Perspektive. Ein wunderschönes Wort. Es kann als Zukunftsaussicht oder Entwicklungsmöglichkeit verstanden werden sowie Sichtweise oder Blickwinkel meinen. Meine Zukunft sieht – allen Corona- und klimabedingten Widrigkeiten zum Trotz – vergleichsweise rosig aus. Und ich kann das, was kommt, sogar mitgestalten. Eine Möglichkeit, die nur wenige Menschen haben. Alles auch eine Frage der Sichtweise.
Mit der anderen Bedeutung der Perspektiven ist es etwas komplexer. Meine erste Begegnung mit ihnen war tierischer Art: In der Primarschule lernte ich im Zeichnen die Vogel- und die Froschperspektive kennen. Betrachtet man einen Gegenstand von oben, eben wie ein Vogel, dann sieht und zeichnet man ihn ganz anders, als wenn man ihn von unten, aus der Froschperspektive, anschaut.
Was mich damals unglaublich fasziniert hat, lässt sich auf viele Lebensbereiche übertragen. Die meisten Sachverhalte, Handlungen und Situationen können aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet werden und erhalten so verschiedene Bedeutungen. «Alles eine Frage der Perspektive», kann man fast immer behaupten und es ist fast immer richtig. Das aber hat auch seine Tücken.
Das Leben aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten, ist zweifellos bereichernd und trägt zum friedlichen Zusammenleben bei. Es kann aber auch gefährlich sein. Denn wenn alles relativ ist, ist auch alles gerechtfertigt. Es ist dann kein «No-Go» mehr, halb nackt ein Parlamentsgebäude zu stürmen, sondern aus der Perspektive des Halbnackten und seinen Gesinnungsgenossen in Ordnung.
Karin Keller ist ein Mitglied des Verbandes Frauenunternehmen und Inhaberin der Textagentur abcwerk.
Dann kann man getrost gegen die «Ehe für alle» kämpfen und dies mit der eigenen Weltsicht begründen. Es stellt sich die Frage: Wann braucht es eine klare Haltung, wann Verständnis für Unterschiede? Wann braucht es Rückgrat, wann Perspektiven? Eine einfache Antwort habe ich nicht.
Was ich aber weiss: Bei gewissen Dingen muss man sich eine Meinung bilden und diese auch vertreten. Denn sonst verkommen die Perspektiven zu Wischiwaschi. Was auch ein wunderschönes Wort ist, mit seiner Bedeutung aber weitaus weniger beeindruckt.