohe Petronas-Gebäude in Kuala Lumpur verkörpert, ausgerüstet werden könnten. Meint Otis-Chef van Roy: "Selbst 1000 Meter hohe Gebäude wären für uns kein Problem mehr." Eine Geheimwaffe ist aber auch in Ebikon in Vorbereitung, die nach Verzögerungen im Frühjahr lanciert werden soll.

Der Eindruck trügt dennoch kaum: Die Finnen wie die Amerikaner sind innovativer als die Schweizer, was ein internationaler Zulieferer bestätigt. Der Konzern wirke zudem nach wie vor sehr heterogen: "Die Tochtergesellschaften machen, was sie wollen." Auf Schritt und Tritt stellt er Aversionen gegen die Zentrale fest, die als Wasserkopf denunziert wird. Im Hauptquartier sind auch Machtkämpfe nicht unbekannt. Das ganz grosse Plus von Schindler sei jedoch, so der Branchenkenner, "die typisch schweizerische Zuverlässigkeit".

Die Zuverlässigkeit allein macht es natürlich nicht aus, was den Konzern verkörpert. Schindler ist schon von der Finanzkraft her ein sicherer Wert und besitzt einen Chef, der mit totalem Engagement in einem schwierigen Umfeld einer Vision nachlebt, die beeindruckt. Findet der "Geist von Clinton" Eingang in die noch betulicheren Büros und Hallen in Europa, so könnte aus dem Konzern sogar ein Powerhaus werden.

Viel Arbeit für Alfred Schindler, der in seiner Feldherrenrolle jedoch gefangen wirkt. Der Global player mit dem Stolz und dem Misstrauen des Innerschweizers dominiert alles und jedes so sehr, dass er sich gleichzeitig isoliert. Theoretisch weiss er längst, dass er sich öffnen müsste. Doch wie? So kumpelhaft, wie es Thomas Schmidheiny im Holderbank-Konzern beim Umgang mit dem Kader hält, müsste es wohl nicht sein, um im Schindler-Reich weiter Wunder bewirken zu können.

Nach einem langen Gespräch bis in die Nacht hinein, das fühlen liess, wie sehr der Manager-Besitzer mit seinem Unternehmen leidet, wünscht uns auf dem Parkplatz ein Schindler-Arbeiter ein schönes Wochenende. Schindler irritiert: "Es ist doch erst Donnerstag." Kein Gedanke daran, dass einer der vielen Innerschweizer Feiertage folgt. Für ihn ist morgen ein Tag wie jeder andere. Er arbeitet von früh bis spät an seiner Vision. Solche Menschen braucht das Land.

Sprint

Schindler's Program for Radical Innovative New Thinking

In nicht wenigen Unternehmen wird defensiv und stur rationalisiert. Schindler dagegen setzt auf ein gewaltiges Offensivprogramm, genannt Sprint. Der Name steht für "Schindler's Program for Radical Innovative New Thinking", sein geistiger Vater ist der Vorsitzende der Konzernleitung, Peter J. Zbinden (oben). Die unabdingbaren Produktivitätssprünge werden dabei über radikal andere Arbeitsund Produktionsprozesse erreicht und nicht über Personalabbau oder über auf Teufel komm raus schnelleres Arbeiten. "Die Kunst ist es, mit den gleichen Mitarbeitern dank raffinierten Abläufen derart gute Resultate zu erzielen, dass sie auf den ersten Blick völlig undenkbar scheinen." Das ist Zbinden in den USA bereits gelungen. Durchlaufszeiten haben sich mehr als halbiert; Fehlerraten tendieren gegen null, und die Kundenzufriedenheit steigt steil nach oben. Da wachsen Umsatz und Gewinn schon fast automatisch, nachdem die Mitarbeiter mittlerweilen sogar selber die Messlatten ständig höher legen.

Dies alles ist aber in Europa zunächst noch weitgehend Wunschdenken. Doch die Weichen sind gestellt, wie sich leicht an den unzähligen "Cockpit charts" ablesen lässt, welche auf vielfältige Weise die Leistungskurven der einzelnen Abteilungen dokumentieren. Noch sehen jedoch viele in Sprint fälschlicherweise eine Qualifikation eigener Leistungen oder gar eine generelle Bedrohung. Schweiz-Chef Ernst Bärtschi freut sich dennoch bereits über "Anfangserfolge".

 

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