In der guten Basler Gesellschaft, dem «Daig», hält man sich gewohnheitsmässig vornehm bedeckt. Wer sich freiwillig exponiert, mit individuellen Meinungsäusserungen Angriffsflächen bietet oder – besonders verpönt – Familieninterna ausplaudert, geniesst in den Kreisen der Burckhardts, Merians, La Roche und Vischers rasch den Ruf eines Amokläufers. Lieber bleibt man unter sich, ernennt einen loyalen, komfortabel dotierten Sprecher und lässt, wenn es die äussere Situation denn erzwingt, das Nötigste indirekt ausrichten. Für einen Wohlgeborenen wie André Hoffmann schickte es sich bis dato jedenfalls nicht, ins Scheinwerferlicht der Medien zu treten.

Wie es seiner privilegierten Herkunft entspricht, ist der Urenkel des Firmengründers von Hoffmann-La Roche ein überaus zurückhaltender Mann. So zurückhaltend, dass sich der gross gewachsene Milliardenerbe, der seit 1996 im Verwaltungsrat des Basler Pharmakonzerns sitzt, bis heute nicht dazu durchringen konnte, mit einem Journalisten über sich und seine Eigentümerrolle zu sprechen. Nur ein einziges Mal sah sich André Hoffmann in seiner noch jungen Karriere veranlasst, seine Medienscheu abzulegen: In einem Doppelinterview, das er zusammen mit seinem Cousin, Andreas Oeri (52), der Anlegerzeitung «Finanz und Wirtschaft» gewährte, setzten sich die beiden Roche -Verwaltungsräte im April letzten Jahres mit vereinten Kräften gegen die Verbalattacken von Martin Ebner zur Wehr.

«Ja, wir wollen die Mehrheit behalten», postulierte der Orthopäde Oeri und erteilte damit den Ambitionen des BZ-Bankers einen öffentlich vernehmbaren Dämpfer. Und auf die Möglichkeit einer Modernisierung der Aktienstruktur angesprochen, sekundierte ihn dannzumal Vetter Hoffmann: «Herr Ebner weiss genau, dass unsere Stimmenmehrheit einen erheblichen Wert an sich darstellt und dass auch das ein Thema wäre, wenn man über eine neue Kapitalstruktur nachdenkt.»

Inzwischen hat der Raider aus Freienbach entnervt das Handtuch geworfen und seine Roche -Beteiligung Anfang Mai für knapp fünf Milliarden Franken an den Basler Lokalkonkurrenten Novartis losgeschlagen. Die Schmähungen Ebners an die Adresse seiner betuchten Sippe hat André Hoffmann nicht verwunden. «Einer der Gründe, warum ich Ihnen dieses Interview gebe, ist der, dass ich mich in den letzten paar Jahren enorm darüber geärgert habe, dass Herr Ebner konstant zur Presse lief, um zu verkünden, die Eigentümer von Roche täten nichts», erklärt der Familiennachfolger in seiner Grossbasler Absteige, einem geräumigen Altstadtappartement mit Blick über den Rhein. «Unsere Familie tut sehr wohl etwas. Wir nehmen unsere Verantwortung sehr ernst, und wir tragen zum Erfolg der Firma so viel bei, wie wir nur können».

«Mindestens ein bis zwei Stunden täglich», versichert André Hoffmann, befasse er sich im Schnitt mit seinem verantwortungsvollen Mandat. Um auf dem Laufenden zu bleiben, konsultiere er regelmässig die Fachpresse, studiere Firmendossiers, treffe sich mit Roche -Angestellten und externen Spezialisten, hole persönliche Kommentare ein, kurz: Er scheue keinen Aufwand, um sich eine fundierte Meinung zu bilden – ein Vorgehen, das, wie Hoffmann glaubt, im Falle eines globalen Konzerns mit 70 000 Mitarbeitern im jetzigen Zeitpunkt sehr wichtig ist.

Die Situation, in der sich der Familienkonzern Hoffmann-La Roche befindet, erscheint desolat: Führungsvakuum an der Konzernspitze, Stillstand im Produktenachschub, Marktanteilsverluste im Kerngeschäft, schwache Kapazitätsauslastung und ungenügende Produktivität lauten ein paar der gravierendsten Defizite. Die notfallmässige Therapie in Form eines einschneidenden Kostensenkungs- und Restrukturierungsprogramms, verbunden mit dem Abbau von weltweit 3000 Stellen im Pharmabereich, wurde vor wenigen Wochen beschlossen. «Wenn wir langfristig eine erfolgreiche Firma bleiben wollen, ist der jetzige Stellenabbau leider unvermeidbar», begründet Hoffmann die angekündigten Massnahmen.

Als Mitglied des dreiköpfigen Finance & Investment Committee im Roche -Verwaltungsrat hat sich der Eigentümer derzeit intensiver als gewohnt mit dem Finanzressort des schlingernden Pharmakonzerns zu befassen. Seit der ehemalige UBS -Generaldirektor Anton Affentranger mit Konzernchef Franz Humer aneinander geriet und nach gerade einmal vier Monaten die Firma wieder verlassen musste, sind das früher bei Roche so zentrale Finanzressort und die Kontaktstelle für Investor-Relations führungsmässig verwaist. An der Seite von Roche -Vizepräsident Rolf Hänggi und Peter Brabeck von Nestlé, die mit Hoffmann den VR-Finanzausschuss bilden, wird gegenwärtig nach valablen Kandidaten für eine Zweitauflage der harzigen Meier-Nachfolge gefahndet.

Dass auch er Affentranger anfänglich favorisiert und sich damit verschätzt hat, verhehlt André Hoffmann im Rückblick nicht. Allein das Genfer Beziehungsnetz des Commerzbankers liess Affentranger noch nicht zu einem Wertschriftencrack mutieren, der seinem Vorgänger in Sachen Anlagepolitik das Wasser hätte reichen können. Glasklar habe Henri B. Meier diese Know-how-Lücke des Nachfolgers von Beginn weg erkannt, sagen Eingeweihte. Mit maliziösem Charme soll er den geschäftsführenden Partner von Lombard Odier trotzdem bei Franz Humer portiert haben. Tatsache ist, dass Verwaltungsrat Meier seit dem unrühmlichen Intermezzo auf einer Ad-hoc-Basis wieder mit der angestammten Finanzabteilung zusammenarbeitet. «Henri B. Meier wird fallweise beigezogen», bestätigt ein Firmeninsider diesen wenig überraschenden Befund. «Schliesslich hat er die ganzen Systeme im Rechnungswesen aufgebaut.» Dass mit Meiers Diensten in heiklen Fragen weiterhin zu rechnen ist, darf auch die Besitzerfamilie beruhigen.

Als Prinzipal einer Dynastie von Eigentümern weiss André Hoffmann dem Leben angenehmere Seiten abzugewinnen, als sich im Tagesgeschäft eines internationalen Pharmakonzerns zu verschleissen. Daran lässt der Bonvivant und Naturfreund keinen Zweifel: «Jann, Hartmann, Gerber – ich habe die Topmanager der Firma alle gekannt. Ihre enorme Arbeitslast und Verantwortung hat mich nie wirklich angezogen. Ich hatte nie die Ambition, ein Industriekapitän zu werden», gibt der Stiefenkel von Paul Sacher zu erkennen. «Das will aber nicht heissen, dass ich als Verwaltungsrat kein Profi sein kann.»

Im Mai 1958 am Blumenrain in Basel zur Welt gekommen, verlebte André Hoffmann den überwiegenden Teil seiner Jugend in Südfrankreich. Im Rhonedelta unterhielt sein Vater, Lukas «Luc» Hoffmann, seit Mitte der Fünfzigerjahre eine ornithologische Forschungsstation. Als Biologiestudent war der 1923 geborene Luc erstmals in die Camargue gefahren, ein zu jener Zeit noch vollkommen unberührtes Vogelparadies. In der Nähe von Arles hatte er später das Gut La Tour du Valat erworben, darauf eine Vogelberingungsstation errichtet und das idyllisch gelegene Feuchtbiotop mit den Jahren zu einem Naturschutzgebiet von 2500 Hektaren Fläche ausgebaut.

Maja Hoffmann-Stehlin (die spätere Gattin von Paul Sacher) hatte sich anfänglich ernsthafte Sorgen um ihren eigenbrötlerisch veranlagten Sohn gemacht. Während seine jüngere Schwester, Vera, längst mit dem Basler Chirurgen Jakob Oeri verheiratet war und schon drei Kinder zur Welt gebracht hatte, sass Luc, der Vogelnarr, wie seine Mutter damals zu hadern pflegte, «immer nur im Sumpf». Immerhin fand dieses Problem alsbald eine Lösung. Paul Sacher nahm den Stiefsohn auf eine Reise nach Wien mit. Dort machte Andrés Vater die Bekanntschaft mit Daria Razumovsky, einer aus der Ukraine stammenden Gräfin, die seinerzeit für die Wiener Konzerthausgesellschaft tätig war. 1953 heirateten die beiden.

Wie kaum ein anderer hat sich der heute 78-jährige Luc Hoffmann um den internationalen Naturschutz verdient gemacht. Zeit seines Lebens kämpfte er für den Erhalt bedrohter Vogelrückzugsgebiete; sei es im Mündungsgebiet des Guadalquivir (Südspanien), am Neusiedler See, in der ungarischen Puszta oder an der Küste Mauretaniens. Zusammen mit Peter Scott, dem Sohn des berühmten Polarforschers, rief Lukas Hoffmann 1961 den World Wildlife Fund (WWF) ins Leben. Bei aller Verehrung, die der Vater in Naturschutzkreisen genoss, war dieser stets bemüht, das Rampenlicht zu meiden und der öffentlichen Anerkennung, so gut es ging, zu entfliehen. Der Gründer des WWF, heisst es bezeichnenderweise in einer Festschrift, die anlässlich von dessen siebzigstem Geburtstag erschien, «übertrifft seine grossartigen Leistungen nur noch punkto seiner Bescheidenheit».

Der Ehe mit Daria Razumovsky entsprangen drei Töchter – Vera, Marie-Anne (genannt Maja) und Daschenka – sowie ein Sohn, den die Eltern auf den Namen Andreas Serenus tauften (in Anlehnung an ein Feuchtgebiet namens «Saint Seren» in der Camargue). Auf der Forschungsstation La Tour du Valat wohnte die Familie in einem Farmhaus, das neben den Pferdestallungen und den Unterkünften für die Bediensteten gelegen war. Im Kreis seiner drei Schwestern, von denen die jüngste mongoloid ist, erlebte André eine von Idealismus getragene Jugend, lief den Sommer hindurch meistens barfuss und gewöhnte sich so an ein unkompliziertes, naturnahes Leben ohne speziellen Luxus.

«Man bekam ihren Reichtum nie zu spüren», bestätigt eine Freundin der Familie. «Es gab keine Spur von Snobismus.» Trotz dem im Übermass verfügbaren Geld kann sie sich an keine Situation erinnern, bei der im Hause Hoffmann mit materiellen Werten aufgetrumpft worden sei. «Mit Geiz hat das bei denen nichts zu tun», ergänzt die Informantin und beugt damit einem nahe liegenden Fehlschluss vor. In diesem Belang sei die Familie «absolut unbaslerisch».
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